Bildungsministerium finanziert: Grundgesetz gegendert
Druckausgabe bekommt Konkurrenz: das Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland
Nach dem Skandal um das FDP-nahe Online-Magazin „Libra-Rechtsbriefing“, welches das halbstaatliche Unternehmen Juris kurz nach Amtsantritt des Justizministers Marco Buschmann startete und später wegen Rechtswidrigkeit stoppen musste, sorgt sich der CDU-Bundestagsabgeordnete Martin Plum nun um die möglicherweise mangelnde Staatsferne eines geplanten Online-Kommentars zum Grundgesetz.
Mit „Kommentar“ bezeichnen Juristen die erläuternde Darstellung einzelner Vorschriften. Zur deutschen Verfassung gibt es zahlreiche Kommentare als Printversionen, herausgegeben von renommierten Verlagen wie C.H. Beck. Autoren sind meist Staatsrechtslehrer. Was es bisher nicht gibt, ist ein Kommentar „open access“. Deshalb fördert das Bundesministerium für Bildung und Forschung das Projekt „Offener Zugang zum Grundgesetz“ mit 291.800,80 Euro. Ziel ist es, einen Grundgesetzkommentar zu veröffentlichen, dessen Inhalte frei verfügbar und offen lizenziert über das Internet zugänglich gemacht werden.
Wird inhaltliche Ausgewogenheit sichergestellt?
Plum hat dabei ein Störgefühl. „Auf der einen Seite wird zwar allein die Form der Veröffentlichung – open access – gefördert. Auf der anderen Seite unterstützt die Bundesregierung damit eine Grundgesetzkommentierung, deren Gegenstand auch die Bundesregierung selbst ist.“ Zudem werde der Text über juristische Fachkreise hinaus für eine breite Öffentlichkeit zugänglich sein. „Aus meiner Sicht stellt sich hier daher die Frage, ob und wie die inhaltliche Ausgewogenheit der Kommentierung sichergestellt wird. Wie hochpolitisch Verfassungsrecht ist, haben wir ja gerade erst bei der Verhandlung über das Ampel-Wahlrecht vor dem Bundesverfassungsgericht erleben dürfen.“
Mario Brandenburg (FDP), Parlamentarischer Staatssekretär im Bildungsministerium, wiegelt ab: Staatliche Öffentlichkeitsarbeit und Informationsarbeit liege nicht vor. Für die Projektergebnisse gälten die in der Wissenschaft üblichen Standards, „die sich unter anderem aus den Leitlinien zur Sicherung guter wissenschaftlicher Praxis der Deutschen Forschungsgemeinschaft ergeben“.
Gendergerechte Sprache in Ihrer Kommentierung
Nachfrage beim Projektleiter von der Leibniz Universität Hannover: Nikolas Eisentraut erklärt, dass die staatliche Förderung an keine Vorgaben geknüpft sei, die die Inhalte der Einzelkommentierungen betreffen. Eine ministerielle Einflussnahme wäre schon nicht mit Wissenschaftsfreiheit der Autoren vereinbar. Inhaltlich geht er „generell von ausgewogenen Kommentierungen aus“.
Schaut man sich die bisherige Mitarbeiterliste an, erkennt man keine Unwucht. Neben der von der SPD nominierten Bundesverfassungsrichterin Ines Härtel sind Felix Hanschmann (Vertrauensdozent der Rosa-Luxemburg-Stiftung), Antje Tölle (CDU-Bezirksverordnete in Berlin-Pankow) und viele weitere Personen dabei, von denen eine Parteinähe nicht bekannt ist. Die politische Ausrichtung eines Sachbuchs erkennt man heutzutage auch daran, ob die Regeln der Rechtschreibung eingehalten werden. In der Handreichung für die Autoren heißt es: „Wir möchten anregen, dass Sie eine gendergerechte Sprache in Ihrer Kommentierung verwenden. Letztlich steht aber die Entscheidung über die Umsetzung in Ihrem Ermessen. Selbstverständlich versteht sich jede Kommentierung unter Einbeziehung aller Geschlechter.“ Mit dieser offenen Formulierung wolle man das Meinungsspektrum zum Thema Gendern in der Rechtswissenschaft abbilden und weder zum Gendern zwingen noch dies verbieten, sagt Eisentraut.
Wie die Kommentar-Plattform dauerhaft finanziert werden kann, muss noch ausgearbeitet werden. Sie soll über den Förderzeitraum fortgeführt werden und „weiteren open-access-Projekten offen- stehen, also etwa auch einer Kommentierung des Strafgesetzbuches“, wie Eisentraut berichtet. Die langfristige Finanzierung nichtkommerzieller Open-Access-Projekte sei natürlich der „Heilige Gral“; mittlerweile gebe es viele Finanzierungsmodelle, darunter die Konsortialfinanzierung. Eine gedruckte Fassung des Kommentars soll es im Sommer oder Herbst 2026 auch geben. Dies wäre dann schon Konkurrenz zu Verlagspublikationen. Doch Juristen, so ist zu vermuten, schreiben immer noch am liebsten, wenn ihre Texte auch auf Papier erscheinen. Bei „Libra“ mussten sie bitter lernen, dass rein digitale Inhalte plötzlich dauerhaft verschwinden können.