Vergiftete Lebensmittel und brennende Flaggen – so wehren sich Ukrainerinnen gegen die Besetzer

Sie wollen keine Blumen, sie wollen ihr Land zurück. Im Untergrund wehrt sich die Frauenbewegung Mawka gegen russische Soldaten auf ukrainischem Boden.

vergiftete lebensmittel und brennende flaggen – so wehren sich ukrainerinnen gegen die besetzer

«Wir wollen keine Blumen – gebt uns die Ukraine zurück»: Ein Flyer, der zum Internationalen Frauentag in Melitopol verteilt wurde.

Seit die russischen Streitkräfte in die Ukraine einmarschiert sind, greift die Okkupation in den besetzten Gebieten in alle Bereiche des Alltags. «Viele Menschen, die unter der Besatzung leben, haben Einschüchterungen und Repressionen erlebt und sehen sich einer ständigen Bedrohung durch Gewalt, Inhaftierung und Bestrafung ausgesetzt», heisst es in einem neuen Bericht des UNO-Hochkommissariats für Menschenrechte. Russland habe in den besetzten Gebieten der Ukraine «ein erdrückendes Klima der Angst» geschaffen.

Wer sich gegen die Besatzungsmacht wehrt, dem drohen Haft und Folter. Die Meinungsfreiheit ist gemäss dem UNO-Bericht stark eingeschränkt: Laut dem Rapport gelten strenge Vorschriften für die Bewegungsfreiheit. Selbst friedliche Proteste werden gewaltsam aufgelöst. Und die Menschen würden dazu ermutigt, sich gegenseitig zu bespitzeln. «So, dass sie sogar vor ihren eigenen Freunden und Nachbarn Angst haben», heisst es in dem Bericht.

Demonstrieren unter diesen Umständen ist schier unmöglich. Eine organisierte Untergrundbewegung, bestehend und angeführt von ukrainischen Frauen, tut es trotzdem. «Angry Mawka» heisst die Gruppe, die in der besetzten Stadt Melitopol agiert. Benannt ist die Bewegung nach weiblichen Geistern aus der ukrainischen Folklore, die Männer mit ihrer Schönheit verführen, bevor sie sie umbringen.

Man hoffte erst auf die Befreiung

Das unabhängige russische Portal «iStories» sprach mit einer der Gründerinnen von «Angry Mawka» über die Aktivitäten und die weiblichen Mitglieder der Gruppe. Aus Sicherheitsgründen wird die Anführerin nicht namentlich genannt, in diesem Text wird das Pseudonym Sofia verwendet. «Wenn man diese Frauen trifft, würde man nie denken, dass sie in der Lage wären, russische Flaggen herunterzureissen und in einem Hof zu verbrennen», sagt Sofia.

Bereits wenige Tage nach Beginn seines Grossangriffs verkündete Russland im Februar 2022 die Einnahme von Melitopol. Die Leute in der ukrainischen Stadt seien auf die Strasse gegangen, berichtet Sofia: «Wir dachten, wir könnten die Besetzer schnell vertreiben.» Nachdem Cherson im November 2022 befreit worden war, hoffte man, dass sie bald an der Reihe wären.

vergiftete lebensmittel und brennende flaggen – so wehren sich ukrainerinnen gegen die besetzer

«Ein Mann mit einer Waffe kann mit dir machen, was er will»: Sofia, die Anführerin von «Angry Mawka», über die russischen Soldaten in Melitopol – im Bild ein Weizenfeld ausserhalb der Stadt im Juli 2022.

Doch die Leute warteten vergebens auf die Befreiung. Stattdessen seien die Lebensbedingungen immer gefährlicher geworden, sagt die «Angry Mawka»-Anführerin. «Die Besetzer begannen, Menschen zu kontrollieren, viele Wohnungen wurden durchsucht, es gab Verhaftungen.» Menschen seien verschwunden, und anstelle von Prozessen habe es Kellerfolter gegeben.

In besetzten Gebieten wurden Zivilisten von den Besatzungsbehörden gefoltert. Das belegen Berichte von Medien und internationalen Organisationen wie etwa der UNO. «Ich hörte die Schreie der Gefolterten Tag und Nacht», berichtete etwa ein ehemaliger Biologielehrer, der die russische Besatzung in Cherson erlebt hatte.

Doch aufgeben war für die späteren Mitglieder von «Angry Mawka» keine Option. «Die Idee für unsere Partisaninnenbewegung hatten wir in einer Küche», erzählt Sofia. Es sei Februar 2023 gewesen, ein Jahr nach Beginn der Invasion. Am Tisch sprachen die Frauen über ihre angestaute Wut: «Wir konnten nicht einfach weiter inmitten dieser Gesetzlosigkeit leben.»

Sie erhalten ihre Stimme zurück

Ihre erste Aktion starteten sie kurz vor dem Internationalen Frauentag am 8. März 2023. An diesem Tag verteilen Männer in Russland ihren Kolleginnen oder Partnerinnen traditionellerweise kleine Geschenke wie etwa Blumen. Als Zeichen des Protests erstellte «Angry Mawka» einen Flyer. Darauf zu sehen war eine Darstellung einer protestierenden Frau: «Wir wollen keine Blumen – gebt uns die Ukraine zurück.» In der ganzen Stadt seien die Flugblätter gehangen.

Das habe den Frauen «ihre Stimme zurückgegeben», berichtet Sofia. Denn wenn ein Mann mit einem Maschinengewehr dir Blumen schenke, könne man diese nicht ablehnen: «Ein Mann mit einer Waffe kann mit dir machen, was er will, dich umbringen oder vergewaltigen. Also nimmt man die Blume und dankt ihm.» Durch die Flugblätter habe man den Soldaten der russischen Besatzungsmacht sagen können, was man wirklich denke.

Vergiftete Lebensmittel

Wenig später habe man neben Flugblättern weitere Aktionen geplant. Manchmal händige man den Soldaten «Geschenke aus Mawkas Küche» aus, wie es Sofia nennt. Damit bezeichnet sie Getränke und Esswaren, angereichert mit schädlichen Substanzen wie etwa Abführmittel. «Sie tranken unser Gebräu und wurden ohnmächtig», erzählt die Anführerin der Frauenbewegung.

Irgendwann veröffentlichte ein Pro-Kriegs-Telegram-Kanal sogar eine Warnung an die russischen Streitkräfte: «Seid vorsichtig! Wie oft haben wir euch gewarnt, kein Essen von den Einheimischen anzunehmen!» Die Mawka-Anführerinnen werden laut Sofia oft gefragt, warum man sie die Soldaten nicht mit einer tödlichen Dosis Gift umbringen. «Das ist die Aufgabe der ukrainischen Streitkräfte», erzählt Sofia. Jeder habe seine Rolle, und sie seien zufrieden, wenn sie den russischen Soldaten auf diese Weise Schaden zufügen könnten.

Verbrannte Flaggen und unabhängige Nachrichten

Die ukrainische Frauengruppe hat zahlreiche weitere Aktionen gegen die Besetzer durchgeführt. Sie druckte etwa Falschgeld mit Nachrichten an die Bewohner und Bewohnerinnen. «Das ist nicht Russland – du bist in der Ukraine», las man auf den gefälschten Rubelscheinen. Die Frauen reissen russische Flaggen runter, verbrennen diese und posten das auf Social Media. Oder sie verteilen wöchentlich «eine Zeitung», wie sich Sofia ausdrückt. Auf Flugblättern verteilen sie Nachrichten über den Krieg von ukrainischen Quellen, legen sie in Briefkästen, kleben sie an Türen oder Parkbänke.

Zugriff zu unabhängigen Medien haben in den besetzten Gebieten nur diejenigen, die wissen, wie man die Internetsperren umgehen kann. Eine «heimtückische Gehirnwäsche», nennt es die Anführerin der Frauenbewegung. Die Besetzer versuchten, den Menschen den Eindruck zu vermitteln, dass man mit Russland auf Dauer vereint sei. «Für uns ist es sehr wichtig, den Menschen zu vermitteln, dass dies eine Lüge ist.»

Im Fokus der Behörden

Im Laufe der Zeit ist die Gruppe in den Fokus der Besatzungsbehörden geraten. «Sie begannen, unsere Telefongespräche abzuhören, und installierten Überwachungskameras an jedem Strassenpfosten», berichtet Sofia. Gleichzeitig bauten die Behörden ihr Netz an Informanten und Informantinnen aus. Man könne niemandem mehr trauen: «Menschen, die sich schon ihr ganzes Leben lang kannten, haben plötzlich versucht, einander nichts zu erzählen.»

Die Arbeit, die sie leisten, ist brandgefährlich – erst recht, weil sie Frauen sind. In den besetzen Gebieten kommt sexualisierte Gewalt gegen ukrainische Frauen systematisch vor. In UNO-Berichten zum Beispiel sind zahlreiche Fälle von Vergewaltigungen durch russische Soldaten dokumentiert – an Betroffenen im Alter von 4 bis 80 Jahren. In einem Bericht des UNO-Hochkommissariats für Menschenrechte steht, dass Russlands Soldaten oft betrunken seien, «was sie unberechenbar und bedrohlich mache, insbesondere für Frauen».

Das berichtet auch die Anführerin von «Angry Mawka»: «Russische Soldaten verhalten sich, als wären sie die Könige der Welt.» Es gäbe für sie keine Konsequenzen. Sie betränken sich oft und belästigten Frauen auf der Strasse. «Sie packen dich am Arm und schleppen dich irgendwohin».

Über 100 Frauen involviert

Weil die Männer immer bewaffnet seien, könne man sich ihnen nicht widersetzen. Das Wichtigste sei, in der Stadt nicht aufzufallen: «Die Hälfte der Frauen in Melitopol kleidet sich so unauffällig wie möglich, wenn sie nach draussen gehen.» Sie selbst verlasse das Haus nur, wenn es wirklich nötig sei.

Trotzdem lässt sich die Widerstandsbewegung nicht stoppen. Laut der Anführerin hat die Gruppe etwa 100 Mitglieder, die Proteste vor Ort durchführen. Die Bewegung selbst sei aber viel grösser und am Wachsen: «Diesen Winter hörten wir von Frauen aus Luhansk und Donezk.» Auch von der Krim melden sich regelmässig Frauen mit ihren Geschichten. Die Anführerin habe eine Botschaft für alle auf der anderen Seite der «Mauer», wie sie gegenüber «iStories» sagt. «Wir sind hier, und wir kämpfen weiter!»

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