Huonders Beerdigung zeigt, warum die Kirche in der Schweiz kaum mit Reformen vorankommt

huonders beerdigung zeigt, warum die kirche in der schweiz kaum mit reformen vorankommt

Der Sarg von Vitus Huonder in der Kirche der Priesterbruderschaft in Ecône. Valentin Flauraud / Keystone

Die Beerdigung des Churer Altbischofs Vitus Huonder (1942–2024) wirkt wie aus einer anderen Zeit. Die Frauen tragen Rock, viele auch Schleier. Der Altarraum ist Männern vorbehalten. Die Jungen aus dem Institut Sancta Maria in Wangs (SG), wo Vitus Huonder seinen Ruhesitz hatte, tragen allesamt Anzug. Die Seminarkirche von Ecône (VS), die eigentlich 300 Personen Platz bietet, empfängt am Mittwoch mehr als 600 Gläubige. Zeitweilig verfolgen weitere 800 Personen die Zeremonie via Livestream. Sie alle nehmen Abschied von einem der umstrittensten Schweizer Bischöfe der jüngeren Geschichte.

Vieles ist anders an dieser Beerdigung. Zum einen der Ort. Eigentlich werden Bischöfe in ihrer Kathedrale bestattet. In der 1600-jährigen Geschichte des Bistums Chur ist Vitus Huonder der sechste Bischof, der nicht in der Kathedrale zur Ruhe gelegt wird. Und der erste seit 500 Jahren. Zum anderen die Abwesenheit der Kirchenoberen. Die Schweizer Bischofskonferenz (SBK) und auch Vertreter und Vertreterinnen der Landeskirchen bleiben der Beerdigung fern. Sie haben auch keine Gesandten ins Wallis geschickt. Als einziges SBK-Mitglied ist Joseph Maria Bonnemain, Huonders Nachfolger, gekommen. Er trägt Zivil und hat seine Teilnahme am Vortag in einer Medienmitteilung gerechtfertigt.

Der letzte Akt des Vitus Huonder spaltet die Schweizer Kirche. Der Altbischof bekennt sich über seinen Tod hinaus zu einer Bewegung, die in weiten Teilen der Kirche als schismatisch gilt. Der Traditionalist Huonder bricht nicht nur mit Traditionen, sondern er zeigt auch, wie gefangen die Schweizer Kirche ist zwischen den Reformforderungen von links und rechts.

Die Priesterbruderschaft Pius X., bei der Vitus Huonder seine letzte Heimat fand, gehört zum traditionalistischen rechten Rand. Sie ist der Kirche des 19. Jahrhunderts ergeben. Wie ihr Gründer, Marcel Lefebvre (1905–1991), sind ihre Anhänger Antimodernisten; davon überzeugt, dass Errungenschaften der Moderne wie die Aufklärung, Menschenrechte und Gewissensfreiheit vom wahren, allein auf Gott gerichteten Glauben abbringen.

Die Entfremdung von der römischen Amtskirche geschah als Reaktion auf das Zweite Vatikanische Konzil (1962–65). Es gilt der Bruderschaft und ihrem Umkreis bis heute als «neoprotestantisch» und «neomodernistisch». Die Messe in der Landessprache und die Ökumene lehnen sie ebenso ab wie das «lebendige Lehramt», welches Raum für theologische Entwicklungen lässt. Die Traditionalisten glauben an die eine ewige, unveränderliche Wahrheit. Wer von ihr abweicht, macht sich der Häresie schuldig. Eine Entwicklung der Lehre ist, aus ihrer Sicht, unmöglich. Von Neuerungen wie dem Frauenpriestertum oder dem Segen für Homosexuelle ganz zu schweigen.

Wegen ihrer Ablehnung zentraler Beschlüsse des Zweiten Vatikanischen Konzils sind die Piusbrüder von Rom nicht anerkannt. Ihr Gründer wurde 1988 exkommuniziert.

Unvereinbare Ansichten

Der Katholizismus der Piusbruderschaft hat mit der Realität der meisten Katholiken und Katholikinnen in der Schweiz wenig zu tun. Aber in konservativen Kreisen ist er durchaus verbreitet. Besonders in der Westschweiz ist die Bruderschaft fest verankert. Der Vatikan suchte in den letzten Jahrzehnten zwar immer wieder den Kontakt zu den Piusbrüdern, unter anderem durch Vitus Huonder. Er führte 2015 als vatikanischer Gesandter Gespräche mit der Bruderschaft. Aber eine Eingliederung in die Kirche misslang. Die Ansichten der Bruderschaften sind mit der Kirchenlehre unvereinbar.

Vitus Huonder hat in seiner Zeit als Bischof von Chur (2007–2019) mit seinen konservativen Ansichten immer wieder für Streit gesorgt. Seine Äusserungen zu Homosexuellen, sein Klerikalismus und die Weihe traditionalistischer Priester haben viele Menschen im Bistum Chur vor den Kopf gestossen. Im vergangenen Jahrzehnt ist Huonders Konservatismus in Ablehnung gekippt. Seinen Weg zur Piusbruderschaft hat Huonder 2023 in einem dreiteiligen Film auf Youtube dargelegt.

Wie Marcel Lefebvre sieht Huonder im Zweiten Vatikanischen Konzil den Sündenfall der Kirche. Erst seither akzeptiert die katholische Kirche, dass es auch in anderen Religionen Wahrheiten gibt, und nimmt Abstand von Missionen. Für Huonder und Lefebvre: inakzeptabel. Ebenfalls seit dem Konzil wird die Messe nicht mehr auf Latein, sondern in der Landessprache gefeiert. Für Vitus Huonder war das der Beginn des «grossen, von innen verursachten Leidenswegs der Kirche. In den vergangenen Jahrzehnten hat nichts so sehr zur Auflösung der Einheit der Kirche geführt wie die neue liturgische Ordnung.»

Diese und ähnliche Aussagen Huonders sind durchaus ernst gemeint. Und sie stehen im Widerspruch zur geltenden katholischen Lehre. Sie sind, katholisch gesprochen, schismatisch. Nicht nur, weil das Feiern der lateinischen Messe in der vorkonziliaren Form seit dem Konzil, mit kurzen Unterbrechungen, verboten ist.

Und darin liegt ein Problem für die Schweizer Kirchenoberen und der Grund für ihre Abwesenheit. Mit der Wahl Ecônes als letzte Ruhestätte und der Totenmesse auf Latein hat Huonder aus einem Nischenproblem der katholischen Kirche ein akutes für die Schweizer Hierarchie gemacht. Normalerweise sind Bischofsbeerdigungen Pflichtprogramm für Mitglieder der Schweizer Bischofskonferenz (SBK). In Ecône fehlten alle bis auf einen, mit Verweis auf ihre vollen Terminkalender. Wären sie gekommen, könnte das als Legitimation der Piusbrüder und von Huonders Traditionsbruch interpretiert werden.

Entsprechend schwer dürfte dem amtierenden Churer Bischof Joseph Maria Bonnemain die Entscheidung gefallen sein, nach Ecône zu kommen. In der Medienmitteilung rechtfertigte Bonnemain seine Teilnahme vorab und distanziert explizit sich von der Piusbruderschaft. Aus informierten Kreisen war zu hören, dass Bischof Bonnemain mit seiner Anwesenheit versuchen wolle, die Spannungen im Bistum zu mildern. Den im Bistum fest verankerten Traditionalisten gilt Bonnemain als zu liberal, und sie legen ihm bei Reformprojekten regelmässig Steine in den Weg.

Die Gläubigen kommen erst am Schluss

Alles in der Kirche ist Symbolpolitik. Sowohl Abwesenheiten als auch Anwesenheiten sprechen Bände. Gleiches gilt für das Verhalten während des Kommuniongangs. Während Hunderte Gläubige aufstehen, um zur Kommunion zu gehen, bleiben Bonnemain und der emeritierte Weihbischof Marian Eleganti sitzen. Bei aller Diplomatie, den symbolträchtigen Schritt zur Abendmahlgemeinschaft mit der von Rom abgespaltenen Bruderschaft gehen die beiden Kleriker nicht.

Nach Ende der Messe wird der Sarg Huonders aus der Kirche zur Gruft getragen. Auch hier folgt alles einer klar definierten hierarchischen Ordnung. Hinter dem Sarg gehen Bischof Bonnemain und Weihbischof Eleganti. Dahinter Kleriker und Seminaristen, es folgen die Knaben aus Wangs, die mit gefalteten Händen der Prozession folgen. Danach erst kommen die Ordensschwestern und erst ganz am Ende: die Gläubigen.

In Ecône ist die Kirche des 19. Jahrhunderts lebendig. Und hier zeigt sich das grosse Dilemma der katholischen Kirche als Ganzes. Wenn die Entscheidung, die Messe in der Landessprache zu feiern, noch 60 Jahre später zum Bruch mit Rom führt, was würde wohl passieren, wenn Schweizer Bischöfe wirklich Frauen zu Diakoninnen weihten oder homosexuelle Paare segneten? In Ecône und an der Causa Huonder zeigt sich ein Grund, warum die Schweizer Kirche kaum vorankommt mit Reformen, sie ist eingesperrt zwischen Forderungen von Traditionalisten und der Modernisten – und verharrt im Status quo.

Annalena Müller leitete zuletzt interimistisch die Redaktion von kath.ch des Katholischen Medienzentrums in Zürich. Die Historikerin tritt Anfang Juli die Stelle als Chefredaktorin beim «Pfarrblatt» Bern an.

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