Bis jetzt bleiben die Schülerinnen und Schüler im Kanton Zug vom Stress einer Gymiprüfung verschont. Gaëtan ;Bally / Keystone
Für Hunderte von Schülerinnen und Schülern aus dem Kanton Zürich war der 4. März der wohl schlimmste Tag des Jahres. Sie mussten an der Gymiprüfung beweisen, dass sie das Zeug für die Mittelschule haben. In weiten Teilen der Schweiz schüttelt man nur den Kopf über das Brimborium und den riesigen Aufwand, der rund um diese Selektion betrieben wird.
In Sachen Gymiprüfung ist die Schweiz nämlich zweigeteilt. In siebzehn Kantonen, die vor allem im westlichen Teil des Landes liegen, erfolgt der Übertritt ans Gymnasium grundsätzlich prüfungsfrei. Den harten Cut, ähnlich wie in Zürich, kennen die beiden Appenzell, Glarus, Graubünden, Schaffhausen, Schwyz, St. Gallen sowie der Thurgau.
Die Liste der Prüfungskantone könnte bald um ein prominentes Mitglied ergänzt werden. Geht es nämlich nach dem Zuger Regierungsrat Stephan Schleiss (SVP) und dem kantonalen Bildungsrat, müssen Schüler künftig eine Gymiprüfung ablegen, wenn sie nach der Primarschule ins Langzeitgymnasium übertreten wollen. Das Testelement soll die bisherige Kombination aus Vornote und Empfehlung durch die Lehrperson ergänzen. «Mit dem neuen Übertrittsverfahren wollen wir den Bildungsweg über die Sekundarschule stärken und sichern», sagt der Bildungsdirektor Schleiss.
«Unnötiger Stress und Druck»
Obwohl die Vernehmlassung erst Mitte März angelaufen ist und das Ergebnis noch offen ist, formiert sich entschiedener Widerstand gegen die Pläne. Ein politisch breit abgestütztes Komitee hat eine Volksinitiative lanciert. Eltern, Bildungsexperten, Politikerinnen und Politiker sowie Wirtschaftsvertreter wollen die geplante Übertrittsprüfung verhindern. Damit es zu einer Abstimmung kommt, braucht es im Kanton Zug 2000 Unterschriften.
Angeführt wird der Widerstand von einer Politikerin, deren Wort in Zug Gewicht hat. Vroni Straub sass von 2011 bis 2022 für die CSP in der Zuger Stadtregierung und leitete das Bildungsdepartement. Wer sich mit ihr unterhält, kommt schnell auf Zürich zu sprechen. Das Initiativkomitee wolle den Schülerinnen und Schülern und ihren Familien unnötigen zusätzlichen Stress und Druck ersparen. «Die Einführung einer Übertrittsprüfung würde unweigerlich eine Nachhilfeindustrie fördern, wie sie im Nachbarkanton Zürich bereits existiert», sagt Straub.
Was dies bedeutet, weiss die Bildungsexpertin aus eigener Anschauung. Ihr Sohn arbeitet nämlich als Primarlehrer in der Stadt Zürich. «Obwohl die Gymiprüfung eigentlich Chancengleichheit schaffen soll, ist der Druck auf die Lehrpersonen enorm», sagt Straub. Auch fördere das Verfahren die angestrebte Selektion nicht. Von den 19 Schülerinnen und Schülern ihres Sohnes hätten letztes Jahr 16 den Sprung ans Gymi geschafft. Die restlichen drei Schüler würden nun von den Eltern auf ein Privatgymnasium geschickt. «Solche Zustände wollen wir in Zug nicht», sagt Straub.
Aus Sicht des Initiativkomitees handelt es sich um eine völlig überflüssige Übung, da gar kein Handlungsbedarf bestehe. Eine Analyse der Bildungsdirektion aus dem Jahr 2023 zeige, dass die Maturanden aus dem Kanton Zug an den Hochschulen schweizweit ausgezeichnet abschnitten. «Unsere Abbrecherquote ist tiefer als diejenige der Studierenden aus dem Kanton Zürich», betont Straub. Eine Senkung der Maturitätsquote, wie sie mit der neuen Prüfung angestrebt werde, sei kontraproduktiv und verschärfe den Mangel an hochqualifizierten Arbeitskräften.
Stephan Schleiss wundert sich nicht über den heftigen Widerstand. «Die Einführung einer Gymiprüfung wird im Kanton Zug immer wieder diskutiert und löst natürlich Emotionen aus», sagt der oberste kantonale Bildungsverantwortliche. Das «politische Unbehagen» gegenüber dem heutigen Übertrittsverfahren habe ihn zum Handeln veranlasst. Das Ergebnis der Vernehmlassung wird auch deshalb mit Spannung erwartet, weil sich die Parteien ganz konkret zur Frage einer Gymiprüfung äussern müssen. Dies dürfte innerhalb der Parteien zu kontroversen Diskussionen führen und zeigen, wie gross das Unbehagen tatsächlich ist.
Die stetig steigende Gymnasialquote, die im Jahr 2022 im Langzeitgymnasium bei 25,5 Prozent lag, wird von Teilen der Wirtschaft und Politik kritisiert. Auffällig sind auch die unterschiedlichen Zuweisungsquoten. «Es ist nicht erklärbar, warum in einer vergleichbaren Gemeinde wie Baar ein Drittel weniger Kinder ins Langzeitgymnasium eingeteilt werden als in der Stadt Zug», stellt Schleiss fest.
Diese Entwicklungen führten dazu, dass zwei Mitte-Parlamentarier 2020 eine Motion einreichten, mit der sie eine Übertrittsprüfung ins Spiel brachten. Der Vorstoss führte im Kantonsrat zu einer epischen Diskussion und zu der nun vom Bildungsrat vorgeschlagenen Lösung. Schleiss betont, man wolle grundsätzlich am bewährten Modell festhalten: «Der Zuger Weg unterscheidet sich stark vom Zürcher Weg.» Der Übertritt nach der Sekundarschule bleibe prüfungsfrei, so dass die Schülerinnen und Schüler die Prüfung umgehen könnten. In Zürich wird hingegen bei allen Übertritten geprüft.
«Zürcher Hektik um Nachhilfeindustrie»
In Zug geht es laut dem Bildungsdirektor darum, die Eintritte ins Langzeitgymnasium zu stabilisieren, während in Zürich beim Langzeitgymnasium sehr rigide selektioniert werde. «Das ist der Grund für die Zürcher Hektik rund um die Nachhilfeindustrie», sagt er. Die bisherigen Elemente Vornote und Empfehlung würden weiterhin eine wichtige Rolle spielen, so dass ein neues «Zuger Modell» zum Tragen komme.
Stephan Schleiss stellt beim Initiativkomitee eine gewisse Leistungsfeindlichkeit fest. Doch das Langzeitgymnasium sei eine leistungsorientierte Schule für die leistungsstärksten Schülerinnen und Schüler. «Diese müssen Druck aushalten können. Wer dies nicht will, kann sich für die Sekundarschule entscheiden, wo anschliessend der Übertritt prüfungsfrei bleiben wird.»
Im Herbst wird sich zeigen, wo die Diskussionen hinführen. Ende September läuft nämlich die Vernehmlassung zum neuen Übertrittsverfahren ab, dannzumal dürften auch die Unterschriften für die Volksinitiative gesammelt sein. Im Kanton Zürich wird man den Zuger Weg bei diesem umstrittenen Thema auf jeden Fall intensiv verfolgen.
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