Legislatur der «lame ducks»: Wie lange ist Macht haltbar?
Gewählt, fit und gesund: die Bundesräte Ignazio Cassis, Viola Amherd und Guy Parmelin vor vier Jahren am WEF in Davos. ; Alessandro Della Valle / Keystone
Viola Amherd wusste, dass die Frage kommen wird. Sie sei für vier Jahre gewählt. Ihr gefalle das Amt weiterhin sehr gut. Und wenn sie weiterhin fit und gesund sei, beende sie diese Legislatur. Mit diesem präparierten Statement hoffte die designierte Bundespräsidentin in der vorweihnachtlichen «Samstagsrundschau» von Radio SRF die Mutmassungen über ihren Verbleib in der Landesregierung abzuwürgen.
Aber der vife Moderator durchschaute das kommunikative Abwehrmanöver, und insistierte. Ist man als Bundesrätin aufgrund der Rücktrittsspekulationen geschwächt? Macht nicht allein schon der Anschein, nichts Neues mehr anpacken zu können (oder zu wollen), einen Magistraten zur lahmen Ente – zur «lame duck», wie die Amerikaner sagen?
«Tritt Parmelin am Freitag zurück?»
Gewählt, aber gefühlt handlungsschwach – Viola Amherd ist nicht das einzige Regierungsmitglied, dem in dieser Legislatur dieser Ruf droht. Über den Abgang von SVP-Bundesrat Guy Parmelin wird im Halbjahrestakt gewerweisst. «Tritt Parmelin am Freitag zurück?», titelte der «Blick» an einem Dienstag im vergangenen September. Dabei hatte der Waadtländer die Antwort auf diese Frage schon gegeben. «Um Klarheit zu schaffen, bestätige ich gerne, dass ich in der Wintersession 2023 zur Wiederwahl in den Bundesrat antrete. Ich bin hoch motiviert!», twitterte der Wirtschaftsminister vor der Sommerpause, ungefragt und atypisch persönlich.
Ein Kommen und Gehen. Beat Jans wird begrüsst von Alain Berset, Viola Amherd, Guy Parmelin und Ignazio Cassis. Peter Klaunzer / Keystone
Der präventiv angekündigte Noch-nicht-Rücktritt: Parmelin, der 2026 nochmals Bundespräsident sein könnte, hat immerhin eine neue PR-Disziplin geschaffen. Zuvor war immer klar gewesen, dass bisherige Bundesräte nochmals antreten, sofern sie nicht das Gegenteil ankündigen. Doch die Sitten in Bundesbern sind rauer geworden.
Parmelins Gegner werden nicht müde, seine Rückenprobleme als äusserliche (und buchstäbliche) Anzeichen für eine angebliche Amtsmüdigkeit zu deuten. Und selbst in seiner Fraktion rechnet man bereits mit seinem Rücktritt. Dass sich die SVP-Granden im Bundeshaus dermassen auffällig und unisono gegen den Parteidoyen Christoph Blocher und für das offizielle Kandidatenticket der SP ausgesprochen haben, war kaum zu überhören.
Im Gegenzug erwartet die Fraktionsspitze von der Bundesversammlung, dass diese ein straffes SVP-Ticket mit Kandidaten aus der Deutschschweiz zulässt, wenn Parmelins Sitz vakant wird. Bei der FDP hoffen vor allem Parlamentarier aus der Westschweiz auf eine Chance, wenn Ignazio Cassis eines Tages zurücktritt. Aber darf er das überhaupt?
Sobald der Tessiner seinen Sitz freigibt, droht dieser an die Mitte zu gehen. Der Druck bleibt, solange die FDP die Mitte-Partei nicht deutlich auf den vierten Rang verweisen kann. Das könnte angesichts der langfristigen Trends noch dauern – oder in absehbarer Zeit gar nicht eintreten. Cassis ist ein Bundesrat im verwünschten Wachkoma – muss er bis in alle Ewigkeit mit der EU verhandeln?
Gar etwas grünschnabelig hat sich Elisabeth Baume-Schneider in Position gebracht. Die freimütige Jurassierin hatte schon vor ihrer Wahl im letzten Dezember klargemacht, dass sie nicht über das ordentliche Pensionsalter im Amt bleiben wolle. Der neuen Innenministerin, inzwischen 60-jährig, bleibt demnach noch eine Legislatur, um die Dossiers im Gesundheitswesen und in der Sozialpolitik vorwärtszubringen.
Mehr als acht Jahre
In beiden Bereichen gibt es unzählige Möglichkeiten für das Parlament sowie für die zahlreichen Akteure, Reformen zu erschweren. Vor allem, wenn man weiss, dass die oberste Chefin nicht lange bleibt. Alain Berset, der Vorgänger von Baume-Schneider, sagte nach zwölf Jahren im Amt, dass achte Jahre zu wenig, mehr als zwölf indes zu viel seien für einen Bundesrat. Das hat sich auch Albert Rösti zu Herzen genommen. «Unser Fokus liegt auf den kommenden acht bis zwölf Jahren», sagte sein Generalsekretär nach dem Amtsantritt vor einem Jahr.
Finanzministerin Karin Keller-Sutter scheint derweil dermassen im Stress zu sein, sie hatte noch gar keine Zeit, als «lame duck» zu wirken. Wobei: Im vergangenen März blieb der FDP-Bundesrätin nichts anderes übrig, als die CS in wenigen Tagen an die UBS zu verscherbeln. Die politische Abwicklung eines Fait accompli – dafür wurde sie in den Himmel gelobt, von anderen für vogelfrei erklärt.
Aber zurück zu Amherd in der «Samstagsrundschau». Wenn sie eine lahme Ente sei, dann aber eine ziemlich schnelle, konterte die Verteidigungschefin mit Verweis auf ihre bisherigen Leistungen. Kann man mit Humor das Verfalldatum der eigenen Macht hinauszögern? Diese Legislatur wird es zeigen.