Der Frust über die Leistung seiner Mannschaft war Thomas Tuchel anzusehen.
Der Trainer von Bayern München äussert Kritik auch gerne mal öffentlich, sei es an der Klub-Führung, an Experten oder nun an den eigenen Spielern. Erhört wurde Thomas Tuchel bisher nicht immer – dabei könnte er recht haben.
Thomas Tuchel scheint kein glücklicher Mann zu sein. Zumindest könnte man das annehmen, wenn man dem Trainer des FC Bayern in Interviews zuhört, die er seit seinem Amtsantritt in München vor rund zehn Monaten gegeben hat.
Mal ist Tuchel unzufrieden mit den mangelnden Verpflichtungen des deutschen Rekordmeisters, mal ärgert er sich über die Kommentare von TV-Experten wie Didi Hamann oder Lothar Matthäus und jetzt echauffiert er sich über den Auftritt seines Teams gegen Werder Bremen. Zum ersten Mal seit September 2008 unterlagen die Münchner dem einstigen Rivalen aus dem hohen Norden.
«Wir wollten ein Bundesligaspiel zwischen Übermut und Schongang runterreissen.»
– Bayern-Trainer Thomas Tuchel –
Bei der von deutschen Medien als Blamage betitelten 0:1-Niederlage sah Tuchel einen «belanglosen» Auftritt, «fehlenden Biss» sowie «schlampiges Zweikampfverhalten». Das könne nicht der Anspruch des FC Bayern München sein und gehe «gegen jedes Gesetz des Leistungssports». Tuchel stimme Thomas Müller zu 100 Prozent zu, wenn der in der 64. Minute eingewechselte Altmeister seinen Mitspielern fehlendes Feuer unterstellte.
Thomas Müller (r.) äusserte deutliche Kritik an seinen Mitspielern.
Es sind neue Töne, die Tuchel nach der erst zweiten Niederlage in der laufenden Bundesliga-Saison anschlug. Bisher hatte er sich fast ausschliesslich lobend über sein Team geäussert. Nun macht er seinen Spielern den schlimmsten Vorwurf, den man einem Profisportler machen kann: mangelnden Einsatz. «Wir haben heute gespielt, als ob wir in der Liga mit zehn Punkten führen würden und am Dienstag ein Champions-League-Spiel haben. Wir wollten ein Bundesligaspiel zwischen Übermut und Schongang runterreissen», so Tuchel.
Immer wieder erleidet Tuchels Bayern Rückschläge
Dass den Münchnern trotz deutlicher statistischer Überlegenheit und 21 Schussversuchen kein einziger Treffer gelang, kann durchaus mit fehlender Konsequenz in der ansonsten eigentlich hervorragenden Offensive um Harry Kane und Leroy Sané erklärt werden. Tuchel machte auch klar, dass er sein Team nicht länger in Schutz nehmen wolle: «Ich habe auch keine Lust mehr zu sagen, dass wir gut trainieren. Das glaubt mir ja keiner mehr.»
Der 50-Jährige muss sich und seine Methoden auch selbst hinterfragen und als möglichen Grund dafür ansehen, dass der Bundesligist unter dem jetzigen Trainer immer wieder Rückschläge erlebt. In der laufenden Saison waren dies zum Beispiel das 1:2-Debakel im DFB-Pokal gegen Drittligist Saarbrücken, die 1:5-Klatsche in Frankfurt und nun die 0:1-Niederlage gegen Bremen.
Gleichzeitig befindet sich der FC Bayern aber in einer ungewohnten Situation. Im Vergleich zu den vergangenen Jahren steht der Klub mit 41 Punkten nach 17 Spielen völlig im Soll. Seit Einführung der Dreipunkteregel zur Saison 1995/96 wurde ein Team mit mindestens so vielen Punkten immer Herbstmeister. In dieser Saison hat der 33-fache Meister aber einen Konkurrenten, dessen Bilanz selbst mit den dominantesten Bayern-Teams mithalten könnte. Sieben Punkte mehr als die Münchner hat Leverkusen vor Bayerns Nachholspiel gegen Union Berlin am Mittwochabend.
Zwei von Tuchels stärksten Befürwortern sind weg
Der Druck auf Tuchel ist also riesig. Zumal sein Vorgänger Julian Nagelsmann entlassen wurde, obwohl die Bayern an der Spitze der Bundesliga standen und sowohl in Champions League als auch DFB-Pokal noch vertreten waren. Die damaligen Entscheidungsträger Oliver Kahn und Hasan Salihamidzic wurden mittlerweile entlassen, womit Tuchel zwei seiner stärksten Befürworter verloren hat.
«An der Qualität der Mannschaft kann es nicht liegen.»
– Bayern-Vorstandschef Jan-Christian Dreesen –
Der neue Vorstandschef Jan-Christian Dreesen sagte am Sonntag: «An der Qualität der Mannschaft kann es nicht liegen.» Ehrenpräsident Uli Hoeness steht Tuchel ohnehin nicht unkritisch gegenüber und rügte diesen unter anderem für seine Beanstandung des Kaders.
Dabei könnte Tuchel genau damit recht haben. Wirkliche Mentalitätsmonster waren die Münchner schon unter Nagelsmann nicht mehr. In den letzten Wochen unter dem jetzigen Deutschland-Coach holte Bayern zehn Punkte weniger als der BVB und verlor Platz 1 an den Konkurrenten aus Dortmund. Statt Leadern wie Bastian Schweinsteiger oder Philipp Lahm, wie sie zu Beginn der mittlerweile elf Saisons anhaltenden Bundesliga-Dominanz im Kader gestanden hatten, sucht nun ein Joshua Kimmich nach seiner passenden Position und Rolle im Team. Jetzt hinterfragt gar Müller die Einsatzbereitschaft seiner Mitspieler.
Uli Hoeness sieht Thomas Tuchel nicht unkritisch.
Ausserdem wurde auch gegen Bremen offensichtlich, dass die Münchner von einem echten Sechser profitieren würden. Das Gegentor entstand zwar auf dem Flügel, doch gingen sowohl der Grosschance durch Jens Stage in der Frühphase der Partie als auch dem aberkannten Tor von Justin Njinmah in der ersten Halbzeit lange Pässe durch die Mitte voran. Viel zu einfach konnten die Bremer das Zentrum passieren. Das kann einem Trainer wie Tuchel, der immer wieder eine sogenannte «Holding 6» forderte, nicht gefallen.
Das aberkannte Tor von Justin Njinmah ab 2:47., Video: YouTube/SPORT1
Zwar schlug der Trainer nach der Verpflichtung von Eric Dier für die Innenverteidigung sanftere Töne an, da Leon Goretzka und Konrad Laimer dadurch nicht mehr in der Defensive aushelfen müssten und deshalb fürs Mittelfeld zur Verfügung stehen würden. Ausserdem habe der 19-jährige Aleksandar Pavlovic angedeutet, eine echte Option im defensiven Mittelfeld zu sein.
Der Wunsch nach der «Holding 6» bleibt unerfüllt
Jedoch hätte eine Verpflichtung eines defensiven Mittelfeldspielers, der seine Position vor der Abwehrkette – anders als Kimmich, dem Tuchel die Eignung für die Rolle als «Holding 6» absprach, – hält und primär defensive Aufgaben übernimmt, sofort Abhilfe schaffen können. Davon, wie wichtig ein Spieler wie Manchester Citys Rodri in einem Topteam sein kann, kann Pep Guardiola ein Lied singen. Aus seiner Zeit bei Chelsea weiss auch Tuchel, wie wertvoll beispielsweise die Präsenz eines N’Golo Kanté für den Triumph in der Champions League war.
Ihm sprach Thomas Tuchel die Eignung für die Position als «Holding 6» ab: Joshua Kimmich.
Dennoch wollten oder konnten die Bayern ihrem Trainer seinen Wunsch, anders als im Falle von Harry Kane, bisher nicht gewähren. Im Sommer hatte Tuchel erst den mittlerweile bei Arsenal brillanten Declan Rice und dann Fulhams Joao Palhinha als Verstärkung auserkoren. Der Deal für den Portugiesen scheiterte am letzten Tag der Transferperiode, weil die Londoner nicht rechtzeitig einen Ersatz finden konnten.
Auch in dieser Transferperiode deutet nichts darauf hin, dass die Münchner noch einen solchen Spieler verpflichten würden. Einen Gefallen tun sie ihrem in die Kritik geratenen Trainer damit wohl nicht.
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