Häftlinge helfen einander, nachdem bewaffnete Banden das Nationalgefängnis in Port-au-Prince angegriffen haben. ; Odelyn Joseph / AP
(dpa) Die Regierung von Haiti hat am Sonntagabend den Notstand erklärt und eine Ausgangssperre in den westlichen Gebieten des Landes verhängt. Sie soll für mindestens vier Tage zwischen 18 Uhr und 5 Uhr morgens gelten. Bewaffnete Banden hatten das Nationalgefängnis in der Hauptstadt Port-au-Prince angegriffen.
Dabei soll einer unbekannten Anzahl von Gefangenen die Flucht gelungen sein, wie die Zeitung «Le Nouvelliste» berichtete. Die Regierung Haitis teilte mit, die Polizei hätte die Banditen nicht daran hindern können, eine grosse Anzahl von Gefangenen zu befreien, die unter anderem wegen «Entführung, Mord und anderen Straftaten» inhaftiert gewesen seien. Die Angaben in den Medien zu den Entflohenen variierten – von Hunderten bis nahezu allen knapp 3700 Inhaftierten war die Rede. Laut der Zeitung «Miami Herald», die sich auf das örtliche Uno-Büro beruft, waren 3696 Personen im Nationalgefängnis inhaftiert.
Mehrere Menschen wurden bei dem Angriff am Samstag laut offiziellen Angaben verletzt, laut Medienberichten soll es Tote gegeben haben. Es soll auch ein weiteres Gefängnis östlich der Hauptstadt in Croix-des-Bouquets angegriffen worden sein. Ob Inhaftierte dort auch flüchten konnten, wurde nicht mitgeteilt.
Der Generalkoordinator des Anwaltskollektivs für die Verteidigung der Menschenrechte (Caddho) in Haiti, Arnel Remy, berichtete von weniger als 100 übrig gebliebenen Insassen und veröffentlichte in den sozialen Netzwerken Bilder von verwüsteten Zellen mit geöffneten Türen. Überprüfen liessen sich seine Angaben nicht. Die Polizeigewerkschaft hatte bei dem Versuch, die bewaffneten Banden zurückzuhalten, am Samstagabend um dringende Unterstützung weiterer Einheiten gebeten.
Angriff mit Drohnen vorbereitet
Die Kriminellen hatten ihren Angriff laut einem Bericht des «Miami Herald» mit Drohnen vorbereitet, um sich über die Bewegungen der Gefängniswärter zu informieren und den besten Zeitpunkt für den Angriff zu bestimmen. Die Regierung teilte mit, die nationale Polizei werde alles daran setzen, die entflohenen Gefangenen zu verfolgen und die Verantwortlichen für diese kriminellen Handlungen und ihre Komplizen festzunehmen, damit die «öffentliche Ordnung wiederhergestellt werden kann».
Die Bandengewalt in dem krisengeschüttelten Karibikstaat ist zuletzt wieder erheblich eskaliert, nachdem Interims-Ministerpräsident Ariel Henry zu Gesprächen um einen internationalen Polizeieinsatz in Kenya war. Nach monatelangen Verhandlungen und einem juristischen Tauziehen unterzeichneten Vertreter beider Länder am Freitag ein entsprechendes Abkommen. Die kenyanische Regierung will demnach 1000 Polizeibeamte in den armen Karibikstaat entsenden. Während der Abwesenheit des Regierungschefs haben kriminelle Banden in Teilen von Haitis Hauptstadt das öffentliche Leben mit Waffengewalt lahmgelegt. Schüsse fielen unter anderem am internationalen Flughafen. Mehrere Polizisten sind nach Regierungsangaben getötet worden.
In dem laut «Miami Herald» völlig überfüllten Gefängnis seien unter anderem mehrere Bandenanführer inhaftiert, aber auch Verdächtige im Zusammenhang mit der Ermordung des haitianischen Präsidenten Jovenel Moïse. Moïse war in der Nacht zum 7. Juli 2021 in seiner Residenz mit zwölf Schüssen getötet worden. Laut den Ermittlungen führten rund 20 kolumbianische Söldner im Auftrag mehrerer Drahtzieher die Tat aus. Laut amerikanischer Justiz lautete der Plan der Verschwörer ursprünglich, Moïse zu entführen und als Staatschef zu ersetzen. Die Hintergründe des Verbrechens sind noch immer nicht zweifelsfrei geklärt. Henry übernahm im Anschluss die Regierungsgeschäfte.
Sicherheitslage in Haiti hat sich dramatisch verschlechtert
Seit der Ermordung des Präsidenten hat sich die Sicherheitslage in Haiti dramatisch verschlechtert. Brutal agierende Banden kontrollieren nach Uno-Schätzung rund 80 Prozent der haitianischen Hauptstadt Port-au-Prince und weiten ihr Einflussgebiet zunehmend auch auf andere Teile des Landes aus. Die Gewalt verschärft die prekäre Versorgungslage – fast die Hälfte der elf Millionen Bewohner Haitis leidet laut Vereinten Nationen unter akutem Hunger. Uno-Generalsekretär António Guterres hatte am Freitag bei dem Gipfeltreffen der Gemeinschaft Lateinamerikanischer und Karibischer Staaten (Celac) zu mehr Unterstützung für eine internationale Mission aufgerufen, die Haiti im Kampf gegen die grassierende Bandengewalt helfen soll.
Die Dominikanische Republik, die auf der Insel Hispaniola östlich von Haiti liegt, will nun das Grenzpersonal zwischen den beiden Ländern militärisch aufstocken, wie die Zeitung «Listín Diario» berichtet. Dieser Spezialkorps des Verteidigungsministeriums der Dominikanischen Republik ist für die Kontrolle und den Schutz der Landesgrenze zwischen den beiden Staaten zuständig.
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