Lage an der Front: "Die USA haben 31 Panzer geliefert – die Ukraine bräuchte 3100, um Gebiete zurückzuerobern"

Ein ukrainischer Soldat feuert in der Nähe von Bachmut einen Granate ab. Gerade an Artilleriegeschossen mangelt es an der Front

Im Donbass gerät die Ukraine immer stärker unter Druck – ist das schon die russische Sommeroffensive? Oberst Markus Reisner von der Theresianischen Militärakademie in Wien über einen brutalen Abnutzungskrieg im Osten, der immer stärker auch von Drohnen ausgefochten wird.

Täglich liest man inzwischen Meldungen, dass die Russen an verschiedenen Stellen an der Front vorrücken. Was passiert da gerade?

Die russische Winteroffensive geht zu Ende, und wie schon in ihrer ersten Winteroffensive versuchen die Russen, die Ukrainer nun mit Angriffen an verschiedenen Frontabschnitten abzunutzen. Die Ukrainer sind laufend gezwungen, ihre kostbaren Reserven einzusetzen. Das zweite Ziel der Russen ist, an einer günstigen Stelle einen Einbruch, wenn nicht sogar einen Durchbruch, zu erzielen. Und immer im Mai erleben wir eine Kulmination der Ereignisse – das hängt damit zusammen, dass Russland am 9. Mai des Sieges über Nazideutschland gedenkt. 2022 gab es zu dieser Zeit den Durchbruch bei Popasna, 2023 die Kämpfe um Soledar, die dann zur Einnahme von Bachmut geführt haben. Bei Otscheretyne (etwa 20 Kilometer nordwestlich von Awdijiwka) ist den russischen Truppen nun ein Einbruch gelungen. Sie versuchen, diese Stelle auszuweiten. Und sie kämpfen darum, die Höhen nahe der Stadt Tschassiw Jar zu erobern. In dem flachen Gelände der Region kann man von dort aus das Umland beherrschen.

Vor einigen Tagen haben die Russen ja auch das Dorf Robotyne im Süden zurückerobert, das die Ukrainer im August 2023 unter hohen Verlusten befreit hatten. Wie bedeutsam ist das?

Das ist derzeit eine weitere Angriffsachse der Russen. In den sozialen Netzwerken sieht man nun Bilder, die Flaggenhissungen entlang der Front zeigen, also die Inbesitznahme von Dörfern. Das sind natürlich Bilder, die man gut für die Propaganda verwenden kann zum Tag des Sieges am 9. Mai.

In den letzten Tagen konnte man lesen, dass die Ukraine gerade genauso viele Geschütze und Fahrzeuge verliert wie die Russen – das ist überraschend, weil die Russen angreifen und deshalb eigentlich höhere Verluste haben müssten.

Der Ukraine fehlt es vor allem an Artillerie und Artilleriemunition. Deshalb kann sie die russischen Verbände nicht auf Distanz halten. Es kommt also zum unmittelbaren Gefecht, und das ist sehr verlustreich. Der Ukraine fehlen in verschiedenen Bereichen Fähigkeiten, um sich effektiv zu wehren. Zum einen gegen die Gleitbomben der Russen. Das hat sich in den vergangenen Monaten verschärft. Die Ukraine bräuchte Fliegerabwehr der mittleren und großen Reichweite, um diese Gleitbombeneinsätze unmöglich zu machen. Aber die Systeme, die sie hat, muss sie zum Schutz der Städte und der kritischen Infrastruktur einsetzen – ein unerträgliches Dilemma. Zum anderen geht es um den Einsatz von Artillerie, also der Waffengattung, die den Truppen den Weg freischießt. Da haben aufgrund der ausbleibenden Lieferungen die Russen manchmal zehn Mal so viel Munition.

Viele hofften ja, dass das im April beschlossene US-amerikanische Paket an Waffenlieferungen die Ukraine entlasten würde. Ist irgendein Effekt spürbar?

Da gab es große Hoffnungen, zum Beispiel, was die ATACMS-Raketen angeht, die von den Ukrainern vehement gefordert wurden. Die werden nun vereinzelt eingesetzt, aber einen wirklichen Effekt sehen wir nicht, zumindest keinen, der vergleichbar wäre mit dem der HIMARS im Sommer 2022. Die hatten den Ukrainern damals mehrere Wochen Zeit verschafft, um dann bei Charkiw und Cherson zur Offensive überzugehen.

Die Winteroffensive geht nun zu Ende, aber schließt sich daran nicht sofort die russische Sommeroffensive an?

Da schließe ich mich der Bewertung von General Budanow an, Chef des ukrainischen Militärgeheimdienstes: Er geht davon aus, dass es zu einer Sommeroffensive kommen wird. Wie und wo, das wird von ihren Erfolgen an der Front abhängen: Entweder werden sie sich bemühen, das jetzt Erreichte auszuweiten – etwa beim Ort Otscheretyne. Oder sie werden im Raum Charkiw angreifen. Wir wissen, dass die Russen zusätzlich zu den 514.000 Mann, die sie in der Ukraine haben, weitere 70.000 Mann nördlich von Charkiw aufstellen. Das würde reichen, um hier anzugreifen.

Gibt es schon konkrete Anzeichen für einen Angriff auf diese zweitgrößte ukrainische Stadt ganz im Nordosten?

Militärische Operationen unterteilen sich in drei Phasen: Vorbereitung, Durchführung, Konsolidierung. Die erste Phase ist geprägt von vorbereitenden Angriffen – und an der Grenze im Raum Charkiw kann man ganz klar erkennen, dass wir bereits in dieser Phase sind. Die Russen versuchen gezielt, die Artilleriestellungen der Ukrainer anzugreifen, sie zerstören Infrastruktur in Charkiw. Noch nicht zu erkennen ist ein massives Zusammenziehen von Truppen jenseits der Grenze für einen möglichen Vorstoß zu Beginn des Sommers.

In einem Bericht aus dem umkämpften Tschassiw Jar erklärt ein Militärarzt, 90 Prozent der Verletzungen seien derzeit auf Drohnenangriffe zurückzuführen. Ist dieser Krieg endgültig zu einem Krieg der Drohnen geworden?

Das kann man in vielen Bereichen so sagen. Vor allem Kamikaze-Drohnen werden im Moment dazu verwendet, um Angriffe zum Stehen zu bringen. Nur mit denen schafft es die Ukraine mangels Artillerie derzeit überhaupt, die Russen auf Distanz zu halten. Aber die Russen nutzen diese Systeme ebenfalls im großen Stil – und sie haben einen funktionierenden militärisch-industriellen Komplex. Wir erleben zehntausende Drohnen, die gleichzeitig im Einsatz sind. Der Mensch zieht sich immer mehr unter die Erde zurück und bekämpft den Gegner aus dem Bunker heraus. Vor einigen Wochen kursierte ein Video, das russische Bodenroboter zeigte, die versuchten, einen ukrainischen Stützpunkt aufzuklären. Dieser Angriff wurde dann durch einen Angriff ukrainischer Kamikaze-Drohnen abgewehrt.

Die Ukraine hat ein neues Mobilisierungsgesetz verabschiedet

Drohnen kämpfen gegen Drohnen?

So ist es. Das hat auch der ukrainische General Walerij Saluschnyj in seinem vielbeachteten Essay Ende letzten Jahres angesprochen: Er sagte, er brauche quasi eine neue Wunderwaffe, vergleichbar mit der Erfindung des Schießpulvers einst in China. Damit meinte er eine Waffe, die das elektromagnetische Spektrum beherrscht. Das ist eine neue Domäne der Kriegsführung, es geht um das Starten, Steuern und sogar das erzwungene Runterholen von Drohnen. Wer das beherrscht, ist siegreich. Die Russen haben es über die letzten zwei Jahre geschafft, diese Domäne für sich zu erobern. Nehmen wir die in der Endphase elektronisch gesteuerten Artilleriegranaten vom Typ Excalibur, die von der Ukraine eingesetzt werden: Zu Angriff des Krieges lag deren Trefferquote bei 70 Prozent, jetzt zum Teil nur noch bei sechs Prozent – das liegt an den Störmaßnahmen der Russen.

Vor einigen Monaten kündigte die Ukraine an, eine eigene neue Truppe aufzustellen, die auf unbemannte Systeme spezialisiert sein würde, quasi “Drohnenstreitkräfte”. An der Front, so berichten ukrainische Militärjournalisten, spüre man davon aber noch nichts.

Der militärisch-industrielle Komplex der Ukraine ist schwer angeschlagen. Russland wiederum verfügt über einen militärisch-industriellen Komplex mit sehr großem Potenzial. Beide Länder haben sich vorgenommen, in diesem Jahr eine Million Drohnen zu fertigen. Russland hat hier aber einen großen Vorteil. Es wird in diesem Krieg von China und anderen unterstützt, und es kann auf bestehende Rüstungsfabriken zurückgreifen. In der Ukraine werden die Menschen aufgefordert, sich aus dem Internet einen Bauplan herunterzuladen, sich die nötigen Teile zu kaufen und die Drohne selbst zu bauen. Und nicht jeder ist fähig, diese Drohnen zu steuern. Da kommen wir wieder zum Abnutzungskrieg – und der folgt seiner eigenen Grammatik: Wer weniger Ressourcen hat, kann irgendwann zusammenbrechen.

Die Ukraine hat vor kurzem ein neues Mobilisierungsgesetz verabschiedet und will hunderttausende neuer Soldaten ausheben. Wird das auf dem Schlachtfeld etwas bewirken?

In diesem Jahr vermutlich nicht. Neue Soldaten müssen ja ausgebildet werden. Es geht bei der Ukraine eher darum, 2025 wieder in die Offensive zu gehen. Wie bei der Vorbereitung der Sommeroffensive 2023 versucht die Ukraine, dazu neue Brigaden aufzustellen. Sie musste aber vor kurzem eingestehen, dass sie die Brigaden, die sie gerade aufstellt, zum Teil nicht mit Personal und Material ausstatten kann.

Gerade in Deutschland wird ja immer wieder über die Lieferung einzelner Waffensysteme gestritten – Stichwort Taurus. Wie sinnvoll ist das?

Man überlässt das Feld da zu sehr den Politikwissenschaftlern, gerade in Deutschland. Das Militär folgt gewissen Regeln: Krieg funktioniert nur, wenn alle Teilfähigkeiten zum Zusammenwirken gebracht werden. Der Leopard alleine kann nichts bewirken, er braucht Luftunterstützung, er braucht Pioniergerät, um Minenfelder zu überwinden, er braucht Schützenpanzer, um Gelände zu halten. Leider werden zumeist nur bestimmte Waffensysteme geliefert, diese werden dann übereilt in den Einsatz gebracht. Sie können dann ihre Qualitäten aber nicht entfalten, weil andere Systeme fehlen. Das ist das Dilemma zwischen dem, was das Militär fordert, und dem politischen Willen. Das 61-Milliarden Dollar-Paket aus den USA, so groß diese Summe auch klingen mag, wird der Ukraine bestenfalls ermöglichen, bis Ende des Jahres die Gebiete zu halten. Aber um wirklich in die Offensive zu gehen, bräuchte es weitere massive Anstrengungen. Nur als Beispiel: Die Amerikaner haben 31 Abrams-Panzer geliefert. Interessant wird es aber erst ab 310 Panzern, aber da sind wir noch immer in der Defensive. Ab 3100 können wir in realistischen Szenarien denken, Gebiete zurückzuerobern. Denken Sie daran: Die Russen haben –  und das sind die Zahlen der Ukrainer – 3000 Kampfpanzer, 7000 Schützenpanzer, 5000 Artilleriesysteme, 1200 Raketenwerfer und noch etwa 300 Kampfflugzeuge und 300 Kampfhubschrauber im Einsatz. Die muss man alle niederkämpfen. Und die europäischen Armeen haben nicht mehr viel in ihren Beständen.

Die USA hätten aber die Produktionskapazitäten, oder?

Die USA haben eine klar zu erkennende Strategie: Sie wollen nicht, dass Russland zerbricht, weil dann ein größerer Krisenherd entstünde. Aber sie geben der Ukraine immer das, was sie braucht, um kämpfen zu können – in der Hoffnung, dass die Russen von sich aus Frieden suchen. Aber das ist bisher nicht eingetreten.

Die Ukraine hat also genug, um zu kämpfen, aber nicht genug, um zu siegen?

Oder auch: zu viel zum Sterben, zu wenig zum Leben.

Manche hoffen ja auf Verhandlungen nach den US-Präsidentschaftswahlen im Herbst. Wir wird sich die militärische Lage bis dahin weiter entwickeln?

Es geht darum, die Position zu verbessern für mögliche Verhandlungen. Die Frage ist: Führt die Ukraine sie aus einer Position der Stärke – oder muss sie einen Siegfrieden akzeptieren? Da gibt es seit Beginn des Krieges drei Szenarien. Das erste: Die russische Armee siegt in diesem Kampf der Ressourcen, durchbricht die Front und stößt bis zum Fluss Dnipro vor. Das zweite Szenario ist eine Pattsituation: Der Westen sorgt für regelmäßige Lieferungen, die Russen sind nicht in der Lage, genügend Kräfte für einen Durchbruch zu mobilisieren – und der Krieg geht in einen Waffenstillstand über. Das dritte Szenario ist ein Zusammenbruch Russlands, die Ukraine bricht durch und befreit ihre Gebiete. Das ist aber aus heutiger Sicht das unrealistischste Szenario, weil die Ressourcenlage dazu nicht passt. Es scheint auf russischer Seite – die Wahlen haben das gezeigt – eine Konsolidierung zu geben. Putin sitzt frisch gewählt fest im Sattel, die breite Masse der Bevölkerung Russlands steht hinter ihm, und im Hintergrund unterstützt der Globale Süden das Land.

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