Kleidet sich nicht wie ein Emmentaler: Langnau-Trainer Thierry Paterlini.
Die SCL Tigers haben eine erstaunliche Entwicklung hinter sich. Sie werden erstmals seit vier Jahren die Saison nicht auf einem der beiden letzten Plätzen beenden. Eine Momentaufnahme vor Ort zeigt, wie dieses kleine Hockey-Wunder ohne Budgeterhöhung möglich geworden ist.
Im Frühjahr 2019 hängt der Himmel im Hockey-Emmental noch voller Bassgeigen (im Gotthelfland ist die Bassgeige populärer als die Geige). Heinz Ehlers hat die SCL Tigers auf Rang 6 in die Playoffs gecoacht. Dann folgen ein dramatischer Absturz und eine wundersame Erholung.
2018/19 50 Spiele 78 Punkte 6. Platz
2019/20 50 Spiele 63 Punkte 11. Platz
2020/21 52 Spiele/34 Punkte 12. Platz
2021/22 50 Spiele/35 Punkte 12. Platz
2022/23 52 Spiele/60 Punkte 13. Platz
2023/24 50 Spiele/68 Punkte 10. Platz
Noch am 26. Januar 2024 ist die Lage fast aussichtslos. Die Langnauer verlieren in Biel 1:2 und haben auf die Bieler und den 10. Platz bei zwei Spielen mehr sechs Punkte Rückstand. Nun ist daraus ein 10. Platz mit einem Punkt Vorsprung auf Biel geworden. Selbst wenn die Langnauer diese Position in den letzten zwei Partien gegen Kloten (h) und die ZSC Lions (a) nicht halten können: Sie spielen gerade die beste Saison seit den Playoffs von 2019. Der Ligaerhalt ist bereits definitiv gesichert. Ein Playout-Drama wie letzte Saison gegen Ajoie wird es nicht mehr geben. Die Langnauer spielen um Play In-Ruhm und schlimmstenfalls drohen frühe Ferien.
Die aktuelle Tabelle der National League, Stand 29. Februar 2024.
In der Regel kann sich ein Team über einen längeren Zeitraum nur durch die Zufuhr von Frischgeld verbessern. Aber der Sauerstoff dieser Entwicklung ist nicht Geld. Sportchef Pascal Müller hatte für die Zusammenstellung des aktuellen Teams nicht mehr Geld zur Verfügung als seine Vorgänger. Die Lohngesamtsumme (ohne Trainer) verharrt nach wie vor bei rund sechs Millionen.
Weniger Geld gibt nur noch Ajoie aus. Die Behauptung, Langnau gebe nur halb so viel aus wie der SC Bern ist polemisch. Aber mit ziemlicher Sicherheit nicht ganz falsch. «Unser Sportchef kann nicht mehr Geld ausgeben als seine Vorgänger», sagt der für den Sportbereich verantwortliche Verwaltungsrat Karl Brügger, der sonst nie über die Finanzen spricht. «Aber er investiert es besser …»
Sportchef Pascal Müller gibt Langnaus begrenztes Budget klug aus.
Im Frühjahr 2022 wird Pascal Müller (44) Sportchef. Der verlorene Sohn kehrt heim. 1998 steigt er mit Langnau in die höchste Liga auf und ab 2001 bricht er zu Lehr- und Wanderjahren auf, die in nach Zug, Ambri, Zürich und Kloten führen. Nun ist er wieder daheim und die Arbeit für «seinen» Klub sieht er als Mission und nicht bloss als Broterwerb. Er holt im Sommer Thierry Paterlini als Trainer ins Emmental und bildet mit ihm nun schon in der zweiten Saison eine Schicksalsgemeinschaft. Wie Paolo Duca in Ambri mit Luca Cereda.
Auf dem heimischen Transfermarkt konzentriert sich Pascal Müller auf Spieler, die ihre Zukunft noch nicht hinter sich haben (wie Charlin, Meier, Zanetti oder Schmutz) und bei den ausländischen Fachkräften achtet er auf die richtige Mischung aus Talent, Persönlichkeit und Integration in die Klubkultur. Vor allem aber ist der Sportchef drauf und dran, zusammen mit Thierry Paterlini die Mentalität der demütigen Bescheidenheit («bei uns ist halt nicht mehr möglich, man muss auch mal zufrieden sein») zu verändern, die tief in der DNA der Emmentaler eingeprägt ist.
Seit den späten 1980er-Jahren war der Hockey-Alltag im Emmental von einer leichten Schwermut geprägt. Wahrscheinlich könnte der kultige finnische Filmemacher Aki Kaurismäki die Hockey-Emmentaler durchaus treffend porträtieren: Es ist eben nicht nur die üppige, grüne, sonnige, ghögerige Landschaft mit fröhlichen Kälbern, glücklichen Kühen und redlichen, arbeitsamen Menschen.
Manchmal scheint die Sonne vor allem im Hockey nicht und die Schwermut und die Abstiegsgefahr steigen aus den schwarzen Wäldern herauf wie die Nebelschwaden nach dem Gewitter. Gerne vergisst der Fremde, dass die Emmentaler das meiste recht schwernehmen, sogar das Singen und Jodeln, zu welchem sie die Hände im Hosensack zur Faust ballen. Wahrscheinlich ist das auch beim Torjubel bei vielen so.
Nun ist eine Leichtigkeit spürbar, die nicht nur der sportlichen Verbesserung geschuldet ist. Diese sportliche Verbesserung ist eher eine Folge dieser Leichtigkeit.
Ortstermin, Dienstag, 27. Februar. Das Training ist kurz nach 11 Uhr offiziell zu Ende. Aber einige Spieler und vor allem die finnischen Gastarbeiter um Captain Harri Pesonen üben noch ein paar Trickli. Cheftrainer Thierry Paterlini steht zu diesem Zeitpunkt bereits frisch geduscht, gebürstet und gekämmt im Kabinengang freundlich Red und Antwort. Er sagt, heute hätte er eigentlich streng sein müssen. Intensität und Präzision seien im Training ungenügend gewesen. Aber es sei jetzt besser, heute die Spieler in Ruhe zu lassen.
Spüren, wann es Zeit ist zu toben und wann es besser ist, zurückhaltend zu sein: Ein Trainer, der darauf vertraut, dass die Mannschaft sich bis zu einem gewissen Grad selbst führt. Dass die Leitwölfe in der Kabine auch mal ohne seine Anwesenheit zum Rechten schauen. «Nein, ganz so ist es nicht», korrigiert Thierry Paterlini. F«ührung braucht es schon.» Auch für Harri Pesonen.
Die beste Erklärung für Langnaus Wandel hat Captain Harri Pesonen, Olympiasieger und Weltmeister, wenn er mit gut spürbarem Respekt über die Trainer («Coaching Staff») spricht. Er spielt seine neunte Saison in der Schweiz, die fünfte in Langnau und ist mit dem Wesen der Schweizer erstaunlich gut vertraut. Wie daheim in Finnland, wo er an Dialekt und Kleidung sofort sehe, ob einer aus Helsinki oder dem hohen Norden komme, so erkenne er inzwischen, ob einer aus Zürich oder dem Wallis oder dem Bernbiet stamme.
«Am Dialekt, aber auch an der Art wie sie sich kleiden.» Ja, ja, das sei so. Beispielsweise sei Thierry Paterlini der coole Zürcher. Durch die modische Kleidung. Er sagt es so: «Yeah, he looks really sharp.» Er sagt es mit Ehrfurcht. Und Steve sei der typische Emmentaler. «Er sagt nur wenig.» Aber was er sage, habe Hand und Fuss. Steve Hirschi ist der Assistent von Thierry Paterlini. 2003 hat er das Emmental verlassen, ist in Lugano zu meisterlichem Ruhm (2006) und Geld gekommen und 2017 heimgekehrt nach Langnau.
In Lugano ist Steve Hirschi eine Legende.
Harri Pesonen steht für den Spass am Hockey, für die Spielfreude der Langnauer. Ein cooler Zürcher und ein Emmentaler an der Bande plus ein Emmentaler im Sportchef-Büro. Das ist die richtige sportliche Führungscrew, um die Mentalität zu verändern. Mit Pascal Müller und Steve Hirschi sind zwei Emmentaler heimgekehrt ins Dorf und bringen ihre immense Erfahrung aus der Fremde nun in den Klub ein.
Noch nie in der Geschichte ist es den Langnauern so gut gelungen, das Hockey-Wissen und die Erfahrung der Ehemaligen so gut zu nutzen. So viel Langnau war in der Neuzeit noch nie in Langnau. Fast geht vergessen, dass auch Martin Gerber, in Amerika Millionär und Stanley Cup-Sieger geworden, ins Dorf zurückgekehrt ist und still und bescheiden im Hintergrund seine Erfahrung einbringt.
Als es darum ging, die Goalieposition zu besetzen und dafür nur wenig Geld zur Verfügung stand, war er es, der zum «Experiment Stéphane Charlin» geraten hat. Dem Junioren-Nationalgoalie aus Genf wollte niemand mehr eine Chance geben. Nun hat er bereits die ersten Länderspiele bestritten.
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