Maren Eggert: „Gegen bestimmte Männerblicke habe ich regelrecht eine Allergie entwickelt“
Maren Eggert: „Ich bin auch jemand, die lieber zweimal nachdenkt.“
Wir treffen Maren Eggert an einem der in diesem Jahr so unbeständigen Berliner Sommertage. Sie wartet im Büro ihrer Berliner PR-Agentur und kommt dem Besuch gleich entgegen. Sie wirkt so viel nahbarer, als wir sie durch ihre Kinorollen etwa bei Angela Schanelec kennengelernt haben oder als Altertumsforscherin in „Ich bin dein Mensch“. Diesmal spielt sie eine Dirigentin. Obwohl sie in fast jeder Szene zu sehen ist, sagt sie wenig.
Frau Eggert, was halten Sie von dem Sprichwort „Reden ist Silber, Schweigen ist Gold“?
Ich bin auch jemand, die lieber zweimal nachdenkt. Ich gebe mir Mühe, nichts zu sagen, was ich im Nachhinein falsch finden könnte. Und: Ich mag Ruhe, ich höre gerne zu.
Dann sind Sie oft passend besetzt worden. Auch als Psychologin im Kieler „Tatort“ liegt Ihrer Figur das Schweigen mehr als das Sprechen.
Vielleicht gibt es da wirklich Parallelen. Bei der Psychologin hielt ich es für eine schöne Position, dass man zuhört, andere beobachtet. Viele meiner Rollen haben so einen Kontrollaspekt, das meine ich nicht negativ. Eine Figur, die ruhig ist und anderen zuhört, die hat den sichereren Platz.
Bedeutet es auch, Macht auszuüben?
Es ist ein bisschen wie beim Tennis: Abwarten und den anderen kommen lassen. Es gibt die Leute, die immer an einem Ort bleiben und die anderen, die hin und her springen.
Bei der Mutter-Figur in „Kein Wort“ kommt noch hinzu, dass sie nach dem Unfall ihres Sohnes gleich interpretiert, was passiert ist. Was sie sagt, schließt andere Möglichkeiten aus.
Nina hat auf jeden Fall ein starkes Bedürfnis, sich und andere zu kontrollieren, was natürlich mit ihrem Beruf zusammenhängt.
Sie ist Dirigentin eines Sinfonieorchesters.
Ja, und eine Aufführung funktioniert nur, wenn ganz klar ist, dass sie die Ansagen macht, zeigt, wo es langgeht. Das überträgt sich ein bisschen auf das Familienmodell.
Gerade haben wir Lars Eidinger als Dirigent in „Sterben“ gesehen, es gibt eine Kino-Dokumentation über Joana Mallwitz vom Konzerthausorchester, 2023 kam „Tár“ mit Cate Blanchett als Dirigentin heraus. Wie kommt es zu dieser Häufung?
Das kann ich nicht erklären. Unser Film ist 2022 gedreht worden, damals waren noch nicht einmal die Meldungen über „Tár“ raus. Jetzt landen wir fast in einer Welle. Doch noch immer sind es nur wenige Frauen in diesem Beruf. Es war mir sehr wichtig, ihn zu begreifen und in der Musik zu denken. Ich habe zur Vorbereitung mit einem Dirigenten in Berlin und mit einer Dirigentin in Slowenien gearbeitet. Dabei habe ich bemerkt, und die beiden bestätigten es, dass Frauen und Männer unterschiedlich herangehen. Der Dirigent ging sachlicher, schulischer vor. Die Dirigentin war ganzheitlicher, körperlicher, emotionaler.
„Kein Wort“ ist nicht nur von einer Frau geschrieben und inszeniert, das ganze Team bestand überwiegend aus Frauen. Macht das einen Unterschied bei der Arbeit?
Klar, ich habe gerade wieder mit einem Team gedreht, das mehrheitlich aus Männern besteht, das ist ganz anders. Frauen untereinander legen andere Schwerpunkte, sie achten anders auf den Energiehaushalt. Ich muss sagen, gegen bestimmte Männerblicke auf Frauen im Theater habe ich regelrecht eine Allergie entwickelt.
Weil die Schauspielerin zum Objekt wird?
Das ist ein Riesenprozess gerade, dass Beziehungsweisen aufgedeckt werden und man sich fragt: Was davon wollen wir eigentlich noch haben? Das findet auch im Film statt. Als Schauspielerin versucht man herauszufinden, was die Regisseurin oder der Regisseur von einem will. Es ist aber wichtig, dass man ein Subjekt bleibt, auch wenn man die Fantasie von jemandem bedient. Insofern war es für mich sehr interessant, eine Frauenfigur mit diesem Beruf zu erzählen.
Haben Sie das Dirigieren richtig gelernt?
Ich habe versucht, es so gut wie möglich in der kurzen Zeit zu lernen. Streckenweise hat es geklappt, aber diese Musiker waren Laien gewohnt.
Wieso?
In Kroatien gibt es eine Fernsehsendung, in der Laien dirigieren und einen Wettbewerb gewinnen können – wie bei „Let’s Dance“. Mit diesem Orchester aus Zagreb haben wir gedreht. Und bei der Aufnahme habe ich gemerkt, wie es passagenweise funktionierte, ich dachte: Jetzt folgen sie mir wirklich!
Wie war es?
Das war total euphorisierend. Achtzig Leute mit ihren Instrumenten, wenn die sich zu einem Klang bündeln und vorangehen, entsteht eine unheimliche Energie. Es war ein außergewöhnliches Erlebnis. Und während ich vor dem Orchester stand, konnte ich auch verstehen, wo es herkommt, dass viele Dirigenten eine dominante Ausstrahlung haben.
Das wäre der Typ Tár, also Cate Blanchett. Dagegen wirkt die Berliner Chefdirigentin Joana Mallwitz lebensfroh.
Ja, unbedingt. Mit ihr habe ich mich auch getroffen. Sie hat etwas Geerdetes, sogar Lustiges. Sie macht ja Abende, an denen sie zwischendurch dem Publikum die Musik erklärt. Die Dirigentin in Slowenien war ein ähnlicher Typ, sehr kommunikativ, sie arbeitet auch mit Kindern.
Der Film ist von der Musik Gustav Mahlers durchzogen. Sogar wenn Mutter und Sohn auf einer Atlantikinsel von Naturgeräuschen umgeben sind, scheint sie mitzuklingen. Wie wurde das gemacht?
Es ist die 5. Sinfonie – und so war es wirklich gedacht. Hanna Slak wollte die Musik in Film übersetzen. Einzelne Szenen sind minutenweise auf Passagen aus der Musik inszeniert. Gerade, wenn ich allein in der Natur bin, gibt es konkrete Entsprechungen in der Sinfonie. Ich hatte sie die ganze Zeit im Kopf. Und ich habe mich viel mit Gustav Mahlers Leben beschäftigt. Ich habe ihn als jemanden begriffen, der zu sehr tiefen Empfindungen fähig ist und sehr einsam war – anderseits auch sehr leidenschaftlich in der Liebe. Ich wollte verstehen, wie jemand ist, der solche Musik schreibt.
Ist das Schweigen Ihrer Figur aus einer Vorgeschichte geboren?
Das denke ich schon. Wir sehen nur eine Phase. Sie befindet sich in einem kreativen Prozess, in dem sie gerade nicht in der Lage ist, Kontakt zu anderen aufzunehmen. Das geht allerdings nicht mit einem Kind. Man kann nicht zu seinem Sohn sagen: In zehn Tagen rede ich mit dir.
Dadurch erscheint sie als Muttermonster. Wer selber in Arbeitszusammenhängen steckt, weiß, dass es solche Situationen gibt.
Und bei einer Dirigentin ist der Leistungsdruck besonders stark. Ich habe ihre Unfähigkeit sich aufzuteilen, verstanden. Aber wenn man Kinder hat, muss man sich darüber im Klaren sein, dass man seine Aufmerksamkeit zu teilen hat.
Maren Eggert als Dirigentin Nina Palčeck in „Kein Wort“, ab 4. Juli im Kino.
Sie sind Ensemblemitglied am Deutschen Theater. Ist es mit dem Druck, zu einer bestimmten Zeit kreativ zu sein, für eine Schauspielerin nicht ähnlich?
Früher habe ich auch so gearbeitet, ja. Mit den Kindern musste ich mich umstellen. Es hat mich aber beflügelt, mich im Leben nicht mehr nur um mich selber zu drehen. Das Textlernen mache ich jetzt während der Hausarbeit, ich habe mir angewöhnt, Dinge parallel zu tun. Beim Filmdreh ist es eine andere Sache, dafür bin ich meist an einem anderen Ort, allein, kann mich luxuriös auf die Arbeit konzentrieren.
Vertritt der Junge im Film die Generation Corona, die im Aufwachsen mit Beschränkungen konfrontiert war?
Das thematisiert der Film nicht, deutlich wird nur, dass der Junge durch eine Krise geht. Ein Mädchen, das er kannte, ist gestorben. Er muss sich mit dem Tod auseinandersetzen, ihm fehlt der Ansprechpartner. Ich habe mich auch wenig mitgeteilt als Jugendliche, weiß, wie schnell man sich isolieren kann.
Ich habe die Sprachlosigkeit als Metapher für die Gesellschaft verstanden, die sich seit Corona verändert.
Das ist ein interessanter Gedanke und ich muss Hanna, die Regisseurin, fragen, ob sie es so gedacht hat. Ich glaube viel allgemeiner, dass man sich schnell isolieren und von anderen abgeschnitten fühlen kann. Das ist – obwohl oder vielleicht gerade weil ich selbst gern schweige – meine Angst, dass man womöglich am Ende zu wenig redet. Egal, was gerade los ist, versuche ich bei meinen Kindern zu erreichen, dass sie mir erzählen, was gerade in ihnen vorgeht. Es gibt in letzter Zeit viele Berichte über Einsamkeit – da muss ich an den Film denken.