Philipp Rickenbacher war der Privatbankchef von nebenan. Nach den waghalsigen Benko-Krediten fragt sich die Finanzwelt: War das nur Fassade?
Philipp Rickenbacher hat als Chef der Privatbank Julius Bär grosse Probleme zu lösen – allen voran wegen der Kredite, die seine Bank René Benko gegeben hat. Christoph Ruckstuhl / NZZ
Der Besuch bei einer Schweizer Privatbank kann einschüchtern. Der Reichtum wird zwar nie protzig zur Schau gestellt. Aber zwischen hochwertigen Möbeln und ausgewählter Kunst beschleicht doch so manchen Gast das Gefühl, gar nicht hierher zu gehören.
Einem guten Banker gelingt es – mehr durch seine Art als durch seine Worte –, den Besuchern diesen Zweifel zu nehmen: Aber natürlich sind Sie bei uns willkommen!
Der fassbare Bankchef
In dieser Beziehung ist Philipp Rickenbacher, der 52-jährige Chef von Julius Bär, ein ausgezeichneter Banker – genau weil er nicht wie ein Kundenberater alter Schule rüberkommt. Er trägt einen Kurzhaarschnitt statt eine aufwendige Föhnfrisur und verzichtet aufs Einstecktuch. Mehr als die in der Branche obligate Hermès-Krawatte, den Inbegriff des subtilen Luxus, trägt er kaum je zur Schau.
Mehr noch als solche Attribute ist es Rickenbachers Auftritt, der ihn gradlinig und unprätentiös erscheinen lässt. Nach bald zwanzig Jahren bei Julius Bär weiss er sehr vieles über das Bankgeschäft, bleibt im Gespräch aber bescheiden und kippt nie ins Lehrerhafte. Er spricht gut Englisch, lässt aber, wenn er die Halbjahreszahlen von Julius Bär vorstellt, stets einen leichten Schweizer Akzent durchschimmern.
All das macht ihn fassbar. Rickenbacher – der gerne von sich sagt, er sei an der Rickenbachstrasse in Rickenbach, also auf dem Land, aufgewachsen – könnte der Firmenkundenberater von nebenan sein, mit dem es den Kredit für die neue Fabrikhalle zu besprechen gilt. Dabei ist er der Chef der – nach vielen Kriterien – grössten Privatbank der Schweiz.
Ein Chef jedoch, der seit Wochen unter Druck steht: Seine Bank hat dem Tiroler Immobilienkönig René Benko in den vergangenen Jahren mehr als 600 Millionen Franken an Krediten gewährt. Weil das Firmenreich des Österreichers zerbricht, kämpft nun auch Julius Bär um ihre Kredite – und ihren Ruf.
Die Finanzmärkte reagierten Mitte November heftig, als die Bank ihr Benko-Risiko indirekt eingestand. Der Aktienkurs fiel um einen Fünftel und hat sich seither nicht erholt. Viele hatten es Rickenbachers Privatbank schlicht nicht zugetraut, dass sie derart grosse und undurchsichtige Geschäfte mit einem hochriskanten Kunden machte. Der Nimbus des Bankers von nebenan ist angekratzt.
Naturwissenschafter, Berater – Banker
Dass Rickenbacher nicht wie ein traditioneller Privatkundenberater wirkt, liegt daran, dass er keiner ist. Er hat bis 1997 Biotechnologie an der ETH studiert und verdiente sich anschliessend während sieben Jahren bei den Beratern von McKinsey die Sporen ab. Dann folgte der Wechsel «zum Bär», damals noch eine grössenmässig überschaubare Privatbank mit starkem Bezug zur Gründerfamilie.
Bis dahin gleicht Rickenbachers Weg demjenigen vieler Schweizer Topbanker. In der Folge stieg er innerhalb der Bank auf, übernahm jedoch vorwiegend Posten hinter der Front: im Handel und später lange Zeit als Chef der Einheit für strukturierte Produkte. 2019 leitete er zudem kurzzeitig das Geschäft mit den externen Vermögensverwaltern, bevor er den Chefposten von Bernhard Hodler übernahm.
Nur wenige Beobachter ausserhalb der Bank hatten Philipp Rickenbacher damals auf der Rechnung. Sein Werdegang bot Anlass zur Diskussion: Braucht eine Privatbank nicht einen eingefleischten «Kunden-Guy» an der Spitze, um die Superreichen der Welt bei Laune und in der Bank zu halten?
Aber Rickenbacher kannte die Bank Bär wie kein Zweiter – und er verkörperte ihre Rückkehr zum soliden Handwerk.
Über Bär und Rickenbacher lag nämlich stets der Schatten seines Vorvorgängers, Boris Collardi. Der international hervorragend vernetzte Bonvivant hatte aus Julius Bär mit einer gewagten Akquisitionsstrategie eine der grössten Privatbanken der Welt geformt, die auch bei den Reichen Asiens so bekannt war wie kaum ein anderes Schweizer Finanzhaus.
Zugleich geriet Julius Bär wegen ihrer Rolle in einer Reihe von Geldwäscherei- und anderen Skandalen in die Schlagzeilen und auf den Radar der Finanzmarktaufsicht (Finma). Die Aufsichtsbehörde strafte und rügte die Bank 2020 ungewöhnlich scharf.
Da war bereits Rickenbacher am Drücker. Er musste Besserung geloben, und er musste fortan demonstrativ den Anti-Collardi geben – gegenüber Kunden und Mitarbeitern, aber auch für die Finma und für die Schweizer Öffentlichkeit.
Romeo Lacher, der Verwaltungsratspräsident von Julius Bär, begründete Rickenbachers Wahl 2019 im NZZ-Interview entsprechend so: «Für Philipp Rickenbacher sprach, dass er die Organisation und Kultur der Bank kennt, aber selbstkritisch genug ist, zu wissen, was die Bank jetzt braucht und was man besser machen muss.»
Risiko und Rendite
Rickenbachers Aufgabe war von Beginn weg enorm anspruchsvoll. Kurz gesagt, sollte Julius Bär weiter wachsen und so profitabel bleiben, wie es die Bank unter Boris Collardi war – der neue Chef sollte das aber bitte bewerkstelligen, ohne dieselben Risiken einzugehen. Die Naturgesetze des Banking sind jedoch weiterhin in Kraft: Nur wer gewisse Risiken in Kauf nimmt, erhält die Chance, auch Rendite zu erzielen.
Zu Beginn schien Rickenbacher das Kunststück zu gelingen. Er betonte, dass Julius Bär einzig Privatbank sei; sie stehe also frei von Interessenkonflikten stets an der Seite ihrer Kunden. Nach dem Greensill-Skandal der Credit Suisse, der auch in der bankinternen Verbandelung der Produktschmiede im Asset Management mit ihrer Vermögensverwaltung begründet war, kam das gut an.
Julius Bär passte unter Rickenbachers Führung die Vergütungsmodelle seiner Kundenberater an. Die Anreize sollten langfristiger ausgerichtet werden. Die Berater sollten nicht länger mit Blick auf ihren eigenen Bonus allzu riskante Kunden an Bord holen und sich dabei Probleme einhandeln, welche später die Bank würde ausbaden müssen.
Dennoch schaffte es die Zürcher Bank, gute Kundenberater zu halten und auch einige neue Talente zu gewinnen. 2021 gelang Julius Bär ein Rekordergebnis, erstmals knackte sie die Milliardengrenze beim Jahresgewinn. Das gute Marktumfeld half Rickenbacher: Die ultratiefen Zinsen hatten die Vermögenswerte der Kunden in die Höhe gedrückt, und die Bank verdiente an den Gebühren.
Rickenbacher schien jedenfalls der richtige Mann am richtigen Ort zu sein. Selbst die Zinswende 2022, die zu einem jähen Einbruch der Vermögenspreise führte und die Schweizer Privatbanken empfindlich traf, verdaute Julius Bär einigermassen gut.
Warum Benko Rickenbacher und Bär schadet
Philipp Rickenbachers Auftritt und seine Aussenwirkung erklären, warum ihm die Geschichte mit den Benko-Krediten zusetzt: Ist seine Julius Bär etwa gar nicht so risikoarm unterwegs, wie alle glaubten? War das nur Fassade?
Je früher die Bank einen Schlussstrich unter die Sache ziehen, den Verlust genau beziffern und abschreiben kann, desto besser. Ob Julius Bär am Ende 200 oder 300 Millionen Franken verlieren wird, ist dabei nebensächlich. Allerdings deutet derzeit viel darauf hin, dass sich die Entwirrung und Auflösung von Benkos Imperium noch lange hinziehen wird.
Rickenbacher muss zudem die institutionellen Anleger wieder von Julius Bär überzeugen. Sie wurden vom hohen Klumpenrisiko, das die Bank bei der Signa-Gruppe und Benko aufgebaut hatte, komplett überrascht und haben das Vertrauen verloren. Bisher ist es Julius Bär, trotz entsprechenden Versuchen, nicht gelungen, dieses Vertrauen zurückzugewinnen. Darin besteht ein wesentlicher Grund für den weiterhin sehr niedrigen Aktienkurs.
Die Fondsmanager – die ja ihrerseits für Investments geradestehen müssen – haben offenbar nicht genug Informationen zu weiteren Engagements von Julius Bär erhalten, um die Aktie guten Gewissens wieder zuzukaufen. Sie zweifeln, ob Rickenbachers Team wirklich so gut darin ist, die richtigen Risiken auszuwählen.
Banken-Blogs fordern bereits mehr oder weniger deutlich Rickenbachers Rücktritt. Innerhalb der Bank gibt es jedoch nicht den einen Alleinschuldigen für den Fall Benko. Natürlich könnte der Verwaltungsrat um Präsident Lacher nun mit dem Finger auf Rickenbacher zeigen, ihn entlassen und damit Entschlossenheit signalisieren. Er würde es sich damit aber etwas einfach machen, schliesslich hat der Risikoausschuss des Verwaltungsrats die Kredite an Benko als oberste Instanz ebenfalls gutgeheissen.
Führungsfrage hin oder her: Fürs Erste ist Rickenbacher nicht mehr der Private Banker von nebenan. Und so schnell dürfte er es auch nicht wieder werden.