Für die Ukraine war es ein Wochenende der Ernüchterung

Die Ukraine braucht Hilfe – und das schnell. Das war an der Münchner Sicherheitskonferenz allen klar – und die Solidarität entsprechend gross. Aber was bedeutet schnell? Und wie soll das gehen?

für die ukraine war es ein wochenende der ernüchterung

«Jeden Tag bombardiert Russland die Ukraine»: Demonstrierende an der Münchner Sicherheitskonferenz riefen den Teilnehmenden die Gräueltaten der russischen Armee in Erinnerungen.

Kurz bevor der Hauptgast Wolodimir Selenski in München auftreten sollte, kursierte am Samstagmorgen die Hiobsbotschaft: Die Ukraine gibt die erbittert umkämpfte Stadt Awdijiwka im Osten des Landes auf. Andernfalls, teilte der Armeechef mit, drohe eine Einkesselung der ukrainischen Soldaten. Kurze Zeit später kursierten Bilder russischer Soldaten, wie sie eine russische Flagge in dem Ort aufzogen. Und das Wort «Awdijiwka» wurde kurzerhand zum Damoklesschwert vieler Veranstaltungen der Münchner Sicherheitskonferenz.

Rund 50 Staatschefinnen und Staatschefs und etwa 100 Ministerinnen und Minister, dazu Expertinnen und Experten aus aller Welt waren eingeladen. Etliche griffen bei ihren Auftritten Awdijiwka als überdeutliches Signal auf: Die Zeit drängt, die Ukraine gerät weiter in die Defensive, sie braucht mehr Hilfe, und zwar schnell. Zumindest das war der Konsens im Luxushotel Bayerischer Hof. Worüber allerdings die Meinungen auseinandergingen: Was bedeutet schnell? Und wie soll das gehen?

«Es ist extrem dringend»

Waffen, Munition, Luftabwehrsysteme: «Nächste Woche oder in den nächsten Wochen», nicht in Monaten bräuchte sie die Ukraine, betonte etwa der britische Osteuropa-Experte Timothy Garton mehrmals. «Es ist extrem dringend.» Bemerkenswert deutliche Worte hatte zuvor die dänische Ministerpräsidentin Mette Frederiksen auf einem Podium gefunden: Es sei nun nicht mehr die Zeit für tolle Reden, «wir brauchen Entscheidungen. (…) Alles, was nötig ist», müsse jetzt geliefert werden. «Unsere F-16-Jets werden bald in der Ukraine fliegen.» Die Lieferungen aus eigenen Beständen waren Thema in München, aber auch, dass die europäische Produktion, etwa von Munition, erheblich hochgeschraubt werden müsse.

Der ukrainische Präsident Selenski hatte immerhin noch am Freitag Sicherheitsabkommen mit Berlin und Paris unterzeichnet, die Festschreibung langfristiger Hilfen also. In München betonte Selenski schliesslich: «Wir warten jetzt auf Waffenlieferungen (…) Unsere Hauptwaffe ist deshalb heute unser Personal.» Aber das könne auch nicht unbegrenzt kämpfen, so die Botschaft. Auf seine Rede folgten Standing Ovations, Zurufe, durchzuhalten – zumindest in München hat Selenski noch den Status eines Stars. Kaum ein Redner liess die Gelegenheit verstreichen, der Ukraine seine Solidarität auszudrücken.

für die ukraine war es ein wochenende der ernüchterung

Standing Ovations für Selenski: Der ukrainische Präsident, sichtlich erschöpft, am Samstag in München.

Diese Solidarität verstärkte sich durch eine weitere Botschaft, die die Konferenz bereits am Freitag ereilte: der Tod des Kremlkritikers Alexei Nawalny im Straflager. Teilnehmende auf den Podien und in kleineren Gesprächsrunden reagierten bestürzt. Kaum Zweifel gab es daran, dass sich Kremlchef Wladimir Putin seines Kritikers entledigt und der Welt einmal mehr seine Skrupellosigkeit zur Schau gestellt hatte. Umso mehr, so der Tenor, müsse er gestoppt werden, auch in der Ukraine.

Scholz appelliert an andere EU-Staaten

Entsprechend hoch waren die Erwartungen an die Rede des deutschen Kanzlers Olaf Scholz, der vor Selenski auf die Bühne kam. Deutschland ist, gemessen an den Finanzhilfen für militärische Zwecke insgesamt, nach den USA derzeit Anführer bei den Ukraine-Hilfen. Auch Scholz machte die Dringlichkeit zum Thema seiner Rede, zeigte dann aber in Richtung europäische Verbündete. Deutschland habe für 2024 seine militärischen Zusagen für die Ukraine auf mehr als 7 Milliarden nahezu verdoppelt und für danach Hilfen von 6 Milliarden Euro zugesagt. «Alle anderen EU-Hauptstädte», forderte er, sollten «ähnliche Entscheidungen» treffen. Doch dann räumte er ein: «Geld, das wir jetzt und in Zukunft für unsere Sicherheit ausgeben, fehlt uns an anderer Stelle. Das spüren wir.»

Angesichts solcher Relativierungen gab es auch einiges Stirnrunzeln an der Konferenz. Helfen ja, aber nur nicht zu viel, um die Wählerschaft daheim nicht zu verprellen? Hinzu kam bei Scholz, dass es in Sachen Taurus auch nicht voranging: Wann Berlin die Marschflugkörper endlich liefert, liess der Politiker einmal mehr offen. Die US-Journalistin, die ihn danach gefragt hatte, quittierte die denkbar schwammige Antwort, Deutschland tue, was gehe und die Ukraine brauche.

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Olaf Scholz forderte mehr europäische Anstrengung in Sachen Ukraine-Hilfen.

Und auch die Republikaner unter den US-Delegationen mussten sich in Sachen Blockaden von Milliardenhilfen für die Ukraine erklären. Der republikanische US-Senator J. D. Vance verallgemeinerte auf alle westlichen Verbündeten der Ukraine: «Der Westen produziert nicht genug Waffen», sagte er. «Wir müssen die Deindustrialisierung im Rüstungsbereich stoppen.»

Vance meinte, dass auch die USA trotz Milliardenausgaben nicht in der Lage seien, der Ukraine derzeit ausreichend Munition zu liefern. Das wird von Militärexperten angezweifelt, die stattdessen einen fehlenden politischen Willen hinter dem zögerlichen Handeln vermuten. US-Vizepräsidentin Kamala Harris hatte zuvor ihre Kollegen in Washington ermahnt, «keine politischen Spielchen» zu spielen.

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«Keine politischen Spielchen»: In München trafen auch Selenski und US-Vizepräsidentin Kamal Harris aufeinander.

Angesichts der schleppenden Waffenlieferungsdebatten fragten Expertinnen und Experten am letzten Konferenztag, ob man in Europa eigentlich die Gefahr realisiert habe, die gerade herrsche; ob den Menschen klar sei, dass sich der Ukraine-Krieg durchaus ausweiten könnte. Immerhin, der Ton habe sich leicht geändert, hielt die Berliner Osteuropa-Expertin Gwendolyn Sasse fest, auch das Motto der diesjährigen Konferenz «Lose-Lose» deute darauf hin. Doch immer wieder den Satz zu bemühen, dass es einen «Krieg in Europa» gebe, reiche nicht. Dass sich «Europa im Krieg befindet», scheine allerdings vielen derzeit zu weit gegriffen.

Womöglich ist das eine Erklärung für das langsame Vorgehen der europäischen Ukraine-Hilfen. Wirklich voran kam das Forum in der Sache nicht – eine ernüchternde Bilanz für die Ukraine. Zumindest offiziell. Die Münchner Sicherheitskonferenz dient auch dem vertraulichen Austausch zwischen Entscheidungsträgern und Politikern – in Nebenzimmern, abgeschirmt von den rund 1000 zugelassenen Medienschaffenden. Selenski hat dem Vernehmen nach bis zum Abend in Diskussionsrunden verbracht.

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