Schweiz betreibt zu wenig Klimaschutz: «Politiker haben im Bahnausbau falsche Prioritäten»

schweiz betreibt zu wenig klimaschutz: «politiker haben im bahnausbau falsche prioritäten»

Lebt für den ÖV: Guido Schoch, ehemaliger Direktor der Verkehrsbetriebe Zürich (VBZ).

Die Schweiz muss dringend in den Fernverkehr investieren, sagt Guido Schoch. Der ehemalige Direktor der Verkehrsbetriebe Zürich findet, in der Politik würden falsche Prioritäten gesetzt.

Herr Schoch, der Europäische Menschengerichtshof hat die Schweiz gerügt, zu wenig für den Klimaschutz zu machen. Nun stimmen wir im Herbst über einen Autobahnausbau ab und gleichzeitig steckt der Bahnausbau fest. Was ist los in der Politik?

Guido Schoch:

Die Politikerinnen und Politiker setzen falsche Prioritäten. Gerade was den Klimaschutz angeht, bin ich überzeugt, dass man viele Menschen zum Wechsel vom Auto auf den Zug bewegen könnte. Vorausgesetzt, man baut das Bahnangebot kundenorientiert aus.

Wie stellen Sie sich diesen Ausbau vor? Der Bund fokussiert sich ja auf den Regionalverkehr und die Taktfrequenz.

Es ist sicher richtig, dass man den Regionalverkehr ausbaut, aber das grösste Potenzial liegt bei schnelleren Fernverkehrsstrecken. Wenn man wirklich etwas bewegen will, um die Attraktivität des öffentlichen Verkehrs zu verbessern, muss man dort ansetzen.

Zur Person

Guido Schoch lebt für den ÖV. Nach einem Studium an der HSG begann er bei der Emmental-Burgdorf-Thun-Bahn. Danach folgten Stationen als Direktor der Südostbahn (SOB) und zuletzt von 2009 bis 2021 bei den Verkehrsbetrieben Zürich (VBZ). Schoch amtet noch immer als Vizepräsident des Vereins SwissRailvolution, der sich für den Ausbau des Bahnnetzes einsetzt.

Welche Wirkung hätte das?

Wir hätten massiv kürzere Fahrzeiten, wenn wir uns auf Hochgeschwindigkeitsstrecken fokussieren würden. Dann wären die Züge sogar mit Flügen konkurrenzfähig. Es ist erwiesen, dass die Fahrzeit von Tür zu Tür das wichtigste Kriterium ist, weshalb Menschen vom Auto auf die Bahn umsteigen. Zwischen Berlin und München konnte etwa der Marktanteil der Bahn durch die Hochgeschwindigkeitsstrecke innerhalb von einem Jahr von 23 auf 46 Prozent verdoppelt werden, trotz erschreckender Unpünktlichkeit.

In der Schweiz haben wir nur vier Strecken, auf denen ein Tempo von über 200 Kilometern pro Stunde erreicht werden kann. Wo ist der Ausbau am dringendsten?

Unser Verein SwissRailvolution fordert ein Verkehrskreuz Schweiz mit dem Ausbau der Ost-West- und der Nord-Süd-Achse. Einer der grossen Engpässe ist die Strecke zwischen Zürich und Olten.

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Nur wenige Hochgeschwindigkeitsstrecken: Die roten Linien markieren die vier bestehenden Streckenabschnitte.

Das Bundesamt für Verkehr (BAV) plant zwischen Zürich und Olten einen 30 Kilometer langen Tunnel für etwa 7,5 Milliarden Franken. Ihr Verein SwissRailvolution forderte eine andere Lösung.

Mit dem Tunnel ergibt sich von Zürich nach Bern eine Fahrzeit von 50 Minuten. Damit sind schlanke Anschlüsse in Bern und Zürich nicht mehr möglich. Wir forderten eine Strecke mit mehreren kürzeren Tunnels, die 17 Prozent weniger lang wäre und massiv günstiger. Bei unserem Lösungsvorschlag hätte eine Fahrt von Zürich nach Bern noch 42 Minuten gedauert und bei Tempo 300 sogar weniger als eine halbe Stunde. Das Projekt des BAV kann ich mir nicht erklären.

Weshalb?

Aus zwei Gründen: Erstens wollen sie die Strecke über den jetzt schon stark ausgelasteten Verbindungsknoten Olten führen. Sollte es dort Probleme geben, geht auf der ganzen Nord-West-Achse nichts mehr. Unsere Lösung hätte Olten umfahren.

Und der zweite Punkt?

Unsere Kostenschätzungen gingen 2012 von Kosten von 4,5 Milliarden Franken aus, inklusive Umfahrung Olten. Der Tunnel des BAV ist nur eine Teillösung. Weitere grosse Kosten werden in Olten anfallen. Dazu gibt es aber keine Aussagen.

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Wichtiger Knotenpunkt im ÖV-Netz: Olten.

Die Schweiz ist stolz auf das ÖV-Netz, obwohl wir das langsamste in ganz Europa haben. Überholt uns das Ausland bald?

Die Schweiz hat noch immer eines der besten öffentlichen Verkehrssysteme. Aber das Problem ist, dass in der Branche und in der Politik eine grosse Selbstzufriedenheit herrscht. Wenn man dieses Gefühl hat und keine grossen Schritte mehr andenkt, ist das oft der Anfang vom Ende. Immer mehr vom Gleichen genügt nicht.

Worauf sollte sich das BAV fokussieren?

Als Erstes müsste das BAV ein langfristiges gesamtschweizerischen Angebotskonzept erarbeiten, das auch politisch diskutiert werden muss. Daraus ergeben sich automatisch die nötigen Infrastrukturausbauten. Heute schreit jede Region nach Infrastrukturen, ohne zu wissen, was die Auswirkungen auf das nationale System sind. Die Planung muss auch von oben nach unten erfolgen: internationaler Verkehr, Fernverkehr, Regionalverkehr. Nur so ist es möglich, anschliessend einen Regionalverkehr zu planen, der gute Anschlüsse an den Fernverkehr gewährt und auch mit der benachbarten Planungsregion kompatibel ist.

Ein Argument des BAV dagegen ist, dass es die Zersiedelung fördert, wenn Pendler lange Strecken schnell zurücklegen können.

Schnellere Verbindungen werden eher zu einer Konzentration des Wachstums in den Zentren als zu einer Zersiedelung führen. Die Erfahrungen zeigen auch, dass bei schnelleren Verbindungen die Neupendler vor allem Menschen sind, die vom Auto oder Flugzeug gewechselt haben. Man kann sicher nicht ausschliessen, dass durch kürzere Fahrzeiten die Menschen längere Strecken pendeln. Aber nach dieser Logik müsste man auch sagen, dass man die Bahn langsamer macht, damit die Menschen nicht pendeln. Das ist Irrsinn. Meine Hoffnung ist noch da, dass da irgendwann ein Licht aufgeht.

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