Nach dem Attentat in einer Kirche in Istanbul hängt am Gotteshaus die türkische Flagge. Shady Alassar / Imago
Die Türkei hat nicht nur mit den üblichen Beileidsbekundungen auf den Terroranschlag in Moskau reagiert. In landesweiten Razzien gegen den Islamischen Staat haben die türkischen Sicherheitsbehörden seither mehr als 180 Verdächtige festgenommen. Laut Innenminister Ali Yerlikaya steigt damit die Zahl der Personen, die seit Juni 2023 wegen Verbindungen zur Terrororganisation in Gewahrsam genommen wurden, auf fast 2900.
Am Sonntag hatten russische Medien berichtet, dass sich mindestens zwei der Terroristen kurz vor dem Angriff in der Türkei aufgehalten und dort Instruktionen erhalten hätten. Ein Vertreter der türkischen Sicherheitsdienste bestätigte gegenüber Reuters einen kurzen Aufenthalt der tadschikischen Attentäter in der Türkei. Dabei sei es aber um Visaangelegenheiten gegangen. Die Radikalisierung sei anderswo erfolgt.
Erstes Attentat nach sieben Jahren
In jedem Fall wirft das Attentat von Moskau mit 143 Toten auch ein Schlaglicht auf die Rolle der Türkei im Netzwerk des IS und die Bedrohung, die er für das Land darstellt. Dass diese real ist, rief der Anschlag vom 28. Januar in Erinnerung. Während eines Gottesdiensts stürmten zwei bewaffnete Angreifer in eine katholische Kirche in Istanbul, töteten einen Besucher und verletzten einen weiteren. Später veröffentlichte der IS ein Bekennerschreiben.
Es war das erste Attentat im Namen der Terrororganisation auf türkischem Boden seit sieben Jahren. Bis 2017 hatte der IS in der Türkei in 20 unterschiedlichen Anschlägen mehr als 300 Menschen getötet.
Weil zu Beginn des Bürgerkriegs in Syrien Kämpfer relativ einfach über die Türkei dorthin gelangen konnten, um sich jihadistischen Rebellengruppen anzuschliessen, stand Ankara anfangs im Ruf, die Gefahr des islamistischen Terrors nicht ernst zu nehmen oder diesen indirekt sogar zu befördern.
Die Behörden wiesen diesen Vorwurf stets zurück. Nach der Anschlagsserie von 2016/17 gingen die Sicherheitskräfte erfolgreich gegen die Organisation vor, auch indem sie die unkontrollierte Einwanderung radikalisierter Islamisten aus Syrien stark zurückbanden. Mehr als 9000 Personen wurden ausgewiesen.
«Logistische Drehscheibe des IS»
Bereits seit einiger Zeit mehren sich jedoch die Hinweise auf neue Aktivitäten des IS in der Türkei. Das gilt vor allem für den zentralasiatischen Arm IS-Khorasan (IS-K). Sie sind wohl auch eine Konsequenz des erfolgreichen Kampfes der afghanischen Taliban gegen die Organisation.
Die «New York Times» zitierte kürzlich eine Uno-Studie, in der die Türkei als logistische Drehscheibe des IS bezeichnet wurde. Nur schon aus geografischen und demografischen Gründen hat das eine gewisse Plausibilität. Die Türkei ist in jeder Hinsicht ein Brückenstaat zwischen Asien und Europa. Auch ins isolierte Russland führen viele Wege über die Türkei.
Zudem leben hier grosse Diasporagemeinden sowohl aus Afghanistan als auch aus den postsowjetischen Republiken Zentralasiens. Das erleichtert den Transfer von Geldern, aber auch die Einschleusung beziehungsweise Rekrutierung von Kämpfern.
Syrischer Einfluss auf zentralasiatische Islamisten
Die Türkei ist aber nicht nur Drehscheibe, sondern auch ein Operationsgebiet des IS. Laut den türkischen Sicherheitsbehörden wurden in den vergangenen zwei Jahren Attentate gegen das schwedische und das niederländische Konsulat in Istanbul vereitelt, die als Vergeltung für Koranverbrennungen geplant waren, sowie eine landesweite Anschlagsserie gegen Kirchen und Synagogen.
Auch der türkische Staat selber ist ein Feindbild der Terroristen. Laut der Online-Plattform «al-Monitor» haben sich nur eine Woche vor dem Anschlag auf die Kirche in Istanbul zwei Vertreter von IS-K darüber unterhalten, dass die Türkei und Tadschikistan gleichermassen Feinde des Islam seien.
Ankara unterstützt die zentralasiatische Republik im Kampf gegen die Terroristen, etwa indem protürkische Gruppen in Syrien tadschikische Jihadisten aufgreifen und der Türkei übergeben, die diese dann nach Tadschikistan ausliefert. Nicht nur die Situation in Afghanistan, auch der syrische Schauplatz beeinflussen den islamistischen Terrorismus in Zentralasien.
«Importiertes Problem»
Bei den schwersten IS-Anschlägen in der Türkei spielten Täter aus dem postsowjetischen Raum meist eine zentrale Rolle, etwa bei dem Attentat auf eine Istanbuler Diskothek in der Silvesternacht 2016 oder bei dem Bombenanschlag am Bahnhof von Ankara.
Die Verantwortung für die Schüsse in der Istanbuler Kirche diesen Januar übernahm zwar das «Wilayat Turkiya», der türkische Arm des IS. Die gefassten Täter stammten allerdings ebenfalls aus Zentralasien und dem Nordkaukasus, was auf enge Verbindungen zu IS-K schliessen lässt. Dies trägt zur Wahrnehmung in der Türkei bei, dass es sich hierbei um ein «importiertes Problem» handle.
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