Der ehemalige Partei- und Fraktionsvorsitzende der AfD, Alexander Gauland, bei einer Debatte des Deutschen Bundestags. Sean Gallup / Getty Images Europe
Nach dem mörderischen Überfall der Hamas im Oktober vergangenen Jahres war das Entsetzen allgemein. Israel galt die Anteilnahme nahezu aller Parteien. Auch die Alternative für Deutschland war erschüttert. Ihr Ehrenvorsitzender Alexander Gauland erklärte vor dem Bundestag, der «barbarische Angriff mit fast ausschliesslich zivilen Opfern» müsse radikal beantwortet werden – indem Deutschland alle Zahlungen an Palästinenserorganisationen einstelle.
Bereits damals stand im Zentrum jene Frage nach der deutschen Staatsräson, die sich nun, nach der iranischen Attacke, deutlich schwieriger beantworten lässt. Am Verhältnis der AfD zu Israel zeigt sich beispielhaft, wie sehr die rechte Partei ihren Weg sucht zwischen geopolitischen und menschenrechtlichen Konzepten.
Iran beim Namen nennen – oder nicht?
Mit sehr verschiedenem Zungenschlag reagierten Parteifunktionäre auf den Angriff aus Iran. Bereits die Vorsitzenden Alice Weidel und Tino Chrupalla setzten unterschiedliche Akzente. Weidel verurteilte den «Angriff des Iran auf Israel» und rief die gesamte Staatengemeinschaft zu deeskalierenden Massnahmen auf.
Chrupalla wandte sich gegen die «nächtlichen Attacken auf Israel», nannte Iran nicht beim Namen und schlug den Bogen zur Innenpolitik: «Wer Einfluss in der Region hat, muss sich nun für Deeskalation einsetzen. Unser Interesse und unsere historische Verantwortung liegen darin, für Frieden in Europa einzutreten.» Aus diesen Worten spricht ein Denken in Räumen, in geografisch voneinander abgegrenzten Machtsphären. Jede Region muss sich dann zuerst um sich selbst kümmern. Mit wachsender Entfernung schwinde die Möglichkeit ebenso wie das Recht zur Einmischung, auch im Falle Israels.
Auf dieser geopolitischen Linie argumentiert der aussenpolitische Sprecher der Bundestagsfraktion, Matthias Moosdorf. Er erklärte, bezeichnenderweise im Namen der ganzen Fraktion, was innerhalb dieser zur Verstimmung führte: Die «neuerliche Eskalation im Nahen Osten» verurteile man entschieden. Iran wird nicht erwähnt, von einer Attacke oder einem Angriff ist nicht die Rede. Wohl aber empfiehlt der sächsische Abgeordnete dem «jüdischen Staat», der sich selbstverständlich verteidigen dürfe, «den Konflikt einzudämmen, die Verständigung mit den Nachbarn zu suchen und nicht selbst die humanitären Rechte, besonders der palästinensischen Zivilbevölkerung, zu verletzen».
Das mahnende Wort an Israel, die unmittelbare Verbindung zum Gaza-Krieg und nicht zuletzt der folgende AfD-Appell fänden auch auf der linken Seite des politischen Spektrums Beifall: «Die deutsche Aussenpolitik sollte Israel bei der Wahrung von Verhältnismässigkeit im Sinne unser aller Zukunft unterstützen.» Sonst drohe «ein Weltenbrand, in dem Russland an der Seite des Irans gegen Israel und die USA stehen könnte».
Der Westen als Streitfall in der AfD
Den Gegenpol zum aussen- bildet der verteidigungspolitische Sprecher der Bundestagsfraktion, Rüdiger Lucassen aus Nordrhein-Westfalen. Der ehemalige Oberst im Generalstab der Bundeswehr warf schon einmal jenen Parteifreunden, die sich durch ein gar zu grosses Verständnis für Putins Russland hervortaten, «so etwas wie Volksverrat» vor. Nun sagte Lucassen der NZZ, wenn die Bundesregierung ihr Bekenntnis ernst nehme, wonach die Sicherheit Israels deutsche Staatsräson sei, müsse sie an der Seite Israels kämpfen. Die Tragweite dieser Verpflichtung sei aber «nie in der deutschen Bevölkerung angekommen». Auch Gauland weist auf diesen Umstand hin.
Schon 2017 und 2018 erklärte der damalige Fraktionsvorsitzende, «es war und ist richtig, die Existenz Israels zu einem Teil unserer Staatsräson zu erklären.» Daraus folge aber die Pflicht, im Ernstfall auch an Israels Seite zu kämpfen und gegebenenfalls zu sterben. Diese Konsequenz werde längst nicht überall gesehen.
Als Gauland im Oktober 2023 zum Hamas-Angriff sprach, erinnerte er daran: «Wenn die sogenannte Staatsräson mehr als eine Floskel sein soll, müssen die deutschen Zahlungen an Palästinenserorganisationen sofort aufhören.» Mit Israel seien «auch wir gemeint, der gesamte Westen», denn Israel sei «der Westen in einer Umgebung, die den Westen ablehnt und bekämpft». Wenn Deutschland sich an die Seite Israels stelle, verteidige es «unsere Art, zu leben und zu denken, gegen einen politisierten Islam». Und das sei «ganz bestimmt deutsche Staatsräson».
Es mag überraschen, bei Gauland, dem seine ebenso indiskutable wie öffentlich bereute Aussage vom «Dritten Reich» als einem «Vogelschiss» in der deutschen Geschichte anhaftet, eine proisraelische Positionierung zu finden. Entscheidend ist das positive Bild vom Westen, als dessen Teil Israel gesehen wird. Damit unvereinbar ist der derbe Antiamerikanismus, wie er in den ostdeutschen Landesverbänden dominiert.
Keine Ratschläge für Israel
Bei Björn Höcke etwa erscheint der Westen als Sündenregister der Vereinigten Staaten, bei Maximilian Krah als eine abgehalfterte Idee. Beide sind mit einer proisraelischen Staatsräson nicht hinter dem Ofen hervorzulocken. Auch die Theorie von den raumfremden Mächten und das daraus folgende Interventionsverbot – ein durchaus problematisches Erbe Carl Schmitts, den die AfD selten ausdrücklich benennt – beissen sich mit einer dauerhaften praktischen Verantwortung.
Gauland und mit ihm Lucassen oder auch der ähnlich argumentierende menschenrechtspolitische Sprecher Jürgen Braun könnten sich auf die Einschätzung ihrer Anhänger berufen. Laut dem jüngsten ZDF-Politbarometer teilen AfD-Sympathisanten am wenigsten die Meinung, Deutschland solle mehr Druck auf Israel ausüben, um ein Kriegsende in Gaza zu erreichen. Nur 37 Prozent stimmen der Forderung zu, bei der FDP sind es 60, bei den Grünen 69 Prozent. Nimmt man diese Zahlen zum Massstab, steht die AfD an der Seite Israels.
Auch hat die rechte Partei nach dem Überfall der Hamas erfolglos im Bundestag beantragt, die Mittelvergabe an das Hilfswerk der Vereinten Nationen für Palästina-Flüchtlinge im Nahen Osten zu stoppen. Die – winzige – Gruppe «Juden in der AfD» fordert nun: «Wer Frieden und Stabilität für den Nahen Osten wünscht, muss das islamistische Regime in Iran bekämpfen, statt Abkommen mit ihm abzuschliessen, wie es das Auswärtige Amt über Jahre praktiziert hat.»
In der Weigerung, Israel schulmeistern zu wollen, kann sich aber auch die Skepsis der AfD gegenüber jeglicher wertegeleiteten Aussenpolitik ausdrücken. Weder Israel noch Russland oder China sollen in dieser Perspektive deutsche Ratschläge erhalten. Maximilian Krah kritisiert deshalb das «Konzept der reinen Menschenrechte». Es sollte vielmehr «je nach Kulturkreis» unterschiedlich ausgelegt werden. Könnte daraus Verständnis folgen für das iranische Mullahregime? Am Umgang mit Diktaturen entscheidet sich das Rechtsstaatsverständnis der AfD.
News Related-
Der Batzen und das Weggli für Dominik Egli
-
Mini-Grün auf der grünen Suppe
-
Eine Trainerin und ein Arzt kennen die Antwort: Fit werden, ohne zu schwitzen – geht das?
-
Häuser bereits verkauft: Dreijährige Kreuzfahrt abgesagt – Passagiere vor dem Nichts
-
Deutschland versinkt im Schneechaos
-
Von ZHAW gewählt: «Monsterbank» ist das Deutschschweizer Wort des Jahres
-
Frauen und Jugendliche – 33 weitere palästinensische Gefangene frei
-
Jans oder Pult: So stehen die Chancen der SP-Kandidaten
-
Müde und grummelig? Hier kommen 23 lustige Fails für bessere Laune
-
Innerhalb von 24 Stunden: „Wetten, dass..?“-Auftritt von Helene Fischer erreicht Meilenstein
-
So lief das Wochenende für die Schweizer Söldner: Unermüdlicher Xhaka spult Mammutprogramm erfolgreich ab
-
Hans Flatscher löst für Swiss-Ski Dinge, bevor sie ein Problem sind
-
Grenadier-Rekrut bricht auf Marsch zusammen: «Viele dachten während zwei Tagen, ich sei tot»
-
Novum: Frappart leitet Bayerns Heimspiel gegen Kopenhagen