Ein politischer Kuhhandel verknüpft die Aufrüstung der Schweizer Armee mit dem Wiederaufbau in der Ukraine. Die Milliardenkosten sollen an der Schuldenbremse vorbeigeschleust werden.
«Krieg-und-Frieden-Kompromiss»: Rot-Grün und Mitte haben ein Spezialgesetz ausgearbeitet. Ein Buchhaltungstrick soll die Schuldenbremse aushebeln.
Wochenlang haben die drei Parteien diskret verhandelt, nun haben Mitte, SP und Grüne ihren Plan in einer Ständeratskommission durchgedrückt: ein beispielloses Multimilliardenpaket, das die Aufrüstung der Schweizer Armee mit dem Wiederaufbau der Ukraine verknüpft. Es geht um Ausgaben von insgesamt 15,1 Milliarden Franken.
Der Mitte-links-Deal sieht erstens den Erlass eines «Bundesgesetzes über einen ausserordentlichen Beitrag für die Sicherheit der Schweiz und den Frieden in Europa» vor. Mit diesem Spezialgesetz wird ein befristeter zweckbestimmter Fonds geschaffen. Daraus sollen ab 2025 10,1 Milliarden Franken für die Armee (zusätzlich zu allen bisher geplanten Beträgen) sowie 5 Milliarden Franken für den Wiederaufbau der Ukraine finanziert werden.
Zweitens sollen die Einlagen in diesen Fonds beim Bund als sogenannt ausserordentliche Ausgaben verbucht werden. Dieser Buchhaltungstrick hebelt die Schuldenbremse aus: Nur so ist es möglich, derart grosse Summen lockerzumachen, ohne sie anderswo einzusparen.
Gegen den Willen von Keller-Sutter
In Krisen ist eine ausserordentliche Verbuchung zwar erlaubt (zum Beispiel in der Corona-Pandemie). Das Finanzdepartement von Karin Keller-Sutter argumentiert jedoch, im vorliegenden Fall seien die gesetzlichen Bedingungen nicht erfüllt. Denn anders als bei der Pandemie handle es sich bei Rüstungskäufen und Ukraine-Wiederaufbau nicht um «aussergewöhnliche und vom Bund nicht steuerbare Entwicklungen», wie es im Gesetz vorgeschrieben ist.
Mehr Geld für die Schweizer Armee – und für die Ukraine. Rot-Grün und Mitte schliessen einen «Krieg-und-Frieden-Kompromiss». Im Bild eine Ehrengarde der Schweizer Armee bei einem Staatsbesuch auf dem Bundesplatz in Bern.
Diese Einwände lässt Kommissionspräsidentin Andrea Gmür (Mitte) nicht gelten. «Was soll eine ausserordentliche Situation sein, wenn nicht ein Krieg in Europa?», fragt sie rhetorisch. Schon in der Botschaft zur Einführung der Schuldenbremse vor über zwanzig Jahren sei ein Krieg explizit als Grund für ausserordentliche Ausgaben genannt worden. «Für die Kommission ist die Sicherheit des Landes und seiner Menschen wichtiger als Finanzpolitik», sagt Gmür.
In der Kommission haben Mitte, SP und Grüne 8 von 13 Stimmen und konnten so ihren Pakt so durchsetzen. Die 5 Vertreter der FDP- und der SVP-Fraktion hielten vergeblich dagegen.
Zwei Fliegen auf einen Schlag
Mit ihrem Deal reagiert Mitte-links auf zwei Probleme, die bürgerliche und linke Parteien seit Monaten umtreiben:
Durch die Verknüpfung der zwei Themen erkauft sich die Mitte nun linke Unterstützung für Rüstungskäufe. Und die Linke holt den Support der Mitte für die Ukraine-Hilfe. Es war die Aargauer Ständerätin Marianne Binder, die dafür den Antrag einreichte. Die Verhandlungen blieben wochenlang geheim, bis der «Blick» kurz vor Abschluss davon Wind bekam.
Zusätzlich hat die Kommission beschlossen, das Armeebudget schon bis ins Jahr 2030 auf ein Prozent des Bruttoinlandproduktes zu erhöhen – und nicht wie bisher geplant bis 2035. Zudem soll die Beschaffung von neuen Boden-Luft-Raketen für 660 Millionen Franken vorgezogen und bereits mit dem Rüstungsprogramm 2024 beschlossen werden. Anders als beim Spezialgesetz obsiegten in diesen Punkten bürgerliche Mehrheiten.
«Krieg-und-Frieden-Kompromiss»
Alle der drei beteiligten Parteien hätten Konzessionen machen müssen, sagt die Solothurner SP-Ständerätin Franziska Roth. Inhaltlich gebe es einen gemeinsamen Auslöser für die verknüpften Anliegen, nämlich Russlands Angriff auf die Ukraine. Darauf finde die Kommission nun eine militärische und eine zivile Antwort. Roth spricht von einem «Krieg-und-Frieden-Kompromiss».
Auf Ablehnung stösst der Entscheid hingegen bei SVP und FDP. Er sei ebenfalls für eine raschere Aufrüstung, betont der Nidwaldner FDP-Ständerat Hans Wicki. Das nötige Geld müsse man aber anderswo einsparen. «Wenn das Geld in einer Krise knapp ist – und wir sind in einer Krise –, muss der Staat eben Prioritäten setzen.» Die Kosten für Armee und Ukraine einfach an der Schuldenbremse vorbeizuschleusen, sei unzulässig, sagt Wicki. «Die gesetzlichen Voraussetzungen dafür sind nicht gegeben.»
Im Ständeratsplenum ist der Deal potenziell mehrheitsfähig, denn die drei beteiligten Parteien haben dort 27 von 46 Stimmen. Auch im Nationalrat ist eine Mehrheit aufgrund der Parteistärken möglich.
Es ist allerdings offen, ob alle Parlamentsmitglieder von Rot-Grün-Mitte den Armee-Ukraine-Deal unterstützen werden. Der Zuger Mitte-Ständerat Peter Hegglin etwa argumentiert ähnlich wie die SVP- und FDP-Vertreter: Wer soviel mehr Geld für die Armee wolle, müsse auch sagen, wie er das finanziere. Wenn man stattdessen die Schuldenbremse ausheble, steige die Versuchung, dies künftig auch bei anderen Staatsausgaben zu tun, warnt Hegglin. «Es führt zu einer Verluderung der Finanzpolitik.»
In den letzten Monaten haben zahlreiche Politiker und Parteien eigene Vorschläge zur Finanzierung der Armee und der Ukraine-Hilfe vorgelegt, etwa Mitte-Ständerat Peter Hegglin, FDP-Nationalrat Simon Michel oder Grünen-Ständerat Mathias Zopfi. Dabei handelt es sich aber erst um Ideen.
Von ganz anderer Qualität ist jetzt der Armee-Ukraine-Pakt von Rot-Grün-Mitte: Er ist nun als Kommissionsmotion formell im parlamentarischen Prozess – und potenziell mehrheitsfähig.
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