«Ich bin der Einzige von damals 12 Lehrlingen, der noch kocht»

In Restaurantküchen herrschen raue Töne. Ein Spitzenkoch und ein Gastgeber über harsche Machtmenschen, bequeme Junge und fehlende Schweizer Kochbelegschaft.

«ich bin der einzige von damals 12 lehrlingen, der noch kocht»

Streitgespräch zwischen zwei Kochgenerationen: Christoph Schürch (links) vom Restaurant Darling und Franz Faeh vom Hotel Palace in Gstaad.

In den vergangenen Wochen war die traditionsreiche Kronenhalle im Rampenlicht. Zum 100-Jahr-Jubiläum des Zürcher Restaurants strahlte das SRF eine dreiteilige Dok-Reihe aus, in der das Verhalten von Küchenchef Peter Schärer zu reden gab. (Lesen Sie hier mehr über die Dok-Serie und die Reaktion der Kronenhalle-Geschäftsleitung).

Dass es hinter den geschlossenen Küchentüren und bei Servicezeiten zuweilen hektisch wird, bestätigen Spitzenkoch Franz Faeh und der selbstständige Wirt Christoph Schürch. Im Gespräch wird klar, dass sich der Ton der älteren Koch-Gilde zwar gebessert hat, aber dass sie eine Mitschuld am verruchten Ruf der Gastrobranche trägt.

Wann wurden Sie zum letzten Mal angeschrien?

Christoph Schürch: In einem Restaurant in London in den Nullerjahren von einem cholerischen Koch. Davonlaufen war das Einzige, was half.

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Franz Faeh: Mir erging es ähnlich, doch ich wurde nicht nur angeschrien, bis in die 80er-Jahre flogen sogar Pfannen. In der Lehre wurde ich zusammengestaucht, aber immer wegen eines Fehlers, nie grundlos.

Wann wurden Sie selber das letzte Mal laut?

Schürch: Ich finde laut werden kein gutes Führungselement.

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Faeh: Diesen Winter ist es mir einmal passiert. Worum es genau ging, weiss ich nicht mehr. Aber der gleiche Fehler wurde mehrmals an einem Tag gemacht. Ein lauter Schrei, dann wissen meine Leute, der Alte ist noch da.

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Schürch: Hat dich das genervt, dass du laut wurdest?

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Faeh: Und wie. Im Normalfall sieht mir mein Team schon an, wenn etwas nicht stimmt. Wir sind eine Familie und kennen uns gut. Man weiss schon, wie jemand drauf ist, wenn er zur Türe reinkommt. Laut werden kann aber wie ein Weckruf an alle sein. Ausserdem habe ich ein Lied, das ich abspiele. Alle wissen dann, was geschlagen hat.

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Schürch: Flippst du im Alter weniger aus?

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Faeh: Viel weniger. Doch wie man erzogen wurde, prägt einen auch später.

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Schürch: Ein Teufelskreis. Hat einer immer aufs Dach bekommen, gibt man das später weiter. Manche schlüpfen mit der Kochjacke in eine Rolle und üben Macht aus. Trotzdem hat sich dieses patriarchale Verhalten verbessert.

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Faeh: So wie früher kann man nicht mehr mit den Leuten umgehen, alle würden davonlaufen.

Gerade wird wegen einer SRF-Sendung über die Zürcher Kronenhalle diskutiert. Ist der Küchenchef derart aussergewöhnlich in seinem Ton?

Schürch: Ich finde seinen Ton nicht übermässig laut, jedoch kann ich mich mit seiner Kommunikationsart nicht identifizieren. Manchmal muss aber jemand im Team den Tarif durchgeben. Dass er wegen einer falschen Lieferung wütend wird…

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Faeh: … solche Dinge passieren bei uns jeden Tag. Um das Verständnis der Gäste zu fördern, veranstalte ich Apéros in der Küche. Bis ein Gericht fertig ist, muss der Teller durch so viele Hände. Sehen die Gäste das selber, öffnet es ihnen die Augen.

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Schürch: In London gab es auch Kitchen Tables, aber die funktionierten anders: Den Gästen wurde ein richtiges Spektakel geboten. Gordon Ramsay, bei dem ich arbeitete, hat manchmal auf der Stelle jemanden entlassen, die Gäste haben das bei Champagner mitverfolgt. Und genossen.

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Faeh: Aber man darf nicht vergessen: In der Küche zu arbeiten, braucht Disziplin und Organisation.

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Schürch: Unbedingt. Doch problematisch wird es, wenn junge Leute, deren Persönlichkeit noch nicht ganz ausgebildet ist, in der Lehre derart angeschrien werden. Da muss man ein harter Kerl sein.

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Faeh: Oder es macht dich kaputt. Ich bin der Einzige von damals 12 Lehrlingen, der noch im Beruf arbeitet.

Wie viele Leute bilden Sie denn aus?

Faeh: Niemanden. Die Lehrstellen sind alle offen, ich bekomme einfach keine Bewerbungen mehr. Die Jungen sind einfach verweichlicht, sie wollen mehr Freizeit, die Retourkutsche bekommen sie dann bei ihrer AHV.

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Schürch: Ich bin nicht einverstanden mit dir. Die Zeit hat sich geändert, es ist eine andere Generation. Man muss dem Rechnung tragen. Wir machen zum Beispiel keine Zimmerstunden (Anm. der Red.: Pause zwischen Mittags- und Abendservice).

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Faeh: Ohne Zimmerstunde würden meine Köche 16 Stunden arbeiten. Aber wir achten während und ausserhalb der Saison auf genügend Erholung.

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Schürch: Wie viele Einheimische arbeiten bei dir im Team?

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Faeh: 6 – alle in Kaderpositionen – von rund 50 Personen.

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Schürch: Einheimische können wählen, was sie arbeiten wollen. Bei uns in der kleinen Küche ist die Arbeit vielfältiger als auf einem Posten, wo man immer das Gleiche produziert.

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Faeh: Bei uns ist eher der Saisonbetrieb das Problem. Verdient man 90 Tage, dann zwei Monate nichts und danach wieder nur 90 Tage Lohn – damit kann ich keine Schweizer binden. Das war früher anders: In meiner Lehre waren nur Hiesige in der Küche.

«Das Gastgewerbe ist derart in Verruf geraten, dass man keine Schweizer mehr findet.»

Wie kam es zu diesem Umbruch?

Faeh: Meine Generation trägt die Schuld, dass so wenige Schweizer noch im Gastgewerbe sind. Die Mitarbeiter wurden ausgenutzt, verbrannt und weiter ausgenutzt. Und das ist nun die Retourkutsche, für all diese Fehler büssen wir jetzt. Das Gastgewerbe ist derart in Verruf geraten, dass man keine Schweizer mehr findet.

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Schürch: Verliert jemand in einem berühmten Restaurant den Job, stehen fünf weitere vor der Tür, die sofort anfangen würden.

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Faeh: Das ist vorbei. Was aber heute wie damals noch gleich ist: Frauen sind leider selten.

«ich bin der einzige von damals 12 lehrlingen, der noch kocht»

Küchenchef und Gastgeber – nicht immer haben die beiden Gastronomen die gleiche Meinung.

Wie fest ändern Frauen die Stimmung in der Küche?

Schürch: Ich nehme Frauen in ihrer Denkweise anders wahr, was sich auf ein Team positiv auswirken kann.

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Faeh: Ich finde, ein Drittel an Köchinnen tut einem Team gut. Sie arbeiten genauer und sauberer. Man kann sie besser anleiten und sie sind offener für Feedbacks.

Wie beschreiben Sie den Ton in Ihrer Küche?

Faeh: Bei uns gibts keinen Ton, sondern sogar Musik. Italienische Lieder, weil wir viele Köche aus Italien haben. Das nervt dann die Schweizer, aber die sind in der Unterzahl. Mit Musik arbeiten alle ruhiger und es ist angenehmer.

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Schürch: Leidet darunter nicht die Konzentration?

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Faeh: Nein, eigentlich nicht. Fehler passieren selten. Wenn sie passieren, muss man grosszügig sein. Unsere Köche kommen gerne zur Arbeit, weil sie selbstständig entscheiden, Bestellungen übernehmen und Menüs schreiben können.

«ich bin der einzige von damals 12 lehrlingen, der noch kocht»

Selbstständig zu sein, bedeutet für Christoph Schürch auch, dass er meistens eine knappe schwarze Null schreibt und sich nicht von Geld treiben lässt.

Wie wichtig ist der Lohn?

Schürch: Wertschätzung ist viel wichtiger. Geld war für mich nie der Treiber. Wir haben Freude an dem, was wir tun. Und leben eine andere Führung vor. Wir wollen gemeinsam etwas Positives bewirken.

Wer hat das letzte Wort?

Faeh: Der oberste Patron, Andrea Scherz. Ich bin der Einzige, der ihm widersprechen darf. Er ist unser Coach – offen und direkt –, er führt uns, aber jeder weiss, was er zu tun hat. Das braucht es, damit wir als Team stark sind.

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Schürch: Das klingt nach bemerkenswerter Führung. Und wer widerspricht dir?

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Faeh: Niemand wagt das. Deshalb fühle ich mich manchmal als König auf dem Topf. Ich will das gar nicht, weil man so den Respekt bei der heutigen Jugend verliert.

Was braucht es denn?

Faeh: Dass man ihnen als Vorbild und Mentor alles geben kann, beruflich, privat, sozial.

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Schürch: Genau, man ist nicht nur Chef, sondern auch Ansprechperson und Vorbild.

«ich bin der einzige von damals 12 lehrlingen, der noch kocht»

Den Kontrollblick am Passe und das Degustieren der Saucen kann Franz Faeh nicht sein lassen.

Ist es leicht, Kontrolle abzugeben?

Schürch: Wir produzieren ungefähr 100 Teller pro Abend, der Fokus liegt auf dem guten Produkt. Wir richten einfach an, um nicht abzulenken. Daher ist es einfach, die Kontrolle abzugeben.

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Faeh: Ich will jeden Teller sehen, laufe durch die Küche und probiere die Saucen. Würden ich und mein Souschef morgen aufhören, wäre noch niemand der Jungen parat, um den ganzen Betrieb zu übernehmen. Die Konstanz fehlt. Sie produzieren schöne Teller mit tollem Geschmack, aber bei 800 Bestellungen pro Tag kann man das nicht durchziehen. Traditionelle Gerichte bereiten ich oder mein Souschef zu. Bei den Ravioli sind wir beide für die Füllung zuständig, daraus werden 3000 Stück produziert. Läuft etwas schief, sind wir am Schluss die Esel.

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