Nackter Po im Schweizer Pavillon – «Ich habe es nicht als anstössig empfunden»

Die Kunstbiennale Venedig ist eröffnet, mit Haut, Ironie – und einer Verspottung von Simonetta Sommaruga. Was die Kulturministerin dazu sagt.

nackter po im schweizer pavillon – «ich habe es nicht als anstössig empfunden»

Immersive Kunst: Elisabeth Baume-Schneider (mit blauer Jacke) im Schweizer Pavillon.

Ausgerechnet als Bundesrätin Elisabeth Baume-Schneider das Wort ergreift, verdunkelt sich der Himmel über Venedig. Vor dem modernistischen Bau des Schweizer Pavillons in den «Giardini» wird die Eröffnung des Schweizer Beitrags zur 60. Kunstbiennale gefeiert.

Elisabeth Baume-Schneider, seit Anfang Jahr als Innenministerin auch für das Kulturdossier zuständig, wartet gut gelaunt über eine halbe Stunde, bis der in einen grellen Häkelanzug gekleidete Künstler Andrea Bellini die ansehnliche Truppe seiner Schweizer und Nichtschweizer Darstellerinnen und Helfer gefeiert und begrüsst hat. Die Künstlerfreunde fallen sich dabei immer wieder in die Arme, johlen, lachen und klatschen.

Frau Baume-Schneider, ist die Schweiz «ein Wunder», wie es das Werk von Guerreiro do Divino Amor im Schweizer Pavillon an der Biennale postuliert?

Die Schweiz wird in dieser Biennale-Installation als eine Inspiration gezeigt – das ist wichtig.

Inspiration zu was?

Zur Zärtlichkeit. Zur Freundschaft. Zur Kritik auch. Sie wird als ein Modell inszeniert, sowohl im Positiven wie im Negativen. Die Schweiz ist vielleicht nicht «ein Wunder», wie es der Titel der Arbeit formuliert, aber doch etwas Besonderes.

Das Werk wirkt ironisch, ich war mir nicht sicher, ob die Überhöhung der Schweiz eher kritisch oder eher positiv gemeint ist. Wie erleben Sie das?

Es ist ein Oszillieren zwischen den beiden. Das ist die Kraft der Kultur – sie macht verschiedene Interpretationsvorschläge. Und je nach Einstellung, Herkunft und sogar Laune des Betrachters kann jeder verschiedene Sichtweisen ausprobieren. Es hat bestimmt kritische Elemente dabei, die Erzählung über die Super-Schweiz ist bestimmt auch ironisch, doch es ist nie vulgär oder herabsetzend. In der Kritik gibt es stets auch Antworten und Relativierungen.

nackter po im schweizer pavillon – «ich habe es nicht als anstössig empfunden»

«Es ist gesund, Kritik zuzulassen, je früher, desto besser», sagt Bundesrätin Baume-Schneider in Venedig.

Eine länderspezifische Präsentation im Rahmen einer internationalen Ausstellung hat immer auch eine politische Komponente. Ist es klug, sich in einem kompetitiven Kontext selbst infrage zu stellen?

Es ist nicht nur klug, es ist sogar unerlässlich! Die Fähigkeit, einen auch kritischen Blick auf sich selber zu werfen, ist nötig, um sich entwickeln zu können, um die Gegenwart zu verstehen und um die Zukunft zu prägen. Wir können die Vergangenheit nicht ausblenden oder einfach hinter uns lassen. Wir müssen uns mit ihr auseinandersetzen.

Woran denken Sie dabei?

Etwa an Kunstwerke mit schwieriger Provenienz oder die neu entbrannte Diskussion um koloniale Verstrickungen der Denkmalhelden, etwa die Statue von David de Pury in Neuchâtel. Es ist gesund, Kritik zuzulassen, je früher, desto besser.

Man erinnert sich an die Kontroverse um Pipilotti Rists nackte Frauen in der Kirche San Staë 2005 in Venedig. Und jetzt gibt es im Schweizer Pavillon wieder Nacktheit – eine der helvetischen Gottheiten schreddert mit ihrem nackten Hintern geheime Dokumente.

Es kommt immer darauf an, wie ein Bild ins Ganze eingebettet ist. Hier ist es ein Element von so vielen, dass es mich persönlich nicht gestört hat. Ich habe es auch nicht als anstössig empfunden. Und sollte sich jemand durch diese nackte Allegorie beleidigt fühlen, es ist ein Leichtes, den Blick abzuwenden. Der Künstler sampelt hier zudem Bilder aus einem populären Universum, das dem Zuschauer gut bekannt sein dürfte. Egal, ob es aus den Telenovelas kommt, aus Social Media oder – wie die Ansprache bekannter Politikerinnen – aus den Fernsehnachrichten. Das macht dieses Werk sehr zugänglich.

Sie spielen auf die Politikerinnen-Rede an, tatsächlich spielt Simonetta Sommaruga mit ihrer Eichholz-Ansprache eine Rolle im Kunstwerk. Wären Sie beleidigt gewesen, wäre einer Ihrer Auftritte so verballhornt worden?

Überhaupt nicht. Ich würde es eher als ein sympathisches Augenzwinkern betrachten.

«Stranieri ovunque», Fremde überall, der Titel der 60. Biennale, spricht die Krise der Staaten an, die sich angesichts von migrantischen Bewegungen infrage gestellt fühlen. War der jurassische Künstler Ben Vautier vor dreissig Jahren ein Prophet, als er anlässlich der Weltausstellung in Sevilla den Spruch «La Suisse n’existe pas» prägte?

Vautier sprach damals die Frage der Identität an, und diese Infragestellung hat auch heute noch ihre Berechtigung. Für mich ist aber klar: Die Schweiz gibt es. Auch, weil man von ihr spricht. Institutionell ist sie für alle ihre Bewohner verantwortlich. Alle sollen sich darin mündig und ernst genommen fühlen.

nackter po im schweizer pavillon – «ich habe es nicht als anstössig empfunden»

Elisabeth Baume-Schneider ist seit Anfang Jahr Innenministerin.

Sie sind nun seit drei Monaten Kulturministerin. Hat sie nach der Übernahme des Dossiers etwas ganz besonders überrascht?

Es hat mich nicht unbedingt überrascht, weil ich das schon wusste, aber es ist mir doch von neuem bewusst geworden: In der Schweiz macht man dann Fortschritte, wenn man alle mitnimmt. Gerade in der Kulturpolitik müssen Bund, Kantone, Städte und Gemeinden sich eng abstimmen, um das Maximum aus den begrenzten Mitteln zu machen. Die neue Kulturbotschaft ist dafür ein gutes Beispiel, weil sie die Zusammenarbeit nochmals stärkt.

Sprechen wir von den Mitteln: Die SVP hat gerade wieder eine massive Kürzung der Kultursubventionen vorgeschlagen. Gibt es da Gegenargumente?

Der Bundesrat hat die Kulturbotschaft verabschiedet. Jetzt kommt das Parlament ins Spiel, und da gilt es zu argumentieren. Aber die Kultur hat gute Karten. Nicht nur, weil sie ein essenzielles Element unserer Identität darstellt. Sie ist auch ein bedeutender Wirtschaftsfaktor. Der Tourismus, die Hotellerie, aber auch viele technische und kreative Berufe hängen massgeblich von ihr ab. Insofern freue ich mich, diese Debatte nun zu führen.

Kultur ist gerade in Krisenzeiten wichtig, weil …?

Sie ist immer wichtig. Aber denken wir nur zurück an die Zeit der Pandemie. Was hat sie uns doch gefehlt, die Kultur!

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