«Der Preis der AHV-Initiative ist hoch. Jemand wird das bezahlen müssen»

Kaum im Amt angekommen, kämpft die neue Innenministerin gegen zwei Volksinitiativen – und gegen ihre eigene Partei. Anders als die SP macht sie sich grosse Sorgen um die AHV-Finanzen.

«der preis der ahv-initiative ist hoch. jemand wird das bezahlen müssen»

Sie kann sich eine Rentenaltererhöhung auch nach einer Ablehnung der Renteninitiative vorstellen: Elisabeth Baume-Schneider, seit Beginn des Jahres Innenministerin.

Frau Baume-Schneider, bei der 13. AHV-Rente müssen Sie gegen ein Herzensanliegen Ihrer Partei und der Gewerkschaften kämpfen. Werden Sie eine engagierte Kampagne führen oder lediglich die Sichtweise des Bundesrates vorbringen?

Ich werde sachlich sein und alle Argumente präsentieren. Wir müssen vermitteln, dass die AHV nachhaltig finanziert sein muss. Für mich ist das kein Kampf. Ich nehme meine Verantwortung als Bundesrätin wahr.

Trotzdem gehen wir davon aus, dass Sie die 13. AHV-Rente unterstützt hätten, wenn Sie nicht die Meinung des Bundesrats vertreten müssten. Wie schwierig ist es, gegen die persönliche Überzeugung zu argumentieren?

Ich bin Mitglied einer Exekutive. Für mich ist es nichts Neues, die Position der Regierung zu vertreten. In dieser Situation war ich auch schon in der jurassischen Regierung. So funktioniert die Schweizer Demokratie.

Die

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Umfragen zeigen

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, dass die Initiative auch im bürgerlichen Lager populär ist. Wen müssen Sie noch überzeugen, damit die Initiative abgelehnt wird?

Der Bundesrat anerkennt, dass ein würdiges Leben im Alter gesichert sein muss und dass der Erhalt der Kaufkraft wichtig ist. Aber statt allen eine 13. Rente zuzusprechen, sollten wir auf Instrumente setzen, die gezielt jenen zugutekommen, die Unterstützung benötigen. Ein mögliches Mittel sind die Ergänzungsleistungen. Im Parlament sind als Alternative dazu zwei Vorstösse hängig, die gezielte Rentenverbesserungen für die unteren Einkommen verlangen.

Die Folgen sind jeweils die gleichen: mehr Geld für Rentnerinnen und Rentner.

Ja, aber der Preis dieser Initiative ist im Vergleich hoch. Wenn wir jährlich zusätzlich 4 bis 5 Milliarden Franken an Rentenzahlungen leisten müssen, gerät die AHV ab 2026 in die roten Zahlen. Jemand wird das bezahlen müssen. Wenn wir die Mehrwertsteuer erhöhen, belastet das die Leute mit kleinem Einkommen am stärksten. Wenn die Lohnabgaben um je 0,4 Prozentpunkte erhöht werden, zahlen das die Arbeitnehmenden und die Wirtschaft. Zusätzlich belastet würde auch der Bundeshaushalt mit fast einer Milliarde Franken.

Der Bund müsste also ein Sparpaket schnüren?

Wir sind bereits jetzt in einer schwierigen Finanzlage. Der Bund müsste womöglich zusätzliche Einsparungen beschliessen, die allenfalls die Armee oder die Landwirtschaft treffen könnten. Es geht nicht darum, mit Zahlen Angst zu verbreiten. Es geht darum, Zusammenhänge aufzuzeigen.

Es würde sich auch niemand mehr davor fürchten. Die Bevölkerung hat sich mit den Milliardenhilfen wegen Corona und der Rettung der CS an hohe Beträge gewöhnt.

Ich verstehe, dass manche Leute sich fragen: Der Staat hat für dieses oder jenes Geld, warum also nicht auch für die AHV? Aber anders als bei Corona und der CS haben wir es hier nicht mit einer Krise zu tun. Die AHV steht wegen der Demografie ohnehin vor schwierigen Jahren. Die Zahl der Rentnerinnen und Rentner nimmt zu, viele stehen kurz vor dem Rentenalter. Der Bundesrat ist sich aber bewusst, dass es ältere Menschen gibt, deren Situation prekär ist.

Sie haben zwei Möglichkeiten erwähnt, wie Sie bedürftigen Rentnern helfen könnten. Verstehen Sie, dass sich viele Menschen in Ihrer Würde verletzt fühlen, wenn sie nach Jahrzehnten im Erwerbsleben Ergänzungsleistungen beantragen müssen?

Nein, denn sie haben einen Rechtsanspruch auf Ergänzungsleistungen. Niemand muss sich dafür schämen. Auch mein verstorbener Vater hat Ergänzungsleistungen benötigt. Sie decken beispielsweise Gesundheitskosten, die sich die Personen nicht leisten können. Die Krankenversicherung wird voll übernommen.

Sie schlagen also vor, dass bei einem Nein zur 13. AHV-Rente die Ergänzungsleistungen erhöht werden. Die Ausgaben dafür steigen wegen der Demografie aber ohnehin stark an. Die Bürgerlichen haben sich deshalb bei der letzten Reform für Kürzungen eingesetzt. Ist da ein Ausbau realistisch?

Ich werde Massnahmen vorschlagen, die gezielt den Rentnerinnen und Rentnern mit den tiefsten Einkommen helfen. Auch im Parlament sehen alle, dass Altersarmut ein grösseres Thema geworden ist. Dass wir den Senioren nicht einfach sagen können, dass sie ihre Familien um Hilfe bitten sollen.

Hätte das Parlament einen Gegenvorschlag beschliessen sollen, um der Initiative den Wind aus den Segeln zu nehmen?

Es steht mir nicht zu, dem Parlament zu sagen, was es tun soll und was nicht. Der Nationalrat hat eine Verbesserung für bedürftige Rentnerinnen und Rentner bereits klar befürwortet. Hier bewegt sich etwas, das ist offensichtlich.

«Die AHV ist das wichtigste Sozialwerk, das wir haben. Sie muss zwingend gesund bleiben.»

Wenn die Bevölkerung die Initiative für eine 13. Rente annimmt, würde der AHV-Fonds 2027 weniger Mittel beinhalten, als gesetzlich vorgeschrieben sind. Würden Sie dem Parlament sofort eine Reform der AHV präsentieren oder erst 2026, wenn Sie sowieso dazu verpflichtet sind?

Ich sehe fast keinen Unterschied zwischen sofort und 2026. Eine solche Reform ist ein politisch langfristiger Prozess.

Bis das Parlament eine solche Reform behandelt und eventuell die Bevölkerung darüber abgestimmt hätte, könnte es 2030 sein.

Bis dann wäre die AHV in den tiefroten Zahlen, ja. Der Bundesrat will ein solches Szenario verhindern und lehnt die Initiative deshalb ab.

Erhöhung der Mehrwertsteuer, Lohnabzüge, Rentenaltererhöhung, Bundesbeiträge: Es gibt verschiedene Instrumente, um die AHV zu sanieren. Welches bevorzugen Sie?

Es ist zu früh, um das zu sagen. Wir werden das im Bundesrat diskutieren. Aber allzu viele Möglichkeiten gibt es nicht. Irgendwo in diesen Bereichen werden Kompromisse nötig sein. Die AHV ist das wichtigste Sozialwerk, das wir haben. Sie muss zwingend gesund bleiben.

Ihr Hauptargument gegen die 13. Rente ist, dass die AHV in der Balance bleiben soll. Konsequenterweise müssten Sie auch für die Renteninitiative sein, die eine Erhöhung des ordentlichen Rentenalters fordert.

Nein. Das Hauptproblem der Initiative ist die automatische Erhöhung des Rentenalters. Nachdem dieses in einem ersten Schritt auf 66 Jahre angehoben worden ist, soll es danach für jedes zusätzliche Jahr an Lebenserwartung um 0,8 Jahre steigen. Bei einem so sensiblen Thema einen Automatismus einzuführen, passt nicht zur politischen Kultur der Schweiz. Denken Sie daran, wie emotional die Rentenaltererhöhung für die Frauen vor anderthalb Jahren diskutiert worden ist. Zu solchen Schritten braucht es immer eine politische Diskussion.

Es gibt viele Beispiele für Automatismen in der Schweiz, auch bei sensiblen Themen. Denken Sie an den Mischindex für die Ermittlung der AHV-Rente, den Referenzzinssatz für die Ermittlung der Mieten – oder die Anpassung Ihres Bundesratslohns an die Inflation.

Das stimmt, bloss sind Ihre Beispiele jeweils von nur einem oder zwei Faktoren abhängig. Ob eine Erhöhung des ordentlichen Rentenalters sinnvoll ist, hängt aber nicht nur von der Lebenserwartung ab, sondern auch von den Veränderungen in der Arbeitswelt. Können ältere Personen leichter weiterbeschäftigt werden als heute? Wie leicht finden sie nach einer Entlassung wieder eine Stelle? In welchen Berufen ist es überhaupt zumutbar, länger als heute zu arbeiten? Es gibt viele Fragen, die der Bundesrat, das Parlament und die Bevölkerung jedes Mal neu bewerten müssen.

Dass Sie als Politikerin so denken, ergibt Sinn, aber es handelt sich dabei um ein demokratiepolitisches und damit ziemlich akademisches Argument. Die arbeitende Bevölkerung interessiert etwas anderes: Braucht es im Grundsatz eine Erhöhung des ordentlichen Rentenalters von 65, wie es mit der Einführung der AHV 1948 eingeführt wurde?

Bei der nächsten AHV-Reform wird der Bundesrat sicher über das Rentenalter diskutieren. Wichtig ist dabei aber auch, zu wissen, wie es sich auswirkt, dass Personen seit diesem Jahr den Bezug ihrer AHV-Rente viel flexibler wählen können. Diesen Aspekt und die anderen vorhin erwähnten Fragen werden wir analysieren und dann entscheiden, zu welchen Mitteln wir greifen.

Die Jungfreisinnigen haben Ihnen einen Bärendienst erwiesen. Wenn die Bevölkerung ihre Renteninitiative deutlich ablehnt, werden Sie grosse Mühe haben, in Ihrer nächsten Reform für eine Rentenaltererhöhung zu argumentieren.

Es ist normal, dass sich Politik wiederholt mit den gleichen Fragen befasst. Ich traue dem Parlament und der Bevölkerung zu, dass sie dereinst zwischen den verschiedenen Ausgangslagen und Vorlagen unterscheiden werden. Mit der Initiative für eine 13. AHV-Rente ist es genau das Gleiche: Sie kommt jetzt direkt nach einem starken Anstieg der Lebenshaltungskosten zur Abstimmung und hat darum gute Umfragewerte. 2016 dagegen hat die Bevölkerung die fast identische Vorlage sehr deutlich abgelehnt. Es kommt immer auf den Kontext an.

«der preis der ahv-initiative ist hoch. jemand wird das bezahlen müssen»

Elisabeth Baume-Schneider sieht dunkle Wolken auf die AHV zukommen: Selbst wenn die Stimmbevölkerung die Gewerkschaftsinitiative für eine 13. AHV-Rente verwerfen sollte, bräuchte das Sozialwerk bald eine nächste Reform.

Viele andere Länder in Europa haben ein höheres Rentenalter als die Schweiz. Warum tun wir uns so schwer damit?

Wir haben ein spezielles System. Die Sozialpartner bestimmen die Regeln auf dem Arbeitsmarkt so stark wie nirgendwo sonst. Das hat zur Folge, dass wir Konflikte vermeiden, die in anderen Ländern ganz normal sind. Aber das führt auch zu einer anderen Kultur, wie wir mit dem Rentenalter umgehen. In beschwerlichen Berufen wie auf dem Bau ist es schon heute möglich, früher in Rente zu gehen. In anderen, wo die Arbeitnehmer zum Beispiel erst später mit Einzahlungen in die AHV beginnen, ist dank der erwähnten Flexibilisierung ein höheres Rentenalter möglich. Das mag ich an der Schweiz.

Hier knüpft die Idee der Lebensarbeitszeit an: Wer länger in Ausbildung ist, soll länger arbeiten und einzahlen müssen. Das Parlament hat dem Bundesrat letztes Jahr den Auftrag gegeben, die Möglichkeit einer Umsetzung zu prüfen. Wie stehen Sie dazu?

Das ist eine interessante Idee. Personen, die länger studiert haben, haben tendenziell körperlich weniger anstrengende Berufe und können eher in Teilzeitpensen arbeiten. Damit ist es leichter, auch bis zu einem höheren Alter beruflich aktiv zu sein. Die Faktoren, die zur Festlegung des richtigen Rentenalters für einen Plattenleger führen, sind ganz andere als jene bei einem Universitätsprofessor. Die Flexibilisierung des Rentenalters geht auch in diese Richtung. Es wird interessant sein, zu sehen, wie die Menschen auf diese Möglichkeit der letzten AHV-Reform reagieren.

Sie sind noch nicht einmal einen Monat im neuen Amt. Wie haben Sie sich eingearbeitet? Haben Sie ein Privatseminar zur Altersvorsorge von einem Mitarbeitenden bekommen oder vielleicht Erklärvideos auf Youtube angeschaut?

Videos habe ich mir keine angeschaut. Ich habe mit meinem Vorgänger Alain Berset gesprochen und Dossiers studiert. Die verschiedenen Ämter haben mir Ordner zusammengestellt, die mir die schrittweise Einarbeitung in die Dossiers ermöglicht haben. Aber mit vielen Themen war ich auch schon in meiner früheren beruflichen und politischen Tätigkeit konfrontiert.

«der preis der ahv-initiative ist hoch. jemand wird das bezahlen müssen»

Dank Aktenstudium zwischen den Jahren schon tief drin in der Materie: Elisabeth Baume-Schneider während des Interviews in einem Sitzungszimmer des Innendepartements.

Sie haben einen steilen Einstieg mit den zwei Abstimmungsvorlagen im März. Wie haben Sie sich organisiert?

Ich hatte nicht so eine gemütliche Weihnachtszeit wie sonst. Meine Ferien waren etwas kürzer als normal.

Was hat Sie zum Wechsel bewogen: War es die Lust auf das Innendepartement oder die Unlust am Justizdepartement?

Keines von beidem. Es war die Möglichkeit, mich mit Themen zu beschäftigen, die mir vertraut sind, meinem beruflichen Lebenslauf entsprechen und bei denen ich diese Expertise einbringen kann. Die Migrationspolitik ist ein schwieriges Dossier. Das sieht man in allen Ländern Europas. Das war nicht der Grund, dass ich gewechselt habe. Ich bin überzeugt, dass man der Kritik am besten mit sachlicher Argumentation und Fakten begegnet.

Aber Sie wurden im letzten Jahr doch sehr hart angegriffen, insbesondere wegen der Asylpolitik. Empfanden Sie die Kritik der SVP als unfair?

Ich will das nicht qualifizieren. Die Kritiker waren gewählte Parlamentarier, deren Rolle es ist, sich zur bundesrätlichen Politik zu äussern. Es stimmt, die einen waren hart, andere sachlicher und rücksichtsvoller. Aber man muss auch sehen, dass wir in einem Wahljahr standen. Ich werde auch in diesem Departement exponiert sein und nicht von Kritik verschont bleiben.

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