Demografie-Forscher Hendrik Budliger zur gesellschaftlichen Herausforderung am Arbeitsmarkt: «Um höheres Rentenalter kommen wir nicht herum»

Um die demografischen Probleme zu lösen, komme die Schweiz nicht um eine Erhöhung des Rentenalters herum, sagt Demografie-Forscher Hendrik Budliger. Denn die Geburtenrate ist hierzulande viel zu tief.

demografie-forscher hendrik budliger zur gesellschaftlichen herausforderung am arbeitsmarkt: «um höheres rentenalter kommen wir nicht herum»

«Um höheres Rentenalter kommen wir nicht herum»

Geht es um die Renten-Initiative, fahren die Befürworter grobes Geschütz auf. «Wir laufen sehenden Auges in eine demografische Sturmflut mit gigantischen Kostenfolgen», wirbt Jungfreisinnigen-Präsident Matthias Müller (31) für ein Ja. Und der Zürcher FDP-Nationalrat Andri Silberschmidt (29) warnt vor einem «100-Milliarden-Loch».

Grund für das Schreckensszenario: die demografische Entwicklung. Die Lebenserwartung nimmt – trotz coronabedingtem Dämpfer – weiter zu, und mit der Babyboomer-Generation kommen derzeit geburtenstarke Jahrgänge ins Pensionsalter. Das belastet die AHV-Kasse.

Diese Problematik will der Jungfreisinn mit seiner Renten-Initiative lösen, die am 3. März zur Abstimmung kommt. Zuerst soll das Rentenalter bis 2033 schrittweise von 65 auf 66 Jahre steigen, und anschliessend an die Lebenserwartung gekoppelt werden – auf 67, 68 oder mehr. Automatisch.

Andernorts ist Rentenalter höher

Arbeiten über 65 hinaus, das gibt es in zahlreichen Ländern schon. Einige Staaten kennen gar bereits einen mehr oder weniger automatischen Anpassungsmechanismus, über welchen das Rentenalter direkt an die Lebenserwartung gekoppelt wird. Dazu zählen Bulgarien, Dänemark, Estland, Finnland, Griechenland, Italien, die Niederlande, Portugal und Schweden, wie ein Bericht des Bundesamts für Sozialversicherungen zeigt.

In Italien beispielsweise wurde das Rentenalter seit 2012 von 60 auf heute 67 Jahre erhöht. In den Niederlanden lag das Rentenalter 2022 bei 66 Jahren und sieben Monaten und wird nun schrittweise auf 67 Jahre angehoben. Ab 2026 gilt auch in Schweden Rentenalter 67. Und in Dänemark dürfte das Rentenalter 2030 von heute 67 auf 68 Jahre erhöht werden, 2035 gar auf 69.

«Zukunftsoptimismus» entscheidend

«Um die demografischen Probleme zu lösen, kommen wir auch in der Schweiz nicht um eine Erhöhung des Rentenalters herum», sagt Demografie-Forscher Hendrik Budliger (49) vom Kompetenzzentrum Demografik. Denn die Lebenserwartung der Schweizer Bevölkerung steige weiter an. Und: «Die Lebenserwartung von Männern und Frauen gleicht sich an, die Männer holen auf.»

Allerdings sind sich auch die Experten nicht einig, ob die Lebenserwartung weiterhin deutlich ansteigt oder doch langsam abflacht und stagniert. «Ein entscheidender Faktor für die Lebenserwartung ist, wie optimistisch jemand in die Zukunft blickt», erklärt Budliger. Von diesem Zukunftsoptimismus hänge es ab, ob man in die eigene Bildung oder Gesundheit investiere.

Wer keine positiven Perspektiven habe, sei anfälliger für Alkohol, Drogen oder Fettleibigkeit. Mit entsprechenden Folgen: «Bei weniger gut gebildeten oder sozial schwachen Männern sinkt die Lebenserwartung in gewissen Ländern wieder – das sehen wir bereits in den USA oder den Niederlanden.» Bei den Frauen hingegen zeige der Trend immer noch aufwärts. «Frauen pflegen allgemein einen gesünderen Lebensstil als Männer.»

Diskutiert wird in der Demografie-Forschung auch, wo die biologische Grenze liegt. Der bisher älteste Mensch wurde über 122 Jahre alt. Für Budliger ist klar: «Es wird zwar mehr Menschen in einem Top-Alter geben, aber ob wir neue Altersrekorde sehen, ist eine andere Frage.»

Junge fehlen wegen tiefer Geburtenrate

Zur gesellschaftlichen Herausforderung wird die Altersstruktur aber nicht nur wegen der vielen Alten, sondern ebenso wegen der fehlenden Jungen. «Die Geburtenrate ist in der Schweiz viel zu tief und die Zuwanderung viel zu klein, um die Überalterung aufzufangen – selbst dann, wenn die Babyboomer-Welle überwunden ist», sagt Budliger. Denn der Bevölkerungsanteil der Erwerbstätigen zwischen 20 und 65 Jahren stagniere. Letztere müssten damit immer grössere Lasten tragen.

Budliger spricht dabei von einer Arbeitsmarktschere – der Differenz zwischen jenen, die in einem bestimmten Jahr mit 20 ins Arbeitsleben einsteigen, und jenen, die zum gleichen Zeitpunkt mit 65 in Pensionsalter kommen. Den Peak verortet er auf das Jahr 2029: Dann driften diese Werte am stärksten auseinander, bevor sie sich wieder langsam annähern.

Junge Alte pflegen alte Alte

«Um das Problem dieser Arbeitsmarkt-Schere zu vermindern, muss die Arbeitspopulation wachsen», sagt Budliger. Das gehe nur über eine deutlich höhere Geburtenrate, eine massiv höhere Zuwanderung und eben über ein höheres Rentenalter. «Viele der heute 65-Jährigen fühlen sich gesünder und jünger als frühere Generationen», sagt er. Der Arbeitsmarkt brauche diese Leute, um die Versorgung zu gewährleisten. «Junge Alte müssen sich zunehmend um alte Alte kümmern, beispielsweise im Pflegebereich.»

Budliger erachtet ein höheres Rentenalter nicht als negativ. «Länger arbeiten ist nicht nur ein Müssen, sondern auch ein Dürfen», findet er. «Auch bei einer Erhöhung bleiben einem immer noch 20 bis 30 Jahre im Ruhestand.»

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