Nach dem Höhenflug unter der Rechtsregierung leiden jetzt Polens Katholiken an einem Kater

nach dem höhenflug unter der rechtsregierung leiden jetzt polens katholiken an einem kater

Das Jasna-Gora-Kloster in Tschenstochau. Michal Dyjuk / AP

Die Leib-Christi-Kirche im Warschauer Stadtteil Praga ist an diesem Sonntag in der Hauptmesse etwa halb voll. Der Geistliche spricht die Gebete, ohne aufzublicken, seine Predigt scheint er seit Jahren nicht mehr dem Zeitgeist angepasst zu haben. Zur heiligen Kommunion erheben sich dennoch sowohl ältere wie jüngere Gläubige. Es bilden sich zwei Schlangen: diejenigen, die die Hostie direkt auf die Zunge gereicht bekommen, und diejenigen, die sie selbst in die Hand nehmen wollen. Beim Herausgehen kann man das rechts-katholische Magazin «Idziemy» (Gehen wir) erwerben. Neben dem Pfarrhaus steht ein neues Pfarrauto, schwarz wie ein Dienstwagen der Regierung.

Ganz anders präsentiert sich am selben Abend wenige hundert Meter entfernt die Pallotinerkirche. Auch sie bietet jeden Sonntag sieben heilige Messen an, doch die Gläubigen sitzen nicht vor einem protzigen Marmoraltar, sondern quasi mitten in einer Stadt, umgeben von Türmchen und Tauben. Der Tabernakel glänzt in Rot-Gold, ganz vorne hängt auch ein angeblich wundertätiges Bild von Gott-Vater. Doch was diese Kirche füllt, sind wortgewaltige Predigten im Hier und Jetzt, die Gedankenfutter für die ganze Woche mitgeben.

«Jede Kirche ist so gut wie ihre Priester», so wehrt eine Gläubige einen Vergleich der beiden Gotteshäuser ab. Jeder suche sich das Passende. Das Angebot an katholischen Messen zu Sonn- und Werktagen in Warschau ist riesig. Doch kann selbst der Andrang in der Pallotinerkirche nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Glaubenseifer der Hauptstädter zu den schwächsten in ganz Polen gehört. Seit Jahren schon verharrt die Zahl der Kirchgänger der Diözese Warschau weit unter dem Durchschnitt, wobei die Städte entlang der deutschen Grenze noch schlechter abschneiden. In Szczecin (Stettin) geht noch etwa jeder Zehnte am Sonntag zur heiligen Messe.

Viel Einfluss auf die Politik

Polens katholische Kirchenführung blickt gerade auf eine Blütezeit zurück. Durch den Wahlsieg der konservativen Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) im Herbst 2015 konnte sie ihren Einfluss auf den staatlichen Gesetzgebungsprozess massiv ausbauen. Das ist mit dem Wahlsieg des Liberalen Donald Tusk nun schlagartig vorbei. Laut Pater Henryk Zielinski, Chefredaktor von «Idziemy», gehört nicht die im Oktober abgewählte PiS zu den grössten Wahlverlierern, sondern die katholische Kirche.

Denn noch nie hatte Polens Episkopat so viel Macht im Staat wie in den letzten acht Jahren. Im Wahlkampf hatten viele Geistliche jeweils für «gottesfürchtige» Parteien geworben. Es war klar, dass dieses Engagement nach ihrem Sieg von der PiS belohnt werden würde. Als Erstes wurde ein Sonntagsverkaufgesetz verabschiedet. Bald kamen neue Regelungen im Bildungswesen dazu: etwa Einschränkungen bei der sexuellen Aufklärung und mehr Papst-Johannes-Paul-II.-Lektüre im Polnischunterricht.

Zudem erhielten kirchliche Stiftungen Fördergelder in Millionenhöhe. Schliesslich liess Kaczynski das von PiS-Richtern dominierte Verfassungsgericht im Herbst 2020 die bisher noch erlaubten rund tausend Abtreibungen pro Jahr praktisch ganz verbieten. Erst dieser letzte Schritt führte zu einer grossen Protestwelle, an der sich auch gläubige Katholiken beteiligten.

Betrachtet man die Zahlen des kircheninternen statistischen Instituts, fällt allerdings eine Korrelation zwischen den Wahlsiegen der rechtskonservativen PiS und der dramatischen Abnahme der katholischen Glaubenspraxis auf. So hat sich der sonntägliche Kirchgang in Polen ausgerechnet zwischen der ersten (2005–2007) und der letzten Kaczynski-Regierung (2019–2023) fast halbiert. Aus 46 Prozent (2006) wurden gerade noch 29,5 Prozent (2022). Wobei es sehr grosse Unterschiede gibt zwischen Süd- und Ostpolen (mit bis zu 8o Prozent in der Diözese Przemysl) und Westpolen (bei nur noch 17,5 Prozent in der Diözese Stettin). Die Bistümer mit grosser Gottesdienstdisziplin umfassen auch jene Wahlkreise, die bereits seit 2005 mehrheitlich die PiS unterstützen.

Diese Zahlen wurden just vor jenem Kirchenskandal ermittelt, bei dem sich die Polen gerade wieder einmal die Augen reiben. Der Stettiner Erzbischof Andrzej Dziega wurde von Papst Franziskus mit sofortiger Wirkung aus seinem Amt entfernt, was in der katholischen Kirche selten geschieht. Dziega soll jahrelang zwei Priester gedeckt haben, die schwerer pädophiler Vergehen angeklagt sind. Ihm drohen bis zu zehn Jahre Haft.

Die Abberufung aus Rom war noch unterwegs, da schrieb Dziega in einem Hirtenbrief von einer alten Krankheit, die ihn nun leider dazu zwinge, «aus gesundheitlichen Gründen zurückzutreten». In der Folge trat Dziega «freiwillig» von mehreren Ämtern bei der Polnischen Bischofskonferenz zurück, unter anderem auch aus dem «Rat für die Beziehungen zwischen Kirche und Staat».

«Manche Priester haben trotz Zölibat gleich mehrere Kinder mit verschiedenen Frauen», berichtet Agata Stachowiak. Es seien diese Scheinheiligkeit und die enge Zusammenarbeit zwischen Episkopat und Politik, die Polens Kirche in ihre tiefste Krise geritten hätten, sagt die Kirchgängerin genervt. Dazu gesellten sich wie überall in Europa der zunehmende Wohlstand und Hedonismus, meint die Mittfünfzigerin, die regelmässig die Messe in der Warschauer Leib-Christi-Kirche besucht. «Im Kommunismus war die Kirche noch ein Hort der Freiheit und des tugendhaften patriotischen Lebens», so erinnert sich Stachowiak mit bitterem Unterton.

Ist die Pandemie am Glaubensverlust schuld?

Auch Pater Henryk Zielinski ist pessimistisch. Polens Katholiken gerieten schon heute zunehmend unter die Räder der neuen liberalen Koalition, klagt er in einem längeren Telefongespräch. «Ich befürchte einen Pendeleffekt wie in Spanien nach General Franco», sagt er besorgt. Die katholische Kirche sei «von den meisten PiS-Politikern nur zu politischen Zwecken benutzt» worden. Das radikale Abtreibungsverbot etwa hätte ein Umfragetief nach einem umstrittenen Tierschutzgesetz wieder ausbessern sollen. «Die Regierung hat de facto ihre eigenen Fehler auf uns abgewälzt; prompt wurden heilige Messen gestört», so analysiert Zielinski.

«Die Zahlen unseres statistischen Instituts stimmen pessimistisch», sagt Pater Zielinski. Am dramatischsten aber sei es unter den Jungen, die noch keine eigene Glaubensbasis hätten. «Diese Generation bekommen wir nicht mehr zurück.» Umfragen unter Maturanden zeigen einen Rückgang jener, die sich als gläubig bezeichnen, von 82 Prozent im Jahr 2016 auf 54 Prozent im Jahr 2021. Die Kirche erklärt dies als eine Folge der Pandemie.

Doch im Gespräch mit Gläubigen fällt immer wieder der Vorwurf, beim Abtreibungsgesetz habe die Kirche den Bogen überspannt. Pater Zielinski sieht weitere Faktoren: Die staatliche Förderung des Religionsunterrichts an den Schulen unter der PiS-Regierung habe die Pfarreien «eingeschläfert», argumentiert er. So hätten etwa viele Priester begonnen, wie Lehrer nach einem Stundenplan zu arbeiten, statt wie früher jederzeit für die Nöte der Gläubigen da zu sein. Die Geistlichen zögen sich immer mehr aus der aktiven Missionsarbeit in ihrer Kirchgemeinde zurück. «Wegen der vielen Pädophilie-Vorwürfe ist es auch viel sicherer, als Jugendseelsorger einen Youtube-Kanal zu betreiben, als das direkte Gespräch mit den Jungen zu suchen», erklärt Zielinski.

Was kommt nun nach der liberalen politischen Wende auf die seit Jahrhunderten einflussreiche katholische Kirche Polens zu? Pater Henryk Zielinski sieht schwarz, gibt aber nicht auf. Die Kirche sei an den Ursachen der Krise mit beteiligt, es sei nun höchste Zeit zu handeln, schreibt er in «Idziemy».

Die seit über fünfzig Jahren praktizierende Katholikin Stachowiak sieht dank dem Regierungswechsel, den sie mit viel Skepsis verfolgt hat, ein Licht am Ende des Tunnels: «Die Polen sind ein trotziges Volk. Wenn die Liberalen nun die Kirche peitschen, wie es die Kommunisten vor 1989 taten, finden auch wieder mehr Polen in ihren Schoss zurück», ist sie überzeugt.

Pater Zielinski klingt weniger optimistisch: «Bei den Berufungen zum geistlichen Leben ist der Sinkflug noch viel steiler als bei den treuen Kirchgängern. Aber ich glaube, dass Gott uns so viele zuhält, wie wir brauchen, und nun sind das eben deutlich weniger Priester.» Noch nie hatte Polen so wenige Priesteranwärter. Erste Priesterseminare mussten wegen zu wenigen Studenten bereits geschlossen werden.

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