Das WC für alle stellt Uni und Stadt Bern vor ein Dilemma

Seit Februar stehen die Toiletten in der Unibibliothek allen Geschlechtern offen. Das sorgt vereinzelt für kritische Rückmeldungen.

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Unisex-Toiletten in der Universitätsbibliothek Bern.

Die WC-Türen in der Unibibliothek Münstergasse haben neue Piktogramme. Seit einigen Wochen weisen diese nicht mehr auf das Geschlecht, sondern nur noch auf die Ausstattung der stillen Örtchen hin: Rollstuhlgängigkeit, Wickeltisch, Kloschüssel und Urinal.

Doch zumindest für einzelne Studierende sind die Toiletten, die allen Menschen, unabhängig der Geschlechtsidentität offen stehen, ein Problem. Der Pilotversuch startete im Februar, seither sind fünf solche negative Rückmeldungen bei der Unibibliothek eingegangen, wie das Newsportal «Nau» berichtete. Einige Frauen würden sich wegen der neuen Situation unsicher fühlen.

Jakub Walczak, Genderfachperson der SP Kanton Bern, ist froh, dass die Bibliothek der Uni nun geschlechterneutrale WC zum Schutz von trans und nonbinären Personen eingeführt hat. «Als nonbinäre Menschen fühlen wir uns oft in geschlechtergetrennten WC nicht wohl. Aber auch für trans Menschen ist es wichtig, dass sie sich durch den Gang auf die Toilette nicht outen müssen», sagt Walczak.

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Jakub Walczak engagiert sich im Co-Präsidium Juso Stadt Bern und ist Genderfachperson der SP Kanton Bern.

«Das Unwohlempfinden und die Erfahrungen von Frauen müssen wir ernst nehmen», räumt Walczak jedoch ein. Es sei in der Debatte um Unisex-WC wichtig, dass das Unwohlsein der verschiedenen Bevölkerungsgruppen nicht gegeneinander ausgespielt werde.

Ein Schutzraum für wen?

Bei der Abteilung für Chancengleichheit der Universität Bern sorgt die Zahl der negativen Rückmeldungen derweil nicht für Bedenken. Ursina Anderegg, die Gemeinderatskandidatin des Grünen Bündnisses, ist beruflich als stellvertretende Leiterin der Abteilung tätig. «Umwidmungen» von Toiletten, wie sie sagt, seien letztlich ein «Rütteln an der Geschlechtsidentität» – und ein politisch aufgeladenes Thema. Noch vor wenigen Jahren hätte es wohl viel mehr Reaktionen gegeben.

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Geschlechtsneutrale WC seien ein «Rütteln an der Geschlechtsidentität».

Anderegg hält fest: «Transgender und nonbinäre Personen sind auf geschlechtergetrennten WC oft stressigen Situationen und Belästigungen ausgesetzt.» Unisex-Toiletten seien deshalb ein wichtiger Schutzraum für diese Personen.

Doch geht damit nicht genau ein solcher Schutzraum verloren? Sind Frauen in Unisex-WC vor Belästigungen sicher? Im Fall Münstergasse lautet Andereggs Antwort auf die letzte Frage: ja. Sie könne zwar nachvollziehen, dass die Unisex-Toiletten einigen Studentinnen unangenehm seien. Allerdings seien alle anderen Toiletten im Gebäude geschlechtergetrennt und die nächste Frauentoilette in einer Minute innerhalb der Bibliothek erreichbar, so Anderegg.

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Ursina Anderegg, stellvertretende Leiterin der Abteilung für Chancengleichheit der Universität Bern.

Damit erfüllt laut Anderegg diese Umgestaltung die Vorgaben des Arbeitsrechts. Dieses sieht explizit getrennte Garderoben, Waschanlagen und Toiletten für Frauen und Männer vor. Trotzdem wagen Bern und andere Schweizer Städte den Spagat zwischen dieser Vorgabe und neuen Forderungen nach geschlechtergetrennten Toiletten immer häufiger.

Stadt Bern setzt auf «Flexibilität»

Geht es nach den Plänen der Stadt Bern, gehören genderneutrale WC künftig in all ihren neuen oder sanierten Gebäuden zum Standard. So prüft man laut Dagmar Boss von Immobilien Stadt Bern stets die Möglichkeit für den Bau von universalen Toilettenbereichen.

Im Idealfall sollten diese Universalkabinen laut Boss vom Boden bis zur Decke geschlossen und mit einem Lavabo ausgestattet sein. Bei Anlagen, die von Grund auf neu geplant werden, ist dies möglich: Im neuen Schwimmbad Neufeld können etwa die Umkleidekabinen sogar mittels eines Bildschirms je nach Bedarf für Frauen, Männer oder Unisex angeschrieben werden.

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In der neuen Schwimmhalle Neufeld in Bern können die Garderoben nach Bedarf unterschiedlich beschriftet werden.

Bei baulichen Einschränkungen oder Platzproblemen bei Sanierungsarbeiten strebe die Stadt aber «flexible» Lösungen an. Dagmar Boss hält fest: «Denkbar ist beispielsweise, dass nicht jede Etage mit einem Universal-WC ausgestattet wird.» Auf diese Weise habe die Stadt an diversen Volksschulen bereits geschlechtsneutrale Toiletten eingeführt.

Im Rahmen der Ausstellung «Queer» hat auch das  Naturhistorische Museum Bern vor rund drei Jahren zwölf seiner stillen Örtchen zu geschlechterneutralen WC umgenutzt. Zwar waren die Rückmeldungen mehrheitlich positiv, dennoch haben sich viele Besucherinnen weiterhin geschlechtergetrennte Toiletten gewünscht. Heute bietet das Museum einen Mix aus verschiedenen WC an.

Platz vs. Privatsphäre

Auch wenn die Stadt Bern in Sachen Geschlechterneutralität auf dem Vormarsch ist, zeigt sich die Privatwirtschaft zurückhaltender. Michael Nussbaum ist Geschäftsführer des Berner Planungsbüros für Gebäudetechnik, Nupla AG. Als solcher ist er regelmässig in die Planung von Toilettenanlagen involviert.

Gelegentlich gingen Aufträge für Unisex-WC bei ihm ein, sagt Michael Nussbaum. Trotzdem beobachtet er keinen Anstieg der Nachfrage. Denn: «Höchste Priorität hat nach wie vor, dass die Privatsphäre für alle gewährleistet werden kann.»

Dies stelle die Architekten und sein Unternehmen aber vor Herausforderungen. Etwa, wenn sich in einer bisherigen Anlage ein Pissoir vor den Kabinen befindet oder wenn sich kein eigenes Frauen-WC einrichten lässt.

«Wegen dieses Zielkonflikts entscheiden sich viele private und öffentliche Auftraggeberinnen am Ende doch für die geschlechtergetrennte Variante», sagt Michael Nussbaum. «Damit sich daran etwas ändert, muss ein breitflächiges Umdenken erst noch stattfinden.»

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