Das Bundesasylzentrum von Boudry kommt regelmässig in die Schlagzeilen. Gabriel Monnet / Keystone
Es ist eine spektakuläre Kehrtwende – und eine, die Bundesbern beschäftigen wird: Der Kanton Neuenburg denkt aufgrund der anhaltenden Klagen aus der Bevölkerung darüber nach, die Verträge für das Bundesasylzentrum (BAZ) von Boudry einseitig zu kündigen. Dies steht in einem Brief, den der Staatsrat Anfang Februar abgeschickt hat. Adressat: der Bundesrat.
Bekanntgeworden ist das explosive Schreiben eher zufällig. Gilles de Reynier, der Gemeindepräsident von Boudry, hatte davon Kenntnis. Er erwähnte es letzte Woche anlässlich einer Gemeinderatssitzung und gab danach, ohne Absprache mit der Kantonsregierung, dem lokalen TV-Sender Canal Alpha freimütig Auskunft.
Vor dem Bildschirm sass der SVP-Kantonsrat Evan Finger – und traute seinen Ohren nicht. Flugs reichte er eine Anfrage zuhanden der Kantonsregierung ein, und bereits am Mittwoch, zwei Tage später, nannte die Staatsrätin Florence Nater im Parlament mehr Details. «Wir waren alle sehr überrascht, denn bis anhin hatte der Kanton das Bundesasylzentrum nie infrage gestellt», sagt Finger.
Verkleinerung verlangt
Neuenburg teilte dem Bundesrat seine «grosse Besorgnis» über das BAZ mit. Man verlange zusätzliche Massnahmen, um die Lebensqualität der Bevölkerung und der Asylbewerber zu verbessern. Konkret will der Kanton, dass die ursprünglich temporär vorgesehenen Sicherheitsmassnahmen dauerhaft Bestand haben. Vor allem aber drängen die Behörden darauf, dass das Bundesasylzentrum von Boudry – gemäss Standortplanung das grösste des Landes –redimensioniert wird.
Zur Einordnung: Die reguläre Kapazität des BAZ beträgt 480 Plätze, seit letztem November liegt die durchschnittliche Belegung bei 330 Personen. Zu Spitzenzeiten wohnten über 800 Personen dort, hinzu kommt – am gleichen Standort – das kantonale Asylzentrum mit zusätzlichen 250 Plätzen. 2023 gelangten rund 7000 Asylbewerber ans BAZ, bevor sie auf die Kantone verteilt wurden – also mehr, als die Gemeinde Boudry Einwohner hat (gut 6000).
«Es ist nicht unser Wunsch, die Verträge mit dem Bund vorzeitig zu kündigen. Aber die Situation ist so angespannt, dass wir – sofern keine dringlichen Massnahmen ergriffen werden – dieses Extremszenario mittlerweile nicht mehr ausschliessen können», sagt die Staatsrätin Nater auf Anfrage.
Nachbarn bewaffnen sich
Es ist nicht das erste Mal, dass das Bundesasylzentrum in Boudry zu reden gibt. Weil sich Einbrüche, Diebstähle und weitere Delikte gehäuft hatten, schlugen Anwohner am nördlichen Ufer des Neuenburgersees schon vor mehr als einem Jahr Alarm. Die damalige Justizministerin Elisabeth Baume-Schneider machte sich letzten April ein Bild vor Ort.
«Neu ist, dass in letzter Zeit zahlreiche Fälle von sexuell konnotierten Belästigungen – insbesondere in öffentlichen Verkehrsmitteln gegenüber jungen Frauen – hinzugekommen sind», sagt Dastier Richner, der zusammen mit Nachbarn 2020 die Vereinigung «Bien vivre àNeuchâtel» ins Leben gerufen und soeben eine Petition lanciert hat, die eine Neuausrichtung oder gar Schliessung des BAZ fordert.
An die Einbrüche und Diebstähle habe man sich fast schon gewöhnt, aber nun sei eine neue Dimension erreicht, sagt er. «Wenn es so weitergeht, werden die Bewohner eines Tages Selbstjustiz üben.» Er kenne Personen, die sich jüngst Waffen zugelegt hätten, sagt er und betont, dass die Vereinigung nicht grundsätzlich gegen das Asylsystem sei. Die allermeisten Bewerber, auch in Boudry, verhielten sich beispielhaft.
Wenige bereiten viele Probleme
In der Tat sind es wenige Personen, die viele Probleme bereiten. Die Neuenburger Polizei kommuniziert keine aktuellen Zahlen und verweist auf die jährliche Kriminalstatistik, die Ende März präsentiert wird. Allerdings werden längst nicht alle Vorfälle, gerade im Bereich der Belästigungen, auch angezeigt. Und: In einer Statistik figuriert nicht, dass ein Teil der Bevölkerung offenbar die Gewohnheiten geändert hat – etwa bei der Benützung des öffentlichen Verkehrs. In den Medien stark präsente Ereignisse wie die Geiselnahme von Yverdon oder ein Vorfall in einer Schule in Cortaillod verstärken das subjektive Unsicherheitsgefühl zusätzlich.
Letztes Jahr hat die Polizei einen Schwerpunkt auf die Region rund ums BAZ gelegt. Etwa die Hälfte der Delikte wurde von Personen des «Typus Asylbewerber» – wie sie die Polizei nennt – verübt (also auch Personen, die früher im Asylverfahren registriert waren). Die Vermögensdelikte nahmen damals um 34 Prozent zu. Aber: Ein paar Asylsuchende sind derart häufig kriminell geworden, dass sie die Statistik verzerren – ein Einzelner war in 28 Fälle verwickelt, drei weitere in 11 bis 14 Fälle. Gemäss Angaben der Polizei handelt es sich fast ausschliesslich um junge Männer aus dem Maghreb, was auch der Gemeinde- und der Staatsrat sowie der Anwohnerverein bestätigen. Erfahrungsgemäss haben Bewerber aus diesen Staaten praktisch keine Aussicht auf Asyl.
Kündigung kaum möglich
Das Staatssekretariat für Migration (SEM) verweist auf die zahlreichen Massnahmen, die inner- und ausserhalb des BAZ bereits ergriffen worden sind, um Spannungen abzubauen – etwa die Verdoppelung der Sicherheitspatrouillen, die Präsenz soziokultureller Mediatoren und Seelsorger oder der institutionalisierte Austausch mit der Polizei. Die Sorgen der Bevölkerung nehme man «sehr ernst».
Gleichzeitig erachtet das SEM die Wunschvorstellung Neuenburgs – eine Verkleinerung des Zentrums – als wenig zielführend. Bund und Kantone hätten sich 2014 auf wenige, dafür aber grosse BAZ geeinigt. Das Ziel der beschleunigten Asylverfahren könne nur so erreicht werden, schreibt das Amt.
Es ist davon auszugehen, dass das Neuenburger Vorpreschen vor allem als Drohkulisse dient. Eine unilaterale Kündigung würde das bestehende Asylsystem insgesamt infrage stellen, und nur schon deren Prüfung dürfte Juristen Kopfzerbrechen bereiten. Neben einer Vereinbarung, welche die Verwaltung des BAZ von Boudry regelt, verbindet seit 2023 ein Baurechtsvertrag den Bund und den Kanton Neuenburg. Dieser erlaubt die Nutzung des Geländes bis 2033. Eine Kündigung ist gemäss Wortlaut «nur bei schweren Vertragsverletzungen möglich».
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