Tradition vorzuspielen, ist gefährlich

tradition vorzuspielen, ist gefährlich

Geschichten aus dem Café Weidinger: Der Sänger, Schauspieler und Maler Voodoo Jürgens, porträtiert von Bernd Alfanz

Musik is höchstens a Hobby“ – der Untertitel des Spielfilms „Rickerl“ von Adrian Goiginger ist eine Tief­stapelei der Sonderklasse. Der in Programmkinos gezeigte Film handelt von dem schwer gebeutelten Musiker Erich „Rickerl“ Bohacek, hinter dem sich im richtigen Leben der vom Erfolg verfolgte Wiener Liedermacher Voodoo Jürgens verbirgt. Er spielt sich in seiner ersten Hauptrolle selbst, und spielt sich doch auch wieder nicht, weil man den Verdacht hat, er sei tatsächlich so, wie er auf der Leinwand erscheint.

Ein Verdacht, der sich bei einem Gespräch in Wien erhärtet. Das Café Weidinger am Lerchenfelder Gürtel im 16. Bezirk ist außen abgasgrau, und innen auf überzeugende Weise gealtert, ohne krampfhafte Modernisierungsversuche. Das Eckhaus wirkt, als wolle es der städtebaulichen Verirrung schräg gegenüber trotzen, der Lugner City, ei­nem laby­rinthischen Einkaufszentrum, benannt nach dem Bauunternehmer Richard „Mörtel“ Lugner, überregional bekannt als Glamour-Gastgeber beim Wiener Opernball.

Voodoo Jürgens, der Künstlername ist eine Referenz an den großen Udo, trägt ein verwaschenes Nirvana-T-Shirt. Tätowierte Arme, der drahtige Körper verrät den ehemaligen Fußballer, Handballer und Skateboarder. Er tritt zurückhaltend auf, spricht leise und ist sehr höflich. In Österreich ein Star, könnte er noch viel größer sein, wenn er nur wollte. Aber er will nicht. Jedenfalls nicht um jeden Preis, da dosiert er lieber, versucht den Wachstumsvorgaben der Kulturindustrie zu entkommen. Angesprochen auf seine Prominenz, winkt er ab. „Heute habe ich eine andere Reichweite als früher. Das kann nervig sein, wenn einen jemand zulabert, aber es hält sich in Grenzen.“

Deutsche lieben Rock ’n’ Roll-Schwindel der Wiener

Wer ihn live in Deutschland sehen möchte, hat dazu in diesem Jahr noch vierzehn Gelegenheiten, vom Dorfwirtshaus im oberbayerischen Dorfen bis zum großen Open-Air in Nürnberg ist alles dabei. „Wenn man in Österreich Aufmerksamkeit bekommt, schauen natürlich die Nachbarn aus Deutschland auch auf einen, dann muss man plötzlich viel mehr erklären“, sagt Jürgens. Berührungsängste hat er keine, Auftritte in Hamburg und Berlin seien ein Erfolg gewesen, trotz Sprachbarriere. „Dort herrscht eine ganz andere Dynamik. Wenn man nach Wien zurückkommt, merkt man, wie träge hier alles ist.“

Die Deutschen lieben den Rock ’n’ Roll-Schwindel, den die Wiener für sie inszenieren. Eine Einbahnstraße. Umgekehrt wird diese Zuneigung nicht erwidert. „Der Wiener empfindet den Deutschen als präpotent. Ich fand das im­mer lächerlich, aber man kann nicht abstreiten, dass es eine Tradition ist.“

In Bayern läuft Voodoo Jürgens unter dem Aufkleber „Heimatsound“, nicht dass ihn das besonders interessieren würde. „Wir haben auch schon in Oberammergau gespielt. Der Ort kam mir wie ein Disneyland vor – mit dieser ganzen Lüftlmalerei, und da ist noch jeder Schnitzer. Aber Tradition vorspielen zu müssen birgt immer Gefahren.“ Das ist sein Geheimnis, dass er Tradition nicht vorspielt, sondern auf sie baut, sie verwandelt und zu etwas Neuem umformt.

Derweil wird abkassiert, Schichtwechsel der Ober, die so tun, als würden sie den Gast nicht erkennen. Auch das ein Schauspiel mit Tradition, dem Kaffeehaus so inhärent wie die Demütigung ausländischer Gäste. Dabei saß Voodoo Jürgens mit Adrian Goiginger über Jahre hinweg immer wieder im Café Weidinger, sie schrieben hier gemeinsam am Drehbuch. Der Salzburger Regisseur („Die beste aller Welten“) habe sich in die Musik von Voodoo Jürgens verliebt. „Die Idee, etwas gemeinsam zu machen, kam schon beim ersten Treffen. Wir haben dann ab 2017 zusammen das Drehbuch entwickelt, im Café Weidinger, das unser Stammlokal wurde.“

Jobs auf dem Zentralfriedhof, im Sexshop und als Würstlverkäufer

Im Film kämpft der finanziell stets klamme, chaotische Rickerl um die Zuneigung seines Sohnes, der als Patchwork-Kind bei seiner Mutter Viki (Agnes Hausmann) und deren neuem Freund, einem Deutschen mit Ein­familienhaus und Mähroboter, lebt. „Die Viki kommt aus einem Arbeitermilieu und erlebt einen sozialen Aufstieg im 13. Bezirk, im Aufsteigermilieu von Hietzing. Ihre älteren Stammtischfreunde haben Angst, sie zu verlieren“, sagt Jürgens, und spielt auf eine der intensivsten Szenen des Films an, in der Viki zu ihren Wurzeln zurückkehrt und sich einiges anhören muss. Dem Rickerl-Darsteller hat an seiner Rolle besonders gefallen, „dass man irgendwann nicht mehr weiß, ob der Charakter erfunden ist oder nicht“.

Den ersten Auftritt im Film hatte Voodoo Jürgens Ende 2023 in der Filmdokumentation über die Wiener Indepen­dent- und Underground-Musikszene, „Vienna Calling“ von Philipp Jedicke. Der jüngste Auftritt ist ein Gastspiel als zärtlicher Tourist in Sofia Exarchous Spielfilm „Animal“ über Animateurinnen auf einer griechischen Ferieninsel. Er habe schon Lust auf weitere Rollen, sagt er, aber aktiv darum bemühen wolle er sich nicht. Sich Zeit zu geben für die eigene Entwicklung, das hat er in seinem Leben öfter machen müssen. Als Heranwachsender wusste er nicht, wohin mit sich, deshalb ent­schieden die Eltern. Aber die Konditorlehre sei ebenso wenig das Richtige ge­wesen wie später die Jobs auf dem Wiener Zentralfriedhof, in einem Sexshop und als Würstlverkäufer: „Ich dachte, das kann nicht alles sein.“

Mit sechzehn hat er angefangen, sich Gitarre beizubringen. „Eine zähe Geschichte, bis das wirklich läuft, dauert es drei, vier Jahre. Aber zur Gitarre gehörten für mich von Anfang auch eigene Texte.“ Und Singen sei immer das gewesen, was ihm am nächsten war, „das habe ich von klein auf gemacht.“ Voodoo singt heute im Wiener Dialekt, gern auch mal so, dass selbst Dialektsprecher nicht alles verstehen. Aber die Entscheidung für den Dialekt sei nie eine strategische gewesen, sondern eine, die sich von selbst ergeben hat. Für deutsche Ohren ist das eine Herausforderung, aber es gibt ja zum Glück im Netz die Texte zum Mitlesen. So wie es in „Rickerl“ hochdeutsche Untertitel gibt.

Eine Kostprobe aus dem Lied „3 Gschichtn ausn Cafe Fesch“: „Hot er mitn Voda gstritten / Hot ern eingsperrt in a Kistn / „Scher di in Hoizpyjama“, hots daun wieder ghassn / Amoi hotan vagessn / In da Kistn sitzn lossn / Noch zwa Wochen is da Haxn ogsturbn / Homs erm miassn amputieren“. Holzpyjama für Sarg. Das muss man in Wien nicht erklären, in der Stadt, in der man sagt, jemand habe den Einundsiebziger genommen, die Linie zum Zentralfriedhof, wenn man sagen will er sei gestorben.

Stefan Redelsteiner, der Manager des Liedermachers, hat das Label „Wiener Soul“ geprägt, in bewusster Abgrenzung vom Austropop, eine Schublade, die in Österreich alles zu verschlingen droht. „Austropop klingt für uns zu sehr nach Siebziger- und Achtzigerjahren, damit hat meine Musik nichts zu tun“, so Voodoo Jürgens. Als Vorbilder nennt er Bob Dylan, Tom Waits und die New Yorker Anti-Folk-Bewegung um The Moldy Peaches und Adam Green. Die Ideen zu seine Texten reiften langsam, „Vieles kommt aus der Erinnerung, aus Gesprächen, die einen gewissen Rhythmus haben. Ich speichere das ab, verarbeite es später. Das kann manchmal Jahre dauern, bis was daraus wird.“

Mit seiner ersten Band „Die Eternias“ spielt er zwölf Jahre, singt auch Hochdeutsch und Englisch. „Als die Band zerbröselte, war das wie nach einer Trennung. Ich habe in Beisln gespielt, mich neu aufgestellt. Ich war darüber ganz froh, es war eine Zeit, die ich für mich gebraucht habe.“ Dieser Zeit spürt „Rickerl“ nach, auch als Verbeugung vor einem verschwindenden Milieu. „Je weiter man in die äußeren Bezirke geht, desto eher findet man die Beislkultur, das ist ein Schichtending. Willy Resetarits hat sich dafür eingesetzt, dass wieder mehr im Beisl musiziert wird, aber viele Leute empfinden das als störend. Und in vielen Beisln läuft Ö3, da braucht’s keine Musikanten mehr.“

Heute ist Voodoo Jürgens glücklich, mit seiner Band „Ansa Panier“ auf Tourneen zu gehen, die selten länger als zwei, drei Wochen dauern: „Meine Musikanten sind mir sehr ans Herz gewachsen. Ich finde es beim Touren am schönsten, wenn von der selbst verwalteten Hütte bis zur Hochkultur alles dabei ist. An einem Tag Chili-Eintopf, am anderen feines Essen. Man kann das nur schätzen, wenn es nicht jeden Tag das Gleiche ist.“

„Balance finden, damit man machen kann, was man will“

Politisch ist er bislang nicht in Erscheinung getreten, aber mit den im Herbst anstehenden Wahlen zum Nationalrat, das schwant ihm, könnte der Moment kommen, an dem man Farbe bekennen muss. Aber „nur die eigene Bubble stark zu machen“, das bringe wenig. „Ich werde einen Erz-FPÖler mit meinen Liedern nicht umdrehen.“ In einer Zeit voller Zukunftsangst erscheine vielen „rechts als ein einfacher Weg, den man einschlagen kann“.

Und dann gibt es da noch eine bislang wenig bekannte Facette im künstlerischen Schaffen des Musikers. In wenigen Tagen wird man erstmals in Wien Bilder in einer Gruppenausstellung sehen können, und im Sommer wird eine Düsseldorfer Galerie Voodoo Jürgens eine Einzelausstellung widmen. Macht er jetzt alles, so wie neuerdings viele Schauspieler schreiben, malen, fotografieren? Aber nein. Schon zu Schulzeiten im niederösterreichischen Tulln an der Donau, wo Voodoo Jürgens 1983 geboren wurde, hatte er einen Freund, dessen Vater Maler war. „Bei dem standen auch viele Instrumente herum. Wir haben zusammen Filme gedreht und gemalt. Es gab immer Phasen, in denen ich mehr gemalt habe, als Musik zu machen. Ich habe das nie in den Vordergrund gestellt, aber es gehört alles zu meiner Figur.“

Die Figur Voodoo Jürgens hat zweifellos einen Lauf. Jetzt kommt es darauf an, die verschiedenen Zugkräfte, die auf sie einwirken, auszutarieren, den Raum für künstlerische Freiheit zu verteidigen. Größe allein sei für ihn keine erstrebenswerte Kategorie, sagt der Mann hinter der Figur: „Man muss stattfinden, um davon leben zu können. Aber man muss die Balance finden, darf sich nicht vereinnahmen lassen, damit man machen kann, was man wirklich machen will – darum geht es.“

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