Zwei am Tatort: Heino Ferch (links) und Manfred Zapatka.
Karl Nolden schleppt sich schweren Schrittes zum Briefkasten. Seit dem Schlaganfall ist er nicht mehr gut unterwegs. Den Brief, den er seiner Frau Karin mit den Zeitungen in die Hand drückt, muss er offenbar nicht lesen. „Karl, er hat wieder geschrieben“, sagt sie. Wer da was geschrieben hat, ahnt das ältere Paar. Es ist Chris, der vermeintliche Freund ihres Sohns Sven, der vor 27 Jahren spurlos verschwand. Der fünfzehnjährige Junge wollte noch mal eben ins Nachbardorf rüber. Da spielte er im Fußballverein und war bei den Pfadfindern. Sven kehrte nie zurück, und auch das Dorf gibt es nicht mehr, es wurde abgebaggert für den Braunkohletagebau.
Die Vorzeichen für Kommissar Ingo Thiel (Heino Ferch) und sein Team stehen also denkbar schlecht, den Cold Case zu lösen, als sein früherer Chef Gerd Dennert (Manfred Zapatka) mit dem Brief auftaucht. Dennert war mit dem Fall einst befasst, losgelassen hat er ihn nie, zu den Noldens hielt er immer Kontakt. Deswegen riefen sie den längst pensionierten Polizisten an und nicht die Kollegen, die heute Dienst tun. Eine Karte nach der anderen bekamen sie damals, aus halb Europa, abgeschickt von besagtem Chris, der stets mitteilte, es gehe Sven gut, und er kehre bald heim. Warum geht das jetzt, 27 Jahre später, wieder los? Hat jemand Freude daran, die Noldens, die das Verschwinden ihres Sohns nie verwunden haben, zu quälen?
Die Macht der Vorurteile
Die Geschichte, die dem Drehbuch von Niki Stein und Katja Röder zugrunde liegt, beruht wie alle bisherigen (vier) Fälle des Mönchengladbacher Kommissars Ingo Thiel auf einer wahren Begebenheit. Wer diesen realen Fall nachliest, der auf das Jahr 1992 zurückgeht, und auf einen Strafprozess im Jahr 2002, blickt auf ein grausames Geschehen und einen menschlichen Abgrund, den man sich erschütternder nicht ausdenken könnte. Und so tut Niki Stein als Regisseur des Films gut daran, nicht allzu sehr an der fiktionalen Schraube zu drehen. Hier kommt eines zum anderen, Ermittler, die Pirouetten drehen oder deren persönliche Geschichte alles andere überlagert, sind nicht gefragt. Wobei Kommissar Thiel und sein Kollege Winni Karls (Ronald Kukulies) sich schon derart auf den Senkel gehen, dass man denkt, mit der Lösung dieses schwierigen Falls kann es nichts werden, wenn die beiden sich permanent angiften, und das bei ihrem womöglich letzten gemeinsamen Fall. Karls hat sich nämlich zum LKA nach Düsseldorf beworben und die Stelle auch schon bekommen. „Viel Spaß“, sagt Kollege Thiel und schaltet auf Miesepeter.
Glücklicherweise sind die anderen im Team am Niederrhein Kaltblüter und lassen den Stand-off der beiden Ermittler an sich abtropfen. Das empfiehlt sich auch angesichts der Vielzahl von Spuren, denen sie nachgehen müssen und die alle ins Nichts führen, und des Materials, das sich zu diesem Fall angehäuft hat. Dabei bringen sie nicht nur die modernen Methoden der Kriminaltechnik weiter, sondern auch der distanzierte Blick, den Kommissar Dennert nicht hatte, wie er jetzt schmerzvoll erkennen muss. Er hatte nur „sein Homo-Ding“ im Kopf, wie Winni Karls sagt. Sven war vor seinem Verschwinden zuletzt gesehen worden, wie er – angeblich – mit einem anderen Jungen, besagtem „Chris“, einen Feldweg entlangging, der zu einem Parkplatz an der Autobahn führte, der als Homosexuellenstrich bekannt war.
„Die Briefe aus dem Jenseits“, die bei den Noldens (Alexandra von Schwerin, Karl Kranzkowski) im Briefkasten liegen, führen in die Welt vor 27 Jahren zurück. Die Macht der Vorurteile, die Geschichte des Landstrichs und seiner Menschen erzählt Niki Stein mit seinem Ensemble in zwei Handlungssträngen, deren Kreuzungspunkte man erst in der zweite Hälfte des Films von Minute zu Minute genauer zu erkennen glaubt. Zunächst aber ist vollkommen unklar, was die Geschichte der um ihre Tochter bangenden Julia Klemm (Franziska Wulf) und deren Furcht vor ihrem inhaftierten Vater Jürgen Renk (Lazlo Kish) mit der Sache zu tun hat. Bis wir erfahren, warum er einsitzt und dass er bald aus dem Gefängnis freikommen soll.
Das erzählt uns Niki Stein, dem wir etliche herausragende „Tatort“-Folgen ebenso zu verdanken haben wie zuletzt auch eine Ausnahmeunternehmung wie „Louis van Beethoven“ im Verein mit Katja Röder, die die bisherigen Fälle des Kommissars Thiel aus Mönchengladbach aufschrieb, in jeder Szene und in jeder Regung stimmig, aufgenommen von der Kamera von Arthur W. Ahrweiler, die für das Einst und Jetzt dieser Geschichte stets die richtige Farbe und Einstellung zu finden weiß. Wenn wir erfahren, wer die „Briefe aus dem Jenseits“ schreibt, finden die Noldens – ein wenig Frieden. Und ein ehemaliger Kommissar stapft in der Dämmerung einen Feldweg entlang, auf dem vor 27 Jahren ein Junge lief, dessen Verschwinden er nicht aufklären konnte.
Briefe aus dem Jenseits, 20.15 Uhr im ZDF.
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