Das Appellationsgericht widerruft dreizehn Gerichtsurteile des Strafgerichts. Es sieht den Anschein von Befangenheit der Richter gegeben.
René Ernst, Gerichtspräsident des Strafgerichts Basel-Stadt, wurde zum Gesicht der Justizaffäre.
Jede Person hat das Anrecht darauf, dass ein Gericht unparteiisch über den Fall entscheidet, der sie betrifft. Das steht nicht nur in der Schweizerischen Bundesverfassung, sondern ist auch in der Europäischen Menschenrechtskonvention festgehalten.
Weil eine unabhängige und unparteiische Justiz für einen Rechtsstaat zentral ist, sind schon nur konkrete Hinweise, die den Anschein auf Befangenheit von Richterinnen und Richter erwecken, problematisch.
Und genau das wird jetzt sieben von zehn der aktuellen Präsidentinnen und Präsidenten des Basler Strafgerichts zum Verhängnis, wie am Freitag öffentlich bekannt wurde. Das Appellationsgericht hat am 5. April entschieden, dass der Anschein von Befangenheit bei dreizehn Urteilen des Strafgerichts gegeben ist. Es hat die Urteile für ungültig erklärt.
Ein Interview brachte alles ins Rollen
Das bedeutet, dass die Fälle erneut vor dem Basler Strafgericht verhandelt werden müssen – von den drei Gerichtspräsidien, die vom Befangenheitsanschein nicht betroffen sind.
Es geht – einmal mehr – um die Prozessreihe rund um die «Basel Nazifrei»-Demonstration vom 24. November 2018. Im September 2020 gab Strafgerichtspräsident René Ernst (SP) dieser Redaktion ein Interview zur Prozessreihe.
Die ersten Urteile gegen Demonstrierende sind zu diesem Zeitpunkt bereits gefallen, weitere folgen. Sie werden als hart eingestuft, sorgen schweizweit für Gesprächsstoff. Acht Monate Gefängnis für eine junge Frau, der man lediglich ihre Anwesenheit bei den Ausschreitungen nachweisen konnte. Sieben Monate Gefängnis auf Bewährung für einen 25-Jährigen, weil er ein Transparent gehalten haben soll.
Der Whistleblower
«Er breitete die richterliche Position zu den Vorfällen aus, nachdem er ein Urteil zur Demonstration gefällt hatte, obgleich er wusste, dass noch über 50 weitere Fälle am Strafgericht hängig sind, welche dieselbe Demonstration betreffen. In seinen Äusserungen nahm er eine Bewertung der Gegendemonstration als Ganzes vor – in krassem Widerspruch zur Unschuldsvermutung bezüglich der übrigen beschuldigten Personen. Ein solches Vorpreschen während laufenden Strafverfahren ist beispiellos», kritisierten involvierte Verteidiger der Beschuldigten in einem Gastbeitrag, den diese Redaktion veröffentlichte. Das Bundesgericht wird ihnen mit Urteil vom 14. Dezember 2022 recht geben.
Im Frühjahr 2021 publizierte die «Wochenzeitung» zur Causa. Ein Richter liess der Zeitung interne Mails zukommen. «Mit Erschrecken musste ich von einem der Präsidien vernehmen (ein ‹Versprecher›), dass es am Strafgericht Basel-Stadt anscheinend eine Absprache unter den Präsidien gegeben hat, mit ‹linksextremen DemonstrantInnen› eine gewisse Schiene zu fahren (…). Ich erinnere hiermit alle eingehend an ihre richterliche Unabhängigkeit!»
René Ernst bestritt verbindliche Absprachen zur Beurteilung der Fälle. Es habe Gespräche in der Kaffepause gegeben, mehr nicht. Protokolle einer Präsidiumssitzung des Gerichts gebe es dazu nicht, sagte Ernst gegenüber der WoZ.
Gegenüber der WoZ sagte Peter Albrecht, ehemaliger Strafgerichtspräsident und emeritierter Professor für Straf- und Strafverfahrensrecht an der Universität Basel: «Das ist eine äusserst brisante Geschichte.» Man müsse klar unterscheiden zwischen Diskussionen und dem Versuch, sich auf eine Linie zu einigen. «In diesem Fall muss man Letzteres vermuten.»
Das Protokoll
Und dann gab es eben doch ein Protokoll einer Präsidiumssitzung, bei der die «Basel Nazifrei»-Prozesse diskutiert wurden.
Das Protokoll geben die Präsidien des Strafgerichts im Sommer 2023 schliesslich dem Appellationsgericht Basel-Stadt. Es muss untersuchen, ob an den Vorwürfen, dass die Präsidien des Strafgerichts befangen sind, etwas dran sind. Das, weil die Verteidigerinnen und Verteidiger der bereits verurteilten Personen im «Basel Nazifrei»-Komplex ein Ausstandsgesuch gegen alle damaligen Präsidien des Strafgerichts Basel-Stadt eingereicht haben, wegen der möglichen Befangenheit.
Im entsprechenden Gerichtspräsidiums-Protokoll vom 31. August 2020 ist von «Beschlüssen» die Rede. So beispielsweise, dass man der Meinung sei, dass bei kurzer Distanz und bei sehr gefährlichen Gegenständen wie Steinen ab einem halben Kilo eine Körperverletzung mit gefährlichem Gegenstand gegeben sei.
Die betroffenen Gerichtspräsidentinnen und Gerichtspräsidenten bestreiten jegliche Befangenheit. Ob sie tatsächlich befangen waren, muss das Appellationsgericht Basel-Stadt nicht beurteilen.
Um die Richterinnen und Richter in den Ausstand zu schicken und ihre Urteile als ungültig zu erklären, reicht der Anschein der Befangenheit. Und den sieht das Appellationsgericht Basel-Stadt klar gegeben. Die Kosten des Verfahrens trägt der Kanton.
Das Appellationsgericht setzte sich bereits zum zweiten Mal mit den Vorwürfen auseinander. Das Bundesgericht hatte es dazu gezwungen. Der erste Entscheid, bei dem das Appellationsgericht keinen Anschein von Befangenheit erkannte, sei willkürlich gewesen. Die Vorwürfe seien nicht genau genug geprüft worden.
Dass das nicht von der Hand zu weisen ist, zeigt die Tatsache, dass das umstrittene Protokoll der Präsidiumssitzung erst im zweiten Anlauf der Untersuchung dem Appellationsgericht überhaupt vorlag. Das Appellationsgericht hatte den Betroffenen auch nicht alle Unterlagen zugestellt und damit deren rechtliches Gehör verletzt, weil sie sich nicht dazu äussern konnten, kritisierte das Bundesgericht.
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