Roma werden in vielen osteuropäischen Ländern systematisch diskriminiert und leben in Armut. Besitzen sie einen ukrainischen Pass, können sie in der Schweiz den Status S beantragen. Serhii Hudak / Imago
Mindestens die Hälfte der 470 Personen mit Schutzstatus S, die dem Kanton Graubünden seit Juli zugewiesen wurden, spricht weder Russisch noch Ukrainisch. Es handelt sich um Roma, die mit echten ukrainischen Pässen eingereist sind. Papiere, die offenbar auffällig oft von derselben Behörde, im selben Zeitraum und in derselben Gegend der Ukraine ausgestellt wurden.
Graubünden ist kein Einzelfall. Auch in anderen Kantonen kennt man das Problem. Denn die Roma haben mittlerweile einen sehr schlechten Ruf. Manche reisen ein, beziehen eine Wohnung, verlassen die Schweiz wieder, nur um ein halbes Jahr später zurückzukehren. Einige betteln, andere fallen wegen Lärmbelästigung auf, und viele hinterlassen nach der Abreise verschmutzte und verwüstete Wohnungen. Deshalb weigern sich immer mehr Vermieter, Wohnraum für Roma zur Verfügung zu stellen.
Politischer Druck bei Kanton und Bund
Roma werden in vielen osteuropäischen Ländern systematisch diskriminiert. Sie gelten als schlecht integrierbar, besuchten oft keine Schulen und können deshalb nicht oder nur schlecht schreiben und lesen. Einige Grossfamilien sind seit vielen Jahren auf organisierte Kriminalität spezialisiert.
In den Migrationsämtern der betroffenen Kantone kennt man die Probleme. Doch man ist weitgehend machtlos. Das Staatssekretariat für Migration (SEM) sagt, die Echtheit aller ukrainischen Reisepässe werde überprüft. Ethnien würden aber keine erfasst. Wer also glaubhaft machen kann, dass er bei Kriegsausbruch einen Wohnsitz in der Ukraine hatte, wird vom Bund einem Kanton zugewiesen. Und dort müssen die Behörden dann nach einer Bleibe suchen.
Lange nahmen die betroffenen Kantone den Missstand hin. Doch nun regt sich politischer Widerstand. Den Anfang macht St. Gallen, wo das Problem mit den Roma ausgeprägt ist. Im Kantonsrat reichte der Mitte-Fraktionschef Boris Tschirky eine Einfache Anfrage ein, und auf nationaler Ebene macht nun Ständerat Beni Würth (ebenfalls Mitte) Druck. Wie er der NZZ bestätigte, will er mittels einer Motion erreichen, dass der Bundesrat Anpassungen beim Schutzstatus S vornimmt.
«Die Akzeptanz des Schutzstatus S nimmt ab», schreibt Würth. Heute sei es möglich, dass Personen auf den Schutzstatus S verzichteten, Rückkehrhilfe bezögen und nach einigen Wochen wieder einreisten, um den Schutzstatus erneut zu erlangen. «Dieser Tourismus kann nicht akzeptiert werden», sagt Würth: Solche Wiedereinreisen sollten unterbunden werden. Die Sekundärmigration innerhalb Europas müsse mit einer Anwendung des Dublin-Prinzips begrenzt werden.
Damit tönt der St. Galler Ständerat an, in welche Richtung sich die öffentliche Debatte entwickeln könnte. Denn der Schutzstatus S wird zunehmend hinterfragt. Als er im März 2022 als Reaktion auf den Krieg in der Ukraine erstmals aktiviert wurde, war die Solidaritätswelle riesig. Viele Schweizerinnen und Schweizer stellten Wohnraum für die geflüchteten Familien aus der Ukraine zur Verfügung oder nahmen sie bei sich zu Hause auf.
Wie lange braucht es den Schutzstatus S noch?
Im Verlauf des Krieges wurde zunehmend Kritik laut. Die Integration der geflüchteten Ukrainerinnen und Ukrainer in den Arbeitsmarkt stellte sich als viel schwieriger heraus als angenommen. Im Rahmen des steigenden Spardrucks will der Bundesrat deshalb prüfen, wie die Kosten beim Schutzstatus S und generell im Asylbereich reduziert werden können.
Hier setzt auch Würth ein: Wenn der Bundesrat den Kostendruck im Flüchtlingsbereich senken wolle, müssten mehr Ukrainerinnen und Ukrainer arbeiten. Zudem brauche es Anpassungen beim Schutzstatus S. Denn laut Experten sei zwar davon auszugehen, dass der Krieg in der Ukraine noch über Monate oder Jahre anhalte, dass sich aber die Frontlinien nicht mehr signifikant oder allenfalls nur sehr langsam veränderten. Mit anderen Worten: Langsam stellt sich die Frage, ob der Schutzstatus S nochmals erneuert werden soll.
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