Da braut sich was zusammen
Literatur
Da braut sich was zusammen
Mareike Fallwickl.
Mareike Fallwickl malt sich in „Und alle so still“ ganz ernsthaft aus, was passiert, wenn die Frauen einfach nicht mehr mitmachen.
Die aufregendste Rolle, das ist an sich ärgerlich, spielt eine Pistole, die sich unsachlich zur Sache äußert. Das liegt nicht nur daran, dass sie einen gewaltsamen Auftritt androht, auf den hier alles hinlaufen könnte. „Da braut sich was zusammen, ich hab das im Gespür. Im Blut, sozusagen. Bald wird uns alles um die Ohren fliegen, hurra.“ Es liegt mehr noch daran, dass sie distanziert und wurschtig ist. Wer distanziert und wurschtig ist, hat es immer etwas einfacher, auch literarisch. „Ich bin gemacht, um Menschen Angst einzujagen und eine Kugel in den Kopf“, sagt die Pistole, und: „Die haben mich zum Umbringen erfunden ... So sind die drauf, ich find’s geil.“
„Und alle so still“ hingegen, der neue Roman von Mareike Fallwickl, Jahrgang 1983 und zuletzt mit „Die Wut, die bleibt“ (2022) erfolgreich, ist keineswegs distanziert und wurschtig. Zunächst ist das hervorragend für alle Ironiemüden.
Vorgestellt werden drei Menschen im Getriebe einer großen Stadt. Elin hat sich als Influencerin einen Namen gemacht, privat ist sie etwas aus dem Gleichgewicht. Sie lebt promiskuitiv, begibt sich auch in Situationen, nach denen sie sich nicht sicher ist, ob ihr nicht Gewalt angetan worden ist. Sie stellt sich vor, wie es ohne Männer wäre. „Wie würde sich das anfühlen? Umgeben zu sein von Frauen, die vor Elin da waren und mit ihr hier sind. Umgeben zu sein von Frauen.“
Nuri, ohne Schulabschluss, hält sich mit zig Jobs über Wasser, unter anderem in einer Bar und als Fahrradkurier mit würfelförmigem Rucksack für Pizza und so weiter auf dem Rücken. Im Krankenhaus schiebt er Patientenbetten, ein Job auf Stundenbasis, von dem man möglicherweise noch nie gehört hat. Das sind starke Szenen, sie erinnern an „Arbeit“ von Thorsten Nagelschmidt, einem Augenöffner für prekäre Tätigkeiten im Getümmel der Städte.
Im Krankenhaus arbeitet auch Ruth, eine erfahrene Pflegekraft. Ruth ist etwas älter, Mutter eines Sohnes, der gestorben ist. Sie kennt die Gesichter der Menschen, wenn sie davon erzählt: dieses betroffene Entsetzen über den Tod des Sohnes, diese anschließend mäßig verborgene Erleichterung, wenn sie erfahren, dass der Sohn schwerbehindert war. Als wäre es dann nicht so schlimm. Ruth erzählt also nicht sehr oft davon.
Fallwickl schaut aufmerksam auf das Dumme, Hilflose und Böse, das Menschen begegnet. Die Männer, die sich für Elin nicht weiter interessieren. Valentin, der nichts über seinen Kumpel Nuri weiß – zum Beispiel nicht, „dass Nuri nicht studieren wird im Herbst, er hat es einfach angenommen und nicht begriffen, dass Nuri sehr viel lügt, indem er sehr oft schweigt“. Nuri hat nicht nur keinen Schulabschluss, er hat auch kein Geld. Seine Eltern haben ebenfalls kein Geld. Sie arbeiten hart, sie schlagen sich durch.
Als Ruth, alleine auf Station, einen Patienten nicht zurück ins Bett heben kann, wird ihr von der Nachbarstation geraten, die Feuerwehr zu rufen. Das macht sie dann auch. So eine Welt ist das. Sie dürfte, da Mareike Fallwickl von dort kommt, in Österreich liegen. Jedenfalls nicht sehr weit weg von dem, was man kennt.
Das Buch
Mareike Fallwickl: Und alle so still. Roman. Rowohlt, Hamburg 2024. 368 Seiten, 23 Euro.
Von Kapitel zu Kapitel wechselt die Perspektive der Erzählerin zwischen den drei Menschen. Zarte Fäden zwischen ihnen werden geknüpft oder sind schon da, werden nur erst nach und nach offenbart. Fallwickl ist eine gute Beobachterin, die Situationen sitzen, sind konkret und glaubhaft (auch wenn es gelegentlich nicht zu glauben ist).
Dazwischen die beunruhigenden Statements der Pistole, die es bedauert, nicht in den USA zu sein. „Ach Amerika, Amerika. Das Land meiner Träume.“ Dazwischen auch die Statements einer Gebärmutter, die nicht zu Unrecht den Eindruck hat, dass alle über sie bestimmen und mit ihr rechten, nur sie selbst hat keine Verfügungsgewalt. „Die Todesursache Nummer eins für schwangere Frauen weltweit ist Mord“, so die Gebärmutter.
Dazwischen außerdem die Statements einer „Berichterstattung“. „Ihr habt behauptet, mich neutral zu verwenden, und habt in Wahrheit eure misogynen, rassistischen, diskriminierenden Filter über jeden Artikel, jede Dokumentation, jedes Interview gelegt.“
Dann aber passiert etwas Unerwartetes. Offenbar im Zuge eines Flashmobs legen sich Frauen auf die Straße, es sind nicht ein paar, es sind unheimlich viele und bald auch viele weitere, die das gar nicht vorhatten. Jetzt werden sie von einen anscheinend unwiderstehlichen Sog mitgenommen. Sie liegen da, sie haben sich nicht einmal festgeklebt – dies die Befürchtung eines der Polizisten, die die Ordnung wiederherstellen sollen.
Das ist schwieriger, als es aussieht. Die Frauen liegen da, und immer wieder legen sie sich hin, statt zu arbeiten und die Haushalte zu versorgen, ihre Kinder und ihre Männer. Sie liegen da und nichts weiter. Insofern: „... es ist kein Aufstand, nicht einmal wörtlich, niemand steht.“ Aber innerhalb von wenigen Tagen – der ganze Roman umfasst nur eine Woche – gerät alles durcheinander, geraten ein paar Männer auch in eine sehr große Wut. Die Frauen aber geben nicht nach, tun sich auch zusammen, halten zusammen.
Das ist nun alles weit schwieriger zu erzählen, und es wird nicht nur utopisch – die unerhörte, mythologisch aufgeladene Utopie, dass Frauen ohne Männer auskommen könnten – , sondern sogar etwas pathetisch. Das stärkt den Roman nicht, es schwächt ihn. Allerdings muss man die pathetische Seite der Dinge auch nicht immer den Fans überlassen, die jetzt an den Bahnsteigen stehen und „kämpfen und siegen“ rufen, respektive brüllen. Vor diesem Hintergrund liest sich „Und alle so still“ selbst in dem am Kitsch entlangschraffenden Finale triftig und anregend.