Servette-Trainer René Weiler lässt tief blicken: «Viele brechen unter dem öffentlichen Druck ein»

Dank Servette hat die Super League endlich wieder ein spannendes Titelrennen! Trainer René Weiler gewährt im Blick-Interview Einblick in seine Arbeit.

servette-trainer rené weiler lässt tief blicken: «viele brechen unter dem öffentlichen druck ein»

«Viele brechen unter dem öffentlichen Druck ein»

Ein Interview mit einem erfolgreichen Trainer? In den meisten Fällen kein Problem! Nicht mit René Weiler (50): Der Mann, der aus Servette einen Titelkandidaten geformt hat, ist unkonventionell. Öffentlichkeit ist dem gebürtigen Winterthurer zuwider, im Mittelpunkt stehen sowieso. Nach langem Anlauf empfängt er Blick in Genf. Vor dem Gespräch holt Weiler im Café beim Bahnhof die Getränke. Und beantwortet dann nicht nur Fragen über Fussball.

YB ist eingeholt! Ist jetzt der Meistertitel das Ziel?

René Weiler: Wir haben eine starke Mannschaft und nichts zu verlieren. Unsere Chancen sind intakt, aber der Weg dahin ist noch weit.

Wie haben Sie aus Servette einen Titelkandidaten geformt?

Es gibt kein Ich, sondern ein Wir.

Aber ein Trainer ist auch für Erfolg verantwortlich. Nicht nur für Misserfolg.

Wir versuchen, jeden Spieler an seine individuelle Leistungsgrenze zu bringen. Und im Team das Verständnis für die bestmöglichen Entscheidungen in jeder Situation zu maximieren.

Der Höhenflug überrascht umso mehr nach dem mageren Saisonstart mit nur einem Sieg bis zum 8. Spieltag.

Dafür gab es Gründe.

Erklären Sie.

Im Sommer sind Schlüsselspieler gegangen, neue mussten integriert werden. Dann ein veränderter Spielstil und die neue Dreifachbelastung. Mit Verlaub: Das braucht Zeit, wir sind keine Zauberer.

DCX STORY: doc7unkmk3744911oi9uosn [Das ist René Weiler]

Dem erstmals für die Nati aufgebotenen Dereck Kutesa gefällt, dass Sie auch neben dem Platz viel Freiheiten zulassen. Sind Sie da wie Union-Berlin-Trainer Nenad Bjelica, den es nicht juckt, wenn seine Spieler rauchen?

Ein Spieler muss im Training und im Spiel performen. Dafür muss er sich wohlfühlen. Und da ist jeder anders: Der eine braucht mehr Schlaf, ein anderer muss an freien Abenden raus. Wir geben den Spielern Anregungen, wie sie ihre Leistung optimieren können, und messen sie dann am Ergebnis.

Chris Bedia, der Servette im Winter Richtung Bundesliga verlassen hat, sagte über Sie: «Der Trainer ist ein bisschen böse, aber gut.» Triffts das?

Er meinte hart, nicht böse. Ich verlange von meinen Mitarbeitern Ehrlichkeit und Offenheit. Wenn ein Spieler anderer Meinung ist als ich, darf er das äussern, ohne negative Konsequenzen zu befürchten.

Das machen Spieler nur, wenn Sie dem Trainer hundertprozentig vertrauen.

Ja. Das ist auch eine Frage des Charakters. Wahre Vorbilder dienen der Sache, richten sich nicht nach Meinungsmachern und handeln nicht aus Eigennutz. Das zeichnet Persönlichkeit aus.

Wer hat Ihnen das beigebracht?

Mein Vater war ein Vorbild. Im Fussball habe ich sehr viel von Hannes W. Keller (verstorbener Ex-Präsident FC Winterthur; d. Red.) gelernt: Er war ein Pionier. Ihn interessierten weder Kommentare, Likes noch andere Meinungen von aussenstehenden Laien.

Lassen sich andere Entscheidungsträger von Social Media beeinflussen?

Das Internet beeinflusst nicht nur Meinungen, sondern auch Entscheidungen. Leider brechen viele Führungspersonen unter dem öffentlichen Druck ein. Dabei sollte gelten: Man urteilt nicht über Menschen, die man nicht persönlich kennt. Viele wissen sich bestens zu vermarkten, äussern sich aber sehr oberflächlich und auf Kosten der Wahrheit. Mangels Wissen.

Heisst: Der Experten-Wildwuchs im Fussball widert Sie fast ein wenig an?

Fussball ist ein exorbitantes Business geworden, an dem jeder mitverdienen will. Ein ernst zu nehmender Experte sollte den Sport selber möglichst erfolgreich gemacht haben. Bemängeln können viele. Aber Lösungen zu sehen, ist viel anspruchsvoller als Fehler zu finden.

Instagram, Snapchat, Twitter, Whatsapp – das ist heute die Welt der Jungen, auch die Ihrer Spieler. Das können Sie doch nicht verteufeln.

Mit «social» hat das wenig zu tun, eher mit «superficial» (englisch für oberflächlich; d. Red.). Wahre Freunde, Authentizität findet man im Internet kaum. Aber ja: Es ist unbestritten ein bedeutsamer Bestandteil, wie die Menschen heutzutage miteinander funktionieren. Ich muss neuzeitliche Interessen geschickt in meine Arbeit integrieren.

Sie geben nur sehr selten Interviews. Warum?

Es gibt genug Leute, die das lieber tun. Mir wird im Fussball zu viel geredet und geschrieben – am Ende ist es einfach viel Geschwätz.

Wer sich nicht öffentlich äussert, über den wird geurteilt. Ist Ihnen Ihr Image egal?

Das nicht. Aber ich bin lieber innerlich glücklich, statt zwanghaft nach aussen zu gefallen.

Sie gelten als direkt, einige bezeichnen Sie sogar als kompromisslos.

Wir bewegen uns im gut bezahlten Spitzensport, jeder will am Ende der Sieger sein. Meine Aufgabe ist es, das Maximum aus dem Team herauszuholen. Ich will in erster Linie nicht beliebt, sondern ein vertrauenswürdiger und einfühlsamer Begleiter meiner Spieler sein. Sehen Sie …

… ja?

Resultate sind in erster Linie von der Qualität der Spieler abhängig. Ein Trainer kann noch so viel und so gut arbeiten: ohne Qualität keinen Erfolg.

Müssen sich Ihre Spieler jeweils an Ihre direkte Art gewöhnen?

Mag sein, dass sie es anders kennen. Aber am Ende ist die harte Wahrheit besser als irgendwelche Ausreden, Lügen oder Schweigen. Auch wenns wehtut.

Was auffällt: Nach Siegen stehen Sie selten bis nie vor der Fankurve. Warum?

Das ist doch nicht die Aufgabe des Trainers! Ich mag die Fans und freue mich über jeden, der ins Stadion kommt. Wenn wir mit unseren Auftritten ihre Emotionen und Sympathien wecken, habe auch ich meine Pflicht gegenüber ihnen erfüllt.

Was zeichnet einen guten Fussballer aus?

Charakter, Einstellung und Verlässlichkeit. Das gilt für alle Menschen. Bei Fussballern ist zudem körperliche Wucht zwingend.

Und was braucht ein guter Trainer oder Sportchef?

Intelligenz, Erfahrung, Menschenkenntnisse, Fingerspitzengefühl, Fleiss, Kommunikation, Antizipation, Netzwerk und Glück.

Etwas haben Sie vergessen: Lust auf Daten! Was halten Sie von der Verwissenschaftlichung des Fussballs?

Es gibt hilfreiche Tools, einige aber sind Unsinn. Der Daten-Hype hat viele sogenannte Spezialisten ins Business geblasen, die im Fussball nichts verloren haben. Fussball ist ein Spiel, keine Wissenschaft.

Bayern-Trainer Thomas Tuchel argumentiert nach Niederlagen gern damit, dass nicht alles schlecht gewesen sei, da seine Mannschaften ja einen höheren Expected-Goals-Wert – also erwartbare Tore – hatten als der Gegner.

Der Expected-Wert, dass gestern nicht heute ist, beträgt 100 Prozent. Und was hilft mir das jetzt?

Themawechsel: Haben Sie Ihre Stationen in Deutschland, Belgien, Ägypten und Japan zu einem besseren Trainer gemacht?

Zu einem kompletteren. Ich kann mich besser in Spieler aus fremden Kulturen

hineinversetzen. In Ägypten konnte ich Spieler kritisieren oder auf die Bank setzen, aber sie im Stolz verletzen war tabu.

Wie hat das Ausland Sie als Mensch verändert?

Der Ehrgeiz ist immer noch gleich gross, aber ich bin gelassener, kann besser innehalten. Und ich habe Menschen gesehen, die mit viel tieferem materiellem Standard glücklich waren.

Was gefiel Ihnen im Ausland besser als in der Schweiz?

Ich trug als Trainer zwar auch die Verantwortung für die Resultate, konnte aber auch fast alles entscheiden. Auch in Transferfragen.

Was läuft diesbezüglich in der Schweiz schief?

Viele wollen mitreden, ohne angemessene Fähigkeiten und Kenntnisse zu haben. Und ohne jegliche Bereitschaft, im Negativfall die Schuld auf sich zu nehmen.

Etwa, wenn wie bei Servette im Winter vergessen geht, Neuzugänge bei der Liga anzumelden?

Dazu will ich mich nicht nochmals äussern.

Haben Sie ja noch gar nie …

Intern schon.

Abgesehen vom Stellenwert des Trainers: Was sind die grössten Unterschiede zwischen der Schweiz und dem Ausland?

Professionalität, die Leidensfähigkeit der Spieler und die Infrastruktur. In der reichen Schweiz sind die Platzverhältnisse vielerorts bescheiden – oder es wird auf Kunstrasen ausgewichen. In anderen Ligen sind die Klubs bereit, in Greenkeeper und Geräte zu investieren.

Apropos Kunstrasen: YB spielt auf Kunstrasen. Ein Vorteil im Meisterrennen?

Ja, aber nicht nur in meinen Augen. Selbst die Berner wissen das. Das soll keine Ausrede sein, aber es ist ein komplett anderer Fussball als auf Naturrasen.

Man kann es auch so sehen: Der Fakt, dass Servette als einziges Team diese Saison in Bern gewonnen hat, macht sie zum Titelfavoriten.

Die Tatsache, dass YB in zwei Jahren nur ein Heimspiel verloren hat, hat viel mehr Gewicht. YB macht seit Jahren einen sehr guten Job.

YB hat Ihnen 2018 eine Absage erteilt und stattdessen Gerardo Seoane verpflichtet. Wäre der Meistertitel mit Servette eine Genugtuung für damals?

Nein. Es war eine Enttäuschung, aber ein Trainer muss damit umgehen können. Es gibt ja nie nur einen Kandidaten. Mit den vielen Titeln hat Seoane seine Verpflichtung eindrucksvoll bestätigt.

YB ist erneut auf Trainersuche. Pedro Lenz sagte im Blick-Interview: «Urs Fischer? Weiler wäre geiler!» Darf Lenz sich Hoffnungen machen?

Ich bin Trainer von Servette.

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