Vom rechten Rand der CVP in die Mitte der Mitte: Der wandlungsfähige Herr Pfister

vom rechten rand der cvp in die mitte der mitte: der wandlungsfähige herr pfister

Gerhard Pfister hat ein Gespür für den Zeitgeist. Christian Beutler / Keystone

Im Januar lud die Mitte zu ihren Dreikönigsgesprächen ins Alpine Museum in Bern. Draussen begann es zu schneien, drinnen entwickelte sich eine fast schon sakrale Atmosphäre.

Nach den offiziellen Reden versammelte sich eine Traube von Journalisten um Gerhard Pfister. Der Präsident stand in der Mitte und erzählte dasselbe wie seit Monaten: die Geschichte vom Ende des Bürgerblocks und vom Beginn eines neuen dritten Pols, angeführt von der Mitte. Die Medienschaffenden lauschten andächtig. Ein warmes Licht schien die Gruppe zu umgeben, alle lächelten.

Wenn Gerhard Pfister spricht, hören die Menschen zu. Der 61-Jährige hat die Gabe, seine Parolen in zeitgeistige Narrative zu giessen, die grösser klingen, als es die Schweizer Politik mit ihren langwierig-kleinteiligen Prozessen eigentlich ist. Und er schreckt auch nicht davor zurück, seine Glaubenssätze für den Volkswillen passend zu machen.

Das zeigte sich jüngst beim Thema 13. AHV-Rente. Im Januar kündigte Gerhard Pfister noch an, den Ausbau «entschieden bekämpfen zu wollen». Jetzt, nach verlorener Abstimmung, fühlt er sich «bestätigt» und flicht die Niederlage gekonnt in seine Erzählung der neuen Mitte ein, die sich von links und rechts abgrenzt. «Ich war schon immer der Ansicht, dass es die Aufgabe unserer Partei sein muss, die sozialen Fragen und Ängste ernster zu nehmen», sagte er jüngst den Tamedia-Zeitungen. Seine Partei müsse eine Art dritten Weg finden zwischen zu grosser Staatsbefürwortung und -ablehnung.

Im Geiste von Philipp Etter

Der Plan ist nicht neu, schon der Zuger Bundesrat Philipp Etter hatte ihn in den 1930er und 1940er Jahren propagiert. Doch eine gute Erzählung ist immer erst der Anfang. Um erfolgreich zu sein, braucht man in der Politik Mehrheiten. Und hier hapert es immer wieder. Zwar hätte die Mitte im Parlament die Macht der Mehrheitsmacherin. Sie kann mit ihren Stimmen eine Abstimmung nach rechts oder links kippen lassen. Doch dafür müsste sie geschlossen auftreten. Und da fangen Pfisters realpolitische Probleme an. Schon vor den Wahlen im Oktober 2023 hat der Präsident versucht, seine Partei auf einen linkeren Kurs zu trimmen. Etwa bei Vorschlägen für einen Ausbau von Prämienverbilligungen. Doch die Mehrheit der Mitte-Ständeräte stellte sich ihm in den Weg und verschaffte den Rechten eine Mehrheit.

Pfister reagiert darauf mit Rüffeln, manchmal sogar via Medien. Die Pointe: Er war selbst einmal ein «notorischer Abweichler am rechten Rand der Bundeshausfraktion», wie das «Magazin» ihn 2016 nannte, kurz bevor Pfister zum Präsidenten der damaligen CVP gewählt wurde.

Die Parlamentarier-Ratings von Sotomo für die NZZ zeigen: In den letzten acht Jahren ist Pfister vom rechten Rand der CVP in die Mitte der Mitte gerückt. Wenn Gerhard Pfister die Politik der Mitte neu erfindet, erfindet er auch sich selbst. Oder anders gesagt: Keiner verkörpert die Entwicklung der CVP von der katholisch-konservativen Milieupartei zur Partei der sozialliberalen Mitte wie der 61-jährige Zuger. Auch wenn er selbst sagt, er habe seine Überzeugungen nie geändert und sich immer als Zentrumspolitiker betrachtet.

Die politische Karriere von Gerhard Pfister begann 1998. Der damals 36-Jährige wurde zuerst Zuger Kantonsrat und kurz darauf Präsident der kantonalen CVP. Sinnigerweise stellte er seine ohnehin bürgerliche Kantonalpartei als konservatives Gegenstück zur damals christlichsozial geprägten nationalen CVP auf.

Später, in Bundesbern, fürchteten Parteikollegen sogar, Pfister würde die CVP in Richtung SVP verlassen. So gehörte der Nationalrat 2006 zu einem erlauchten Kreis von rund zwanzig rechtsbürgerlichen Parlamentariern, die Christoph Blocher in sein Schloss nach Rhäzüns lud. Doch der soziale Flügel der CVP im Bundeshaus schrumpfte, und Pfister blieb seiner Partei treu. 2012 überzeugte er seine Fraktion vom rechten Anliegen, dass Asylbewerber Nothilfe statt Sozialhilfe bekommen sollten.

Ein christliches Land

Als Gerhard Pfister dann 2016 das Präsidium der nationalen CVP übernahm, versuchte er es zu Beginn mit einer ähnlichen Strategie wie jener, mit der er bereits in Zug und Bern Erfolg gehabt hatte: Er startete eine konservative Wertedebatte, lancierte ein Islam-Papier. Die Schweiz müsse wieder dazu stehen, ein christliches Land zu sein, die Kinder sollten in den Religionsunterricht, sagte er damals dem «Blick». Doch die Schweiz folgte ihm nicht. Und eine von Pfister angestossene Studie ergab, dass die Mehrheit der CVP-Wähler eine bürgerliche Partei mit sozialem Anstrich will.

Also machte Pfister, der konservative Innerschweizer, eine Spitzkehre und leitete den Wandel ein, den er bis heute vorantreibt. Er opferte das katholische C, fusionierte mit der BDP und begann die Erzählung der «konstruktiven Mitte», mit der er seine Partei in die Wahlen 2023 führte. Plötzlich hörte man neue, urbanere Töne von ihm. So zeigte Pfister während des vergangenen Wahlkampfs Verständnis für Menschen mit einem dritten Geschlecht und betonte den Wert der Personenfreizügigkeit mit der EU, die 90 Prozent der Zuwanderung ausmache.

Die Linkskurve zahlte sich aus. Nach jahrzehntelangem Misserfolg legte die Mitte im Oktober 2023 zu, überholte die FDP bei der Fraktionsstärke und holte bei der Wählerstärke fast auf. Die linke «Wochenzeitung» war entzückt von Pfisters Kurs und schrieb, er müsse nun in den Bundesrat, um die Vierermehrheit von FDP und SVP zu brechen.

Der Erfolg scheint anzuhalten. Bei den kantonalen Wahlen im Thurgau Anfang April gewann die Mitte ebenfalls Sitze. «Die Partei könnte der FDP mittelfristig national und tendenziell auch kantonal den Rang ablaufen», sagt Michael Hermann, Chef von Sotomo. Allerdings nicht in erster Linie wegen der ideellen Überzeugungskraft des Pfister-Kurses, sondern wegen der Schwäche des Freisinns. «Die FDP kann im Moment machen, was sie will, sie verliert», sagt Hermann. So gab die Partei im März ihren zweiten Regierungssitz in Glarus auf.

Und das, obwohl man bei der FDP bei allen Problemen weiss, wofür sie steht: für liberale Werte. Die Leiterzählung lässt sich leicht in Realpolitik übersetzen, niemand muss lange nachdenken, welche Haltung eine FDP beim Rentenalter oder bei den Prämienverbilligungen hat.

Mitte sein ist kein Programm

Anders bei Pfisters Partei. Die Mitte müsse den Ausgleich schaffen, wo es nötig sei für den Zusammenhalt der Gesellschaft, schreibt der Präsident auf Anfrage. Doch die Position der Mitte ist noch kein Programm. Bei den Prämienverbilligungen war man sich parteiintern uneinig. Bei der AHV reagierte die Mitte zu spät, bei der Aufstockung des Militärbudgets änderte sie die Meinung und könnte es wieder tun.

Die Haltung wird auch nicht klarer, wenn man sich die Initiativen der Mitte anschaut. Die Kostenbremse, über welche die Bevölkerung im Juni abstimmt, fordert eine Senkung der Gesundheitskosten, ohne zu skizzieren, wie sie erreicht werden soll. Und bei den «Fairness-Initiativen» scheint der alte Geist der konservativen Familienpartei CVP zu herrschen. Sie will die Benachteiligung der Ehepaare in der AHV oder bei den Steuern aufheben.

Der Freisinn ist liberal, die SVP konservativ, die SP sozial und die GLP zukunftsgläubig. Was ist die Mitte, wenn sie nicht mehr katholisch ist? Warum soll ein Oberwalliser Ständerat wie Beat Rieder dieselben Anliegen vertreten wie die Mitte-Präsidentin der Stadt Luzern, Karin Stadelmann?

Diesen Bogen zu schlagen, sieht Gerhard Pfister als seine Aufgabe. «Wir müssen weiter an unseren Strukturen und unserem Profil arbeiten», sagt er. Einfach wird es nicht. «Der Parteipräsident mag zwar vom Ende des Bürgerblocks sprechen», sagt Michael Hermann, «aber ein wesentlicher und mächtiger Teil seiner Repräsentanten im Parlament und in den Kantonen fühlt sich diesem immer noch zugehörig.» Nicht jeder bewegt sich so leicht wie Gerhard Pfister.

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