Prof. Carmen Scheibenbogen forscht zu Long Covid Erkrankungen.
Dieser Freitag ist ein Jahrestag in Berlin. Kein Feiertag, eher ein Tag für eine Bestandsaufnahme. Am 1. März 2020 erreichte Corona die deutsche Hauptstadt. Ein 22-jähriger Student wurde an der Charité positiv auf Sars-CoV-2 getestet, der erste offizielle Fall, Patient null. Er wurde isoliert, untersucht, behandelt. Die Pandemie nahm nun in Berlin ihren Lauf.
Fast auf den Tag genau vier Jahre später nimmt Carmen Scheibenbogen in einem Konferenzraum auf dem Campus Mitte der Charité Platz, um über die Spätfolgen von Corona zu berichten. An dem Universitätsklinikum ist sie stellvertretende Direktorin des Instituts für Medizinische Immunologie und Leiterin des Fatigue Centrums. Sie ist in Deutschland eine der Expertinnen auf dem Gebiet für Long Covid und der vielen damit verbundenen Krankheitsbilder. Zu einer der schwersten und komplexesten Ausprägungen gehört ME/CFS. Die Berliner Professorin hat bereits vor der Pandemie dazu geforscht.
Vielleicht ist ME/CFS ein gutes Beispiel, an dem sich zeigen lässt, wie weit Deutschland bei der Erforschung und im Umgang mit Corona bislang gekommen ist. „Die Situation ist mit Sicherheit besser als vor der Pandemie“, sagt Carmen Scheibenbogen. Neben Uta Behrends in Bayern mit dem Schwerpunkt Kinder und Heranwachsende war sie die Einzige, die sich vor Sars-CoV-2 mit der postviralen Erkrankung befasste. Inzwischen gibt es in Deutschland nicht nur in Berlin und München, sondern auch andernorts medizinische Zentren für Patienten mit ME/CFS.
„Insgesamt passiert aber zu wenig“, sagt Carmen Scheibenbogen. „Die meisten Betroffenen sind nicht gut versorgt.“ Ein Anfang könnte im vergangenen September gemacht worden sein, als Bundesforschungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) Fördermittel in Höhe von 15 Millionen Euro in Aussicht stellte. Welche Studien konkret mit dem Geld finanziert werden, steht noch nicht fest. „Die Mitteilung dazu erwarten wir in diesem Frühjahr“, sagt Scheibenbogen. „Wir haben in Deutschland an die 30 Forschungsprojekte, die sich mit ME/CFS beschäftigen. Das ist in dieser Form noch nie dagewesen und wird die Behandlung der Erkrankung schnell voranbringen.“
Prof. Carmen Scheibenbogen
Für den Bereich Long Covid insgesamt sollen die öffentlichen Investitionen noch deutlicher aufgestockt werden. „Es wird zeitnah eine Bekanntmachung geben, dass etwa 80 Millionen in die Versorgungsforschung fließen“, sagt Scheibenbogen. Die Charité bekam unterdessen Mittel bewilligt für ein Projekt, das sich auf schwer von Long Covid betroffene Patienten konzentriert. Zusammen mit der Krankenkasse BKK werden deren Versicherte mit ebendiesem Krankheitsbild regelmäßig zu Hause aufgesucht. „Wir begleiten sie jeweils sechs Monate lang, um zu sehen, wie wir ihnen helfen können“, sagt Scheibenbogen. Liegen Symptome vor, aber noch keine Diagnose, wird diese stationär von der Charité erstellt. Die jeweiligen Hausärzte werden in das Projekt einbezogen, die Pflegedienste, ein Team stellt schließlich einen Behandlungsplan auf. „Nach sechs Monaten schauen wir, ob es den Patienten besser geht.“
Parallel werden die Daten zu Long Covid erfasst, wie oft und wie stark die Spätfolgen einer Infektion in Deutschland insgesamt auftreten. „Diese Daten haben wir bisher nämlich noch nicht“, sagt Scheibenbogen. Lediglich Anhaltspunkte stehen zur Verfügung, etwa die Zahlen aus England, wo der Anteil der Betroffenen an der Bevölkerung bei drei Prozent liegt. Die Krankenkasse AOK veröffentlichte aktuell das Ergebnis einer Erhebung unter ihren Versicherten, der zufolge zwei Prozent wegen Long Covid krankgeschrieben waren. „Wir wissen aber, dass Long Covid in Deutschland untererfasst ist.“ Dass Fälle durchs Raster fallen, liegt zum Teil auch an einem Mangel an Aufklärung, selbst in Fachkreisen. „Mich irritiert, dass einige Ärzte Long Covid diskreditieren, auf eine psychische Erkrankung reduzieren und sämtliche Studien negieren“, sagt Scheibenbogen.
Mittlerweile forschen Wissenschaftler weltweit zu Long Covid. Allein an der Charité laufen fünf Therapiestudien. Eine befasst sich mit dem Verfahren der Immunadsorption: Dabei werden Antikörper per Blutwäsche dem Körper entzogen und können sich nicht mehr gegen ihn richten. Mit ungefähr 15.000 Euro ist es ein teures Verfahren, das auch nur einige Monate Wirkung zeigt, die Krankheit somit nicht heilt. Doch immerhin: „Wir sehen, dass es zwei Drittel der Patienten dadurch besser geht“, sagt Scheibenbogen.
Die Charité-Professorin gehört einer Expertengruppe an, die momentan prüft, ob Medikamente, die bei anderen Erkrankungen erfolgreich angewandt werden, auch für Patienten mit Long Covid in Betracht kommen: „Off lable use“, die Fachleute haben eine Liste mit Vorschlägen erstellt. Veröffentlicht wurde sie noch nicht. „Das Procedere dauert länger, als ich es mir wünschen würde“, sagt Carmen Scheibenbogen – fast auf den Tag genau vier Jahre, nachdem Corona nach Berlin gekommen war.
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