Zensurvorwürfe, Abgänge, schlechte Quoten: Was ist los bei der RAI, Italiens öffentlichrechtlichem Rundfunk?

zensurvorwürfe, abgänge, schlechte quoten: was ist los bei der rai, italiens öffentlichrechtlichem rundfunk?

Italiens Ministerpräsidentin Giorgia Meloni bei ihrem kürzlichen Auftritt in einer Talkshow auf RAI. Emmefoto / Imago

Seit die Regierung von Giorgia Meloni im Amt ist, wird die italienische Politik jedes Jahr um den 25. April nervös. An dem sogenannten Tag der Befreiung erinnert sich Italien an die Aufstände der Partisanen vom April 1945 gegen die deutschen Besatzer und deren faschistische Verbündete im Inland.

Mit der neuen Regierung ist der Tag zum Eiertanz verkommen: Von der in der postfaschistischen Bewegung gross gewordenen Regierungschefin wird allgemein ein Bekenntnis zum Antifaschismus verlangt – das diese aber partout nicht ablegen will. Wohl beteiligt sich Meloni an den eingeübten Ritualen des gesetzlichen Feiertags und begleitet den Staatspräsidenten artig zur Kranzniederlegung auf dem «Altare della Patria» im Zentrum Roms. Aber sie tut es so, als müsste sie eine lästige Pflicht erfüllen.

Die Opposition sieht sich dadurch bestätigt und interpretiert den offensichtlichen Widerwillen der Regierungschefin als Beweis dafür, dass diese trotz allem zur Schau gestellten Pragmatismus eben doch eine Wölfin im Schafspelz sei, die Italien ein autoritäres Modell überstülpen wolle.

Lehrstück in Machiavellismus

In diesen Tagen hat eine Medienaffäre die Debatte zusätzlich angeheizt. Am letzten Samstag hätte der bekannte Schriftsteller Antonio Scurati im öffentlichrechtlichen Fernsehen RAI auftreten sollen. Der Verfasser von Bestsellern über Benito Mussolini war mit Blick auf den Tag der Befreiung eingeladen worden, einen kurzen Monolog zu halten. Kurz vor der Sendung kam das Aus: Scurati wurde per E-Mail mitgeteilt, dass sein Auftritt gestrichen worden sei. Die Moderatorin der Sendung liess es sich nicht nehmen, seinen Text trotzdem vorzutragen.

Seither ist der Teufel los: Während sich die RAI bemüht, die Streichung mit den zu hohen Geldforderungen von Scurati zu begründen (die Rede ist von einem Betrag zwischen 1500 und 1800 Euro für den Auftritt), kritisieren Intellektuelle, Linke, Gemässigte, Liberale und mittlerweile selbst einzelne Vertreter der regierenden Koalition die Vorgänge, sprechen von Zensur und fordern eine umfassende Aufklärung.

Scurati ist Träger des Premio Strega, des bedeutendsten Literaturpreises des Landes, und ein angesehener Autor. In seinem Monolog beschuldigte er die Ministerpräsidentin, die Geschichte umschreiben zu wollen und es dabei zu versäumen, den Faschismus angemessen zu verurteilen. Dass es Unstimmigkeiten über sein Honorar gegeben habe, bestritt er. Vielmehr seien inhaltliche Vorbehalte ausschlaggebend gewesen. Interne Dokumente der RAI, die seither aufgetaucht sind, scheinen Scuratis Sicht der Dinge zu bestätigen.

Giorgia Meloni hat die Tragweite des Falls rasch erkannt und sich kurz nach den ersten Wellen der Kritik zu Wort gemeldet – mit einem Facebook-Post, der sowohl clever als auch gleichzeitig ziemlich perfid war. Einerseits publizierte sie den Monolog Scuratis im vollen Wortlaut, um zu unterstreichen, dass sie mit Zensur nichts am Hut habe. Wer vom Service public stets ausgegrenzt worden sei, werde niemals zum Mittel der Zensur greifen, schrieb sie – und meinte sich selbst und ihre Bewegung.

Andererseits übernahm Meloni die Argumentation der RAI. Diese habe sich schlicht geweigert, 1800 Euro für einen einminütigen Monolog zu zahlen, was dem Monatsgehalt vieler RAI-Angestellter entspreche. Aber im gleichen Atemzug hielt sie fest: «Ich weiss nicht, was die Wahrheit ist.»

Auf wenigen Zeilen machte die Regierungschefin den Autor damit zum Sündenbock und zur öffentlichen Zielscheibe, sich selbst zum Opfer und zur Kämpferin für die Meinungsäusserungsfreiheit – ein Lehrstück über politischen Machiavellismus.

RAI: verpolitisierter Sender

Die Angelegenheit wirft ein Schlaglicht auf die anhaltende Debatte um die RAI. Diese ist seit ihrem Bestehen Gegenstand politischer Kämpfe. Alle Parteien haben stets ein Auge auf den öffentlichrechtlichen Medienkoloss geworfen. Mit ihren heute mehr als 12 000 Angestellten, einem Marktanteil von rund 36 Prozent, unzähligen Fernseh- und Radiosendern, Sportkanälen und Kulturprogrammen und einem Budget von mehr als 2,5 Milliarden Euro ist die RAI ein wichtiger Machtfaktor im nach wie vor fernsehverrückten Italien.

Bei jedem Wechsel in der Exekutive werden Gefolgsleute der jeweiligen Regierung an den wichtigen Schaltstellen des Senders platziert. Das war unter linker oder gemässigter Führung so, und es ist jetzt auch bei Melonis Fratelli d’Italia und ihren Koalitionspartnern nicht anders.

Trotzdem schlägt die linke Opposition jetzt besonders laut Alarm. «Die RAI wird immer mehr zum Megafon der Regierung», sagt Elly Schlein, Vorsitzende des sozialdemokratischen Partito Democratico (PD), und stellt die derzeitige Debatte um Scurati in einen grösseren Zusammenhang. Sie verlaufe gleich wie in anderen europäischen Ländern: «Attacken auf die Pressefreiheit, auf Intellektuelle, Richter, Abweichler. Es ist die ungarische Kampagne.»

Was ist davon zu halten? Vieles wird durcheinandergebracht, vereinfacht und überzeichnet – hüben wie drüben. Richtig ist, dass sich die Meldungen über Versuche, die Medien an der kürzeren Leine zu halten, in letzter Zeit häufen. Dieser Tage klagten Vertreter der linken Tageszeitung «Domani» im Gespräch mit der Auslandspresse, dass ihnen eine Haftstrafe drohe, weil sie im Zuge einer Recherche vertrauliche Dokumente angefordert und publiziert hätten. Zudem sorgte kürzlich ein Gesetzesentwurf aus den Reihen der Regierungspartei für Aufregung, der verlangt, dass Medienvertreter wegen «Verunglimpfung» in besonders schweren Fällen zu Haft und happigen Geldbussen verurteilt und mit einem Berufsverbot belegt werden können.

Die Regierung spielt diese Dinge herunter. Gleichzeitig hat sie aber explizit der vermeintlichen «kulturellen Hegemonie» linker und linksliberaler Kräfte den Kampf angesagt – was sich besonders in der Auseinandersetzung um die RAI zeigt.

Tatsächlich steckt das öffentlichrechtliche Medienhaus in einer Krise. Die Marktanteile sind rückläufig. Die «Repubblica» rechnete kürzlich vor, dass die Sender des Berlusconi-Imperiums die RAI inzwischen überholt hätten. Prominente Aushängeschilder haben die RAI verlassen und feiern auf anderen Kanälen Erfolge, so etwa bei LA 7, jener Mediengruppe, zu der unter anderen der «Corriere della Sera» gehört, oder bei Discovery, einer Plattform von Warner Brothers, die in Italien eine zunehmend wichtige Rolle spielt.

Es ist unbestritten, dass die Qualität des staatlich kontrollierten Fernsehens seit Jahren leidet. Die Trash-TV-Kultur der Berlusconi-Programme hat sich auch bei der RAI breitgemacht. Die Slots für anspruchsvollere Programme sind weniger geworden.

Doch darüber spricht die Politik kaum. Vielmehr geht es ihr darum, die jeweils eigene Meinung möglichst ungefiltert vertreten zu sehen. Auch die Oppositionsführerin spricht in ihrer Kritik nicht die grundsätzliche Problematik an. «Wenn der PD von Elly Schlein gegen die RAI demonstriert, geht es um die Aufteilung der Kuchenstücke, nicht um das Recht der Politik, zu entscheiden, wer sie essen darf», meint Stefano Feltri, Journalist, Ökonom und Medienbeobachter.

Oder andersrum gesagt: Eine wirkliche Verbesserung der Situation würde sich erst einstellen, wenn man der Politik den direkten Zugriff auf die RAI entzöge. Doch das wollen weder Schlein noch Meloni.

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