Ministerpräsident Benjamin Netanyahu sperrt sich gegen eine Zweistaatenlösung – ;aus innenpolitischen Gründen. Ronen Zvulun / AP
«Israel hätte die Tragödie des 7. Oktobers in eine Chance verwandeln können, um endlich ernsthaft eine Zweistaatenlösung zu verfolgen», sagte ein linker israelischer Aktivist am Donnerstagmittag in einem Restaurant in Jerusalem. «In anderen Zeiten wäre das möglich gewesen. Aber nicht mit Bibi. Er würde das politisch nicht überleben.»
Wenige Stunden später gab ihm Benjamin «Bibi» Netanyahu recht. Bei einer Pressekonferenz in Tel Aviv am Abend schlug er einen scharfen Ton an. «Dieser Konflikt dauert nicht an, weil ein palästinensischer Staat fehlt, sondern weil ein jüdischer Staat existiert.» Der israelische Ministerpräsident schloss daraus: «In der Zukunft muss Israel das gesamte Gebiet vom Fluss bis zum Meer kontrollieren.» Netanyahu meint damit das vollständige Territorium des ehemaligen Mandatsgebiets Palästina von der jordanischen Grenze bis zum Mittelmeer, inklusive des Westjordanlandes.
Netanyahu weiss, dass er die USA damit brüskiert. Tags zuvor hatte der amerikanische Aussenminister Antony Blinken beim WEF in Davos eine Vision für einen palästinensischen Staat gefordert. Nur so sei «echte Sicherheit» für Israel möglich. Netanyahu bleibt in dieser Frage allerdings stur. Als Regierungschef müsse er «imstande sein, auch ‹Nein› zu sagen, wenn es nötig ist, selbst zu unseren besten Freunden», erklärte der 74-Jährige in Richtung USA.
Am Freitagabend hörte sich sein ‹Nein› dann nicht mehr so klar an. Zum ersten Mal seit 27 Tagen telefonierte Netanyahu mit US-Präsident Joe Biden. Nach dem Gespräch sagte Biden Journalisten, dass Netanyahu einen palästinensischen Staat nicht grundsätzlich ablehne. «Es gibt eine Reihe von Zweistaatenlösungen», sagte Biden. Der Präsident war laut amerikanischen Medien zuversichtlich, dass etwa ein palästinensischer Staat ohne eigenes Militär auf Zustimmung in Israel stossen könne. Eine Zweistaatenlösung sei auch mit Netanyahu im Amt möglich, sagte Biden den anwesenden Reportern.
Doch am Samstagabend widersprach der israelische Ministerpräsident der Darstellung seines wichtigsten Verbündeten. «Ich werde keine Kompromisse eingehen, wenn es um die volle israelische Sicherheitskontrolle über das gesamte Gebiet westlich des Jordans geht – und das steht im Widerspruch zu einem palästinensischen Staat», schrieb Netanyahu auf der Online-Plattform X. Laut der «Jerusalem Post» stellte das Büro des israelischen Regierungschefs in einer Stellungnahme klar, dass Netanyahu in seinem Gespräch mit Biden die Position bekräftigt habe, die er seit Jahren konsequent vertrete.
Die gegenwärtige Regierung würde die Macht verlieren
Mit welcher Vehemenz Netanyahu die Amerikaner – die sein Land immerhin mit jährlich 3,8 Milliarden Dollar Militärhilfe unterstützen – öffentlich vor den Kopf stösst, überrascht. Netanyahu präsentiert sich in Israel als Hardliner, weil er bereits auf die nächsten Wahlen schielt.
Laut einer Umfrage vom 28. Dezember würde seine Likud-Partei nur noch auf 16 Sitze in der Knesset, dem israelischen Parlament, kommen. Bei der Wahl im November 2022 erhielt die Partei noch doppelt so viele Mandate. Die gegenwärtige Regierung würde bei Neuwahlen die Macht verlieren – denn viele Likud-Wähler machen Netanyahu zu Recht für die Katastrophe des 7. Oktober verantwortlich. Um seine rechte Basis bei der Stange zu halten, präsentiert sich der Ministerpräsident als den Einzigen, der ihren schlimmsten Albtraum aufhalten kann.
«Diejenigen, die über den Tag nach Netanyahu sprechen, reden über die Etablierung eines palästinensischen Staates, geführt von der Autonomiebehörde», sagte der Ministerpräsident Mitte Dezember über sich selbst in der dritten Person zu israelischen Journalisten. Nur er verfüge über das politische Gewicht, internationalem Druck in der Palästinenser-Frage standzuhalten, so das Versprechen Netanyahus an seine Wähler.
Israel gegen den Rest der Welt
Mit seiner Position ist Netanyahu international isoliert. Nicht nur die USA und Deutschland, Israels wichtigste westliche Verbündete, pochen auf eine Zweistaatenlösung. Saudiarabiens Aussenminister, Prinz Faisal bin Farhan, sagte am Dienstag in Davos, sein Land könne mit Israel diplomatische Beziehungen aufnehmen. Die Bedingung dafür: eine realistische Aussicht auf einen palästinensischen Staat. Auch deswegen zeigte sich der israelische Ministerpräsident wohl in seinem Gespräch mit Biden konzilianter.
Die Normalisierung der Beziehungen zwischen Israel und der mächtigen Golfmonarchie ist der heilige Gral israelischer Aussenpolitik. Es wäre ein enormer politischer Sieg für Netanyahu. Doch offensichtlich will er selbst dafür keinen Kompromiss im Konflikt mit den Palästinensern eingehen – zumindest nicht jetzt.
Der Grund dafür liegt in der Innenpolitik. Laut einer Umfrage des Israel Democracy Institute vom 5. Dezember befürworten nur 35 Prozent der jüdischen Israeli eine Zweistaatenlösung – selbst wenn diese die Bedingung für weitere amerikanische Unterstützung ist. Unter Netanyahus Wählern dürfte die Zustimmung noch niedriger sein. Juden machen etwa drei Viertel der israelischen Staatsbürger aus.
Trotz internationalem Druck und der Aussicht auf eine langfristige Allianz mit Saudiarabien gegen den Erzfeind Iran sitzt der Schock in Israel zu tief, um nach dem Massaker des 7. Oktober Zugeständnisse an die Palästinenser zu machen. Auch israelische Politiker der Mitte sind sich dessen bewusst.
So sagte Israels Präsident Yitzhak Herzog am Donnerstag, in Israel denke niemand, der bei klarem Verstand sei, in diesem Moment an den Friedensprozess. Der Oppositionsführer Yair Lapid sagte am Freitagmorgen im israelischen Fernsehen zwar, die Palästinensische Autonomiebehörde könne nach einer Reform einen Teil der zivilen Kontrolle in Gaza übernehmen. Doch er fügte hinzu: «Ich glaube nicht, dass irgendjemand daran glaubt, dass ein palästinensischer Staat in Gaza entsteht.» Während sich die Welt in der Zweistaatenlösung einig ist, stellen sich die Israeli quer – bis auf einige linke Aktivisten.
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