Wie Facebook vom lieblichen digitalen Dorf zur Gefahr für Demokratien wurde.
Facebook-Gründer Mark Zuckerberg posiert 2007 im Hauptsitz des Unternehmens in Kalifornien.
Ich erinnere mich noch gut an einen meiner ersten Posts auf Facebook. Seit Tagen fühlte ich mich krank, schlürfte im Bett Neocitran. So gut schmecke das Heissgetränk, schrieb ich, dass es sich fast lohne, die Erkältung aufgelesen zu haben. Nach diesem Post meldeten sich mehrere per Privatnachricht. «Gute Besserung!» – «Schau zu dir!»
Es war das erste Mal, dass ich die schönen Seiten von Social Media kennen lernte: die Fähigkeit, sich rasch und direkt mit mehreren Menschen zu vernetzen. Bis dahin kannte ich nur das Festnetztelefon, SMS, E-Mail. Es fühlte sich an, als ob mein sozialer Kreis auf einen Schlag expandiert wäre, als ob Bekannte plötzlich zu Freunden würden.
Das war 2007, der 23-jährige CEO Mark Zuckerberg war soeben Milliardär geworden. Kurze Zeit später sollte Facebook 15 Milliarden Dollar wert sein.
Keine Likes, kein Algorithmus
Rückblickend waren diese Jahre die Blütezeit der Plattform. Noch gab es keine Like-Funktion – niemand konnte seinen Selbstwert an den Daumen messen, die von anderen geklickt wurden. Auch der «Infinite Scroll» existierte noch nicht: Hatte man alle neuen Posts von Bekannten gesichtet, war der Feed fertig. Kein Algorithmus steuerte die Beiträge, sie erschienen schlicht in der Reihenfolge, in der sie publiziert worden waren.
Mit 23 schon Milliardär: Facebook-CEO Mark Zuckerberg schien lange vieles richtig zu machen.
Es ging ja auch nicht darum, in eine manipulierte Parallelwelt einzutauchen, in der alle anderen Menschen scheinbar aufregendere Leben führen. Stattdessen benutzten wir die Plattform, um am banalen Alltag anderer teilzunehmen («Ich liebe Oliven!», war einer meiner geistreicheren Posts), Gruppen mit lustigen Namen zu gründen, sich in Fotos zu taggen, sich zum Geburtstag zu gratulieren und die Profile von Menschen zu suchen, die man an der Uni sonst nur von weitem sah. Es war ein Tool, um Verbindungen zu schaffen und zu intensivieren.
Digitaler Stress
Der Wandel kam schleichend. Am 9. Februar 2009 führte Facebook den Like-Button ein. Ich postete: «Wer diesen Beitrag liked, ist doof.» Schon klickten mehrere auf das Däumchen, und zum ersten Mal spürte ich den kleinen Dopamin-Rausch der digitalen Zuneigung. Bald brütete ich über der Frage, warum gewisse Posts besser funktionierten als andere, versuchte meine Performance zu optimieren. Ich verglich mich mit anderen und spürte einen leichten Anflug von Scham, wenn ich weniger Likes als Kommilitoninnen und Kommilitonen erzielte.
In diesem Jahr zählte Facebook in der Schweiz erstmals eine Million Nutzer.
Nicht nur wegen der Sogwirkung der Likes beschäftigte ich mich mehr mit der Plattform. Immer häufiger spülte Facebook nun andere Formate in den Feed: Werbung, News und Beiträge bislang unbekannter Seiten, «die mir gefallen könnten» – ganz oft Katzenvideos. 2011 entschied sich Facebook, den chronologischen Feed mit Algorithmen zu ersetzen. Immer länger blieb ich nun am Bildschirm sitzen, scrollte und scrollte und scrollte, in der Welt des blauen Riesen gefangen.
In dieser Zeit sagte Mark Zuckerberg in einem Interview: «Mein Motto ist: Move fast and break things.» Bewege dich schnell und mach Sachen kaputt.
Kauf von Instagram und Whatsapp
Zu dieser Strategie gehörte das rasante Wachstum des Unternehmens: Konkurrenz wie Instagram und Whatsapp schluckte der Konzern, bezahlte dafür 1 beziehungsweise 19 Milliarden Dollar. Dass Profit immer wichtiger wurde, spürten wir im Alltag: Versprühte Facebook zu Beginn noch eine karge Ästhetik, wurde die Plattform zunehmend mit knalliger Werbung, verwirrenden Feeds und unkontrollierbaren Sidebars zugekleistert, wie ein Spielautomat in Las Vegas. Denn mehr ist mehr im Silicon Valley.
2011, als sich der Arabische Frühling entlud, trugen Facebook und Twitter die Proteste in Tunesien in die Welt, funktionierten als Katalysator für die Revolution. Der Glaube an die politische Macht von Facebook wuchs – sogar Diktatoren konnte man damit stürzen! Wir posteten unsere Unterstützung, nutzten ab 2013 dafür Hashtags, die Facebook einführte, und glaubten, mit diesem digitalen Aktivismus den Unterdrückten der Welt geholfen zu haben. Viel weniger anstrengend als eine Demo – und für aktivistische Posts gabs auch besonders viele Likes.
#IceBucketChallenge
2014 wurde das Symbol # in der Schweiz zum Wort des Jahres gewählt. Zu den wichtigsten Hashtags aus dem Jahr 2014 gehörten aber nicht unbedingt die grossen sozialen Ungleichheiten. Sondern #IceBucketChallenge und #BreakTheInternet. Für die Ice Bucket Challenge leerten sich dann Menschen rund um den Globus eiskaltes Wasser über den Kopf, die Aktion war als Spendenaufruf für die Krankheit ALS gedacht, diente aber eher der eigenen Profilierung. Und für Break the Internet streckte Kim Kardashian ihr nacktes, eingeöltes Hinterteil in die Kamera.
Die einst futuristisch-freundliche Strahlkraft des Megakonzerns bröckelte immer mehr. Während sich die Aufmerksamkeitsspannen der Menschen weltweit verringerten und ihre Bildschirmzeiten explodierten, tauchten neue Begriffe auf: Desinformation, Radikalisierung, Fake News, Hatespeech, Cambridge Analytica. Ende der 2010er-Jahre schien die Transformation vollendet: Facebook hatte sich vom lieblichen digitalen Dorf zur Gefahr für Demokratien gewandelt, Mark Zuckerberg vom kindlichen Jungunternehmer zum kaltblütigen Überkapitalisten, der sich vor dem amerikanischen Kongress erklären muss.
Mark Zuckerberg sagt 2019 auf dem Capitol Hill in Washington zu Wahlmanipulation durch Facebook aus.
Was bleibt also, nach 20 Jahren? Vor allem ein Gefühl der Nostalgie. Facebook nutzt in meiner Alterskohorte der Millennials kaum noch jemand, von Gen Z ganz zu schweigen – gerne überlassen wir das den Boomern. 2022 berichtete der Konzern Meta erstmals von sinkenden Nutzerzahlen.
Und so erinnere ich mich vor allem an die Anfangszeit, als mir die Plattform ein Gefühl der zwischenmenschlichen Wärme gab, als Facebook ein simpler Ort war, wo ich mich als schüchterne und etwas nerdige Person mit anderen austauschen konnte, ohne manipuliert zu werden oder im Dopaminrausch unterzugehen. Als ich noch fröhlich postete: «Ich liebe Oliven», und es keine Reaktionen darauf gab, weil das noch gar nicht möglich war.
Happy Birthday, Facebook. Schade, habt ihrs derart vermasselt.
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