Marinesoldaten auf dem Deck des Flugzeugträgers HMS «Prince of Wales» im Hafen von Portsmouth: Der Royal Navy fehlt es an Soldaten und Schiffen. Leon Neal / Getty
Am 30. Januar verfolgt die HMS «Vanguard» eine bedeutsame Mission. Normalerweise ist das U-Boot im schottischen Faslane-on-Clyde stationiert – als eines der vier ballistischen Atom-U-Boote, die interkontinentale Trident-Raketen mitführen können. Nun aber ist die HMS «Vanguard» vor der Küste Floridas unterwegs, um die nukleare Abschreckung Grossbritanniens zu testen. Sie feuert eine mit einer Sprengkopf-Attrappe versehene Trident-Rakete ab, die die Erdatmosphäre durchbrechen und anschliessend irgendwo zwischen Brasilien und Westafrika im Meer landen soll.
Doch Verteidigungsminister Grant Shapps muss an Bord des U-Boots zuschauen, wie der erste britische Atomwaffentest seit 2016 scheitert: Die Rakete plumpst unmittelbar nach dem Start in den Atlantik. Der Vorfall bleibt einen Monat lang geheim. Danach beteuert Shapps, eine Anomalie habe das Scheitern verursacht und im atomaren Ernstfall wären die Atomwaffen einsatzfähig. Doch das Signal der Abschreckung ist missglückt: «Niemand wurde verletzt ausser der Reputation der Royal Navy», mokierte sich der Moskauer Sender Rossija 1.
Für einen Krieg nicht gerüstet
Der Vorfall befeuerte auch in Grossbritannien die Debatte um den Zustand und die Zukunft der Streitkräfte. «Es fehlt überall an Geld und Personal», erklärt Richard Whitman, Verteidigungsexperte und Professor für Internationale Beziehungen an der University of Kent. «Im Lichte des russischen Angriffs auf die Ukraine müssen wir uns überlegen, ob wir unsere Ressourcen richtig einsetzen.»
Angesichts des Wehklagens geht leicht vergessen, dass das Vereinigte Königreich neben Frankreich noch immer die bedeutendste europäische Militärmacht ist. Die Briten gehören zu den wichtigsten Unterstützern der Ukraine und sind bereit, ihre Fähigkeiten im Ernstfall auch einzusetzen. Zuletzt beteiligten sie sich an den amerikanischen Luftangriffen auf Stellungen der Huthi-Miliz in Jemen.
Und doch verfestigt sich der Eindruck einer Militärmacht, die ihren Ansprüchen je länger, je weniger gerecht wird. Ende Januar erklärte der Verteidigungsausschuss des Unterhauses in einem Bericht, die Streitkräfte wären für den Ausbruch eines mehrdimensionalen Krieges nicht gerüstet. Wenige Tage zuvor rief der amerikanische Marineminister Carlos del Toro die Briten dringend dazu auf, «angesichts der heutigen Bedrohungslage» die geplante Reduktion der Truppen zu überprüfen.
Flaggschiffe bleiben im Hafen
Sichtbar wird das Malaise an einem nassen Wintermorgen in Portsmouth, der wichtigsten Basis der Royal Navy. Im alten Hafen kann man die HMS «Victory» besichtigen. Das historische Flaggschiff der Marine symbolisiert die einstige Stellung Grossbritanniens als Herrscher über die Weltmeere. An Bord der HMS «Victory» errang Admiral Nelson 1803 den Sieg in der Seeschlacht von Trafalgar gegen die Flotten Spaniens und Frankreichs. Bis heute finden in Nelsons Kommandoraum die Abschiedsessen zurückgetretener britischer Premierminister statt.
Unweit der HMS «Victory» liegen mit der HMS «Queen Elizabeth» und der HMS «Prince of Wales» gleich beide der grossen Flugzeugträger vor Anker. Eigentlich sollten die knapp 8 Milliarden Pfund (9 Milliarden Franken) teuren Giganten durch die Weltmeere segeln und den Anspruch Brexit-Britanniens untermauern, unter dem Schlagwort «Global Britain» rund um den Globus als Schutzmacht für freie See- und Handelswege aufzutreten.
Dass die beiden Flugzeugträger stattdessen untätig im heimischen Hafen liegen, ist kein Zufall. Denn Grossbritannien fehlt es an Unterstützungsschiffen, um die HMS «Queen Elizabeth» und die HMS «Prince of Wales» gleichzeitig auf einer Mission zu beschützen. 1960 verfügte die Marine über 8 Flugzeugträger sowie 156 Zerstörer und Fregatten. 1980 hatte sich der Bestand kleinerer Kriegsschiffe halbiert. Heute unterhält die Royal Navy noch 18 Fregatten und Zerstörer – weniger als ähnlich grosse Länder wie Frankreich, Japan oder Südkorea.
Eine «Bürgerarmee» von Zivilisten?
Engpässe plagen auch die Royal Airforce und vor allem die British Army. Ben Berry, Militärexperte bei der Londoner Denkfabrik IISS, schreibt in einer Analyse, die British Army habe mit weit älterem Material zu kämpfen als viele Alliierte – darunter Panzer aus den 1970er Jahren. «Im Ernstfall wären die britischen Panzerbrigaden langsamer und würden mehr Verluste erleiden als die amerikanischen», schreibt Berry. «Das beunruhigt die amerikanischen Generäle am meisten.»
2021 propagierte Boris Johnson unter dem Applaus vieler Experten eine Reduktion der teuren Panzer und Investitionen in billigere Cyberfähigkeiten, künstliche Intelligenz und hybride Kriegsführung. Doch der russische Angriff auf die Ukraine hat gezeigt, dass klassische Territorialkonflikte keineswegs der Vergangenheit angehören. «Man kann sich mit Cyber keinen Weg über einen Fluss bahnen», bemerkte der britische Armeegeneral Patrick Sanders im Sommer 2022.
Auch die schrumpfende Truppenstärke wirkt angesichts der neuen Bedrohungslage nicht mehr zeitgemäss. Die Zahl von Soldaten und Reservisten beträgt noch knapp 185 000, was dem tiefsten Stand seit dem Ende der Napoleonischen Kriege von 1815 entspricht. Da die Militärlaufbahn für viele junge Briten nicht mehr attraktiv ist, sind die Streitkräfte von massiven Rekrutierungsproblemen geplagt. Für grossen Wirbel sorgte General Sanders jüngst mit der Forderung, Grossbritannien müsse eine «Bürgerarmee» von Zivilisten trainieren, um für einen allfälligen Angriff Russlands gewappnet zu sein.
Bürokratie bei der Beschaffung
Ein Teil der Probleme ist finanzieller Natur. 1956 investierten die Briten 7,6 Prozent ihres Bruttoinlandprodukts in die Verteidigung, heute sind es 2,2 Prozent. Im gleichen Zeitraum stiegen die Gesundheitsausgaben von 2,8 auf 8,4 Prozent der Wirtschaftsleistung, was zeigt, wie sich die politischen Prioritäten verschoben haben.
Grossbritannien gehört zwar zu den wenigen Ländern, die das 2-Prozent-Ziel der Nato erreichen. Ein guter Teil des Budgets wird aber von den steigenden Kosten für die Modernisierung der nuklearen Abschreckung absorbiert. Zieht man die Ausgaben für die Atomwaffen ab, gibt Grossbritannien 1,75 Prozent seiner Wirtschaftsleistung für die Verteidigung aus.
Entsprechend fehlt das Geld im konventionellen Bereich. «Wir haben viele Anschaffungen zu lange hinausgeschoben», erklärt Richard Whitman von der University of Kent. Dazu kommen die Inflation sowie die hohen Ansprüche Grossbritanniens an die Breite seiner militärischen Fähigkeiten und die Qualität der Ausrüstung. «Wir haben einen teuren Geschmack, den wir uns nicht mehr leisten können», sagt Whitman.
Als Beispiel nennt er die Anschaffung des Schützenpanzers Ajax. Dieser wird von den spanischen und österreichischen Streitkräften eingesetzt. Doch anstatt den Panzer pfannenfertig zu kaufen, formulierten die Beamten im britischen Verteidigungsministerium 1200 Kriterien an Design und Produktion, was die Anschaffung verteuerte und verzögerte. Ein Sonderwunsch verursachte gar ohrenbetäubende Vibrationen, welche die massgeschneiderten Panzer anfänglich unbrauchbar machten.
Sorgt Trump für Trendwende?
Zieht der unberechenbare Donald Trump erneut ins Weisse Haus ein, könnte das Interesse an einem militärisch starken Vereinigten Königreich nicht nur in Grossbritannien, sondern auf dem europäischen Kontinent und in der Ukraine markant zunehmen. Um den Ansprüchen gerecht zu werden, müssten sich die Briten auch einmal mit einer zweitbesten Lösung zufriedengeben, ihre Bürokratie im Beschaffungswesen abbauen – und mehr Geld ausgeben.
Doch vor den wohl im Herbst stattfindenden Unterhauswahlen nutzen die Konservativen die engen budgetären Spielräume lieber für Steuersenkungen. Die in dem Umfragen führende Labour-Partei will den Verteidigungsetat nicht kürzen, doch bleiben ihre sicherheitspolitischen Pläne vage. Somit scheint ungewiss, ob Grossbritannien den politischen Willen aufbringt, trotz schlechter Wirtschafts- und Haushaltslage in die langfristige Sicherung seiner Militärmacht zu investieren.
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