Lautes Schmatzen nervt. Verursacht es aber stärkere Gefühle, kann mehr dahinter stecken: Misophonie, zum Beispiel.
Wenn jemand laut schmatzt oder schnauft, kann das nerven. Lösen diese Geräusche aber Wut oder sogar Panik aus, könnte «Misophonie» die Ursache sein.
Stell dir vor, du sitzt friedlich mit deiner Familie am Tisch und geniesst die ruhige Atmosphäre – bis jemand beginnt, genüsslich zu kauen. Für die meisten Menschen ist das ein harmloses, alltägliches Geräusch, höchstens ein bisschen nervig vielleicht, wenn jemand laut schmatzt.
Für andere ist es aber viel mehr als nur störend. Bei Menschen, die unter sogenannter «Misophonie» leiden, verursachen gewisse Geräusche Wut, Ekel oder gar Panik. Und das nicht nur, wenn Fingernägel über eine Wandtafel kratzen: Sie reagieren zum Beispiel äusserst empfindlich auf eine Tür, die knallt, das Tippen auf der Tastatur, das Ticken einer Uhr, die Atmung eines anderen Menschen oder das Klappern von Besteck.
Misophonie bezeichnet diese übermässig starke Reaktion auf alltägliche Geräusche. Der Begriff stammt aus dem Griechischen und wird aus «misos» für Hass und «phone» für Geräusch gebildet. Die genauen Ursachen von Misophonie sind noch nicht vollständig geklärt. Forschungen deuten jedoch darauf hin, dass es sich um eine neurologische Störung handelt, bei der die Verarbeitung von Geräuschen im Gehirn anders erfolgt als bei anderen Menschen.
Intensivere Reaktion auf Gefühle
Eine Studie zeigte, dass Personen, die unter Misophonie leiden, eine verstärkte Aktivierung des vorderen Inselkortex aufweisen. Dieser Gehirnbereich spielt eine zentrale Rolle bei der Entscheidung, auf welche Reize wir unsere Aufmerksamkeit lenken. Die Studie ergab, dass Personen mit Misophonie grosse Schwierigkeiten hatten, ihre Konzentration von irrelevanten Geräuschen abzuwenden. Ausserdem wurde festgestellt, dass bei Misophonie-Betroffenen die für die Verarbeitung von Emotionen verantwortlichen Gehirnareale intensiver reagieren.
Für Menschen, die unter Misophonie leiden, kann ein gemütliches Essen mit Freunden zur Herausforderung werden.
Das führt dazu, dass bestimmte Geräusche nicht einfach als Hintergrundrauschen ignoriert werden können, sondern eine übermässig starke emotionale Reaktion hervorrufen. So finden es viele Menschen mit Misophonie schwierig, in lauten Büroumgebungen zu arbeiten oder am Sozialleben teilzunehmen wie zum Beispiel an einem Essen mit Freunden. Das kann zu Isolation und einem Gefühl der Entfremdung führen. Das kann weitreichende Folgen haben und zum Beispiel sogar zu Essstörungen führen. Das zeigte eine Studie des amerikanischen «Misophonia Institute».
Spannend ist auch, dass Betroffene häufig besonders auf nahestehende Personen reagieren: «Das ist für alle Beteiligten wirklich sehr belastend, weil es häufig Menschen sind, die man liebt und mit denen man viel Zeit verbringt», sagt Anne Möllmann, Psychotherapeutin und Studienleiterin zum Thema an der Universität Bielefeld gegenüber der Zeitschrift «Geo».
Heilung gibt es nicht – aber Betroffenen können Therapien und Kopfhörer helfen.
Eine Online-Studie mit über 300 Misophonie-Betroffenen ergab ausserdem, dass die meisten Teilnehmenden ihre Symptome bereits in der Kindheit oder im frühen Jugendalter bemerkten. Die Studie zeigte auch, dass die Schwere der Misophonie-Symptome im Laufe der Zeit zunimmt. Laut der Psychotherapeutin Möllmann ist Misophonie ein «wirklich häufiges Phänomen», wie sie gegenüber «Geo» sagt. Schätzungen zufolge könnten fünf Prozent der Bevölkerung betroffen sein.
Das hilft gegen Misophonie
Obwohl derzeit keine Heilung für Misophonie bekannt ist, gibt es verschiedene Strategien, die Betroffenen helfen können, ihre Symptome zu managen: Kopfhörer, die Geräusche ganz dämpfen oder mit weissem Rauschen oder Musik übertönen. Auch therapeutische Ansätze wie kognitive Verhaltenstherapie, Entspannungstechniken und Stressmanagement können den Betroffenen helfen.
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