Laschet spricht – und plötzlich hören alle zu

Seit der gescheiterte deutsche Politiker leidenschaftliche Reden zur AfD, zu Corona oder der Ukraine hält, gilt er auf einmal als Mann des Ausgleichs, der das Nötige sagt.

laschet spricht – und plötzlich hören alle zu

Gesellschaftlicher Zusammenhalt ist sein Thema: Der frühere christdemokratische Spitzenpolitiker Armin Laschet.

Nur ein Wimpernschlag trennte Armin Laschet von der Kanzlerschaft. Als er Ende Juli 2021 in der Flutkatastrophe im falschen Moment lachte, lagen seine Christdemokraten noch mehr als zehn Punkte vor Grünen und Sozialdemokraten. Zwei Monate später hatte er alles verloren. Olaf Scholz wurde mit knappem Vorsprung Kanzler, wider alle Erwartungen.

Laschets Gegner, gefolgt von vielen Medien, hatten den Kandidaten nach seinem peinlichen Lacher in eine Witzfigur verwandelt, über die fast nur noch gespottet wurde: Der «Lasche» sei ein Hallodri, raunte es landauf, landab, dem man das Land besser nicht anvertraue. Der Christdemokrat, von der eigenen Partei und Rivale Markus Söder nur halbherzig unterstützt, war an seiner Karikatur keineswegs unschuldig, hatte ihr aber kaum etwas entgegenzusetzen.

Auf einmal ein Held im Internet – ausgerechnet

Nach der kapitalen Niederlage verschwand der Verlachte von der Bühne. Er gab sein Amt als Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen genauso auf wie den Vorsitz seiner Partei und reihte sich als einfacher Abgeordneter auf den hinteren Bänken des Bundestags klaglos ein. Dem neuen CDU-Chef Friedrich Merz, den er ein Jahr zuvor noch besiegt hatte, steht er bis heute loyal zur Seite – selbst wenn dieser jene «deutsche Leitkultur» beschwört, die dem Herzenseuropäer Laschet immer suspekt war.

Zwei Jahre danach ist der Gescheiterte von damals wundersam wiederauferstanden, zum Erstaunen der gesamten Republik. Seit letztem Sommer hält Laschet immer wieder Reden, die im Internet tausendfach geteilt und millionenfach geklickt werden, leidenschaftlich, klug und witzig, das richtige Wort zur richtigen Zeit.

Es begann mit einem spontanen Wutausbruch im Bundestag, als Laschet die Behauptung der AfD, die Migration habe in Deutschland Parallelgesellschaften geschaffen, mit dem Hinweis auf eine echte Parallelgesellschaft konterte: den rechts-terroristischen NSU, der im gleichen Ungeist gehandelt habe, wie die AfD heute rede. Einem AfD-Mann, der ihn darauf mit rotem Kopf anbrüllte, antwortete er: «Haben Sie Herzprobleme oder was?»

Als Anfang Jahr Millionen gegen die AfD auf die Strasse gingen, hielt Laschet in seiner Heimatstadt Aachen die vielleicht meistbeachtete Rede. Er erzählte, wie die NSDAP 1933 an die Macht kam, unterschätzt wurde – und innert zwei Monaten eine wankende Demokratie von innen zerstörte. Laschet behauptete weder, die AfD sei eine neue NSDAP, noch, dass die Weimarer Republik der heutigen gleiche. Er wollte nur auf die Gefahr aufmerksam machen, die drohe, wenn man eine antidemokratische Partei an der Macht beteilige.

Ein Rechtsextremist wie Björn Höcke könnte als Ministerpräsident von Thüringen Richter, Verfassungsschützer und Polizeipräsidenten nach seinem Geschmack ernennen, so Laschet. Wer nicht glaube, dass hier Gefahren lauerten, solle in die USA blicken, wo 200 Jahre Demokratie auch nicht vor einem Umstürzler wie Donald Trump schützten.

Der Beifall für Laschet war enorm, aus allen politischen Lagern. Seither wird der 63-Jährige in alle Talkshows eingeladen, die grossen Medien interviewen ihn, im Ausland ist er als Deutschland-Deuter gefragt wie nie. Sein Erfolg erklärt sich auch aus dem Vakuum, das jene hinterlassen, die von Amtes wegen die bedeutenden Reden halten müssten: Kanzler Scholz und Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier reden zwar viel, aber erschütternd blutleer. Kaum je bleibt ein Satz hängen, fast nie ist Leidenschaft zu spüren.

Unablässig warnt er vor der «Schwarz-Weiss-Republik»

Laschet hingegen brennt für seine Themen. In einer Zeit grosser Gereiztheit schlägt er zudem einen wohltuend versöhnlichen, ausgleichenden Ton an. Der Zusammenhalt der Gesellschaft ist sein politisches Ziel, deswegen warnt er unablässig vor moralischer Überheblichkeit. Man solle streiten, ja, müsse abweichende Meinungen aber dennoch respektieren. Tue man das nicht, schaffe man eine Schwarz-Weiss-Republik, die die Demokratie schleichend aushöhle.

Laschet beklagt einseitige Debatten bei vielen Themen. In der Pandemie und jetzt auch bei der Unterstützung der Ukraine seien abweichende Stimmen kaum gehört und ständig moralisch abgewertet worden. Wer – wie er – nicht jede Schulschliessung bejubelt habe, sei genauso als verantwortungslos beschimpft worden, wie jetzt jene angespornt würden, die jede Sehnsucht nach Frieden als Unterstützung für Wladimir Putin diffamierten.

Manchmal wundert Laschet sich selbst, dass ihm nun plötzlich so viele zuhören, obwohl er im Grunde nur sagt, was er immer sagte, redet, wie er immer redete. An seine Niederlage von 2021 denke er nur noch selten. Wenn jetzt nach Auftritten Leute auf ihn zukämen und sagten, so hätten sie ihn gar nicht eingeschätzt, wundere er sich aber schon. Was hätten die denn vorher für ein Bild von ihm gehabt?

Und so birgt Armin Laschets Wiederauferstehung auch eine Warnung: Eine Gesellschaft, die Politikerinnen und Politiker zunehmend anhand von diskreditierenden Schnipseln in sozialen Medien beurteilt, braucht sich nicht zu wundern, wenn sie sich über deren Wesen öfter mal irrt.

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