Dieser Wasserfall ist fast verstummt – aber jetzt ist er grandios

Der Schreyenbachfall während 45 Tagen im Jahr.

Die Schweiz ist das Land der Wasserfälle. Besonders wenn so viel Regen fällt wie in den letzten Tagen und Wochen fällt, bieten sie spektakuläre Bilder. Einer sticht da aber noch zusätzlich heraus.

Wasserfälle, die man an- und abschalten kann? Ja, das gibt es. In der Schweiz ist das bekannteste Beispiel der Schreyenbachfall. Wobei: Wenn wir es genau nehmen, wird er nie ganz abgestellt, sondern es wird ihm einfach sehr viel Wasser entnommen. Normalerweise ist er daher nicht viel mehr als ein kümmerliches Rinnsal.

Dabei war der Schreyenbachfall bis 1964 eine schweizbekannte Naturattraktion. Rund 100 Meter stürzte sich hier der Fisetenbach über den Fels ins Tal und wenig später in die Linth. Der Bach, der seine Quelle im Kanton Uri hat, führte dabei oft grosse Wassermassen, so, dass der Fall sehr spektakulär wirkte.

Hier wird der Schreyenbachfall «eingeschaltet»:Video: watson

Strombedarf lässt Wasserfälle schweigen

Doch die Schweiz lechzte nach Energie. Und die Wasserkraft ist bekanntlich beliebt. Heute werden rund 60 Prozent der Schweizer Wasserfälle für die Herstellung von Energie genutzt. Einige sind gar für immer verstummt, so wie der Pfaffensprung bei Wassen im Kanton Uri. Andere, wie der Handeckfall im Grimselgebiet wurde praktisch alles Wasser abgegraben.

Der Pfaffensprung auf einer Aufnahme von 1987. So wie hier läuft das Wasser nur noch sehr selten über die Staumauer.

Ähnliches passierte auch mit dem Schreyenbachfall im Glarnerland. Der Landrat erteilte 1957 die Konzession für das Kraftwerkt Linth-Limmern. Diese nutzte das Wasser des Fisetenbachs, der den Schreyenbachfall speist, für die Stromproduktion und leitete dieses – bis auf wenig Restwasser – durch Stollen weg vom Wasserfall.

Der Schreyenbachfall, wenn ihm das Wassser entzogen wird.

Damit war das Schicksal des so beeindruckenden Falls eigentlich besiegelt. Der Schreyenbachfall verstummte bei der Inbetriebnahme des Kraftwerks 1964 praktisch ganz.

Es gab allerdings einen Hoffnungsschimmer. Denn ein Regierungsrat gab bei der Konzessionserteilung «die Zusicherung, dass der Wasserfall im annehmbaren Rahmen erhalten bleibe». Was damals niemand ahnte: Es sollte 51 Jahre dauern, bis das Versprechen eingelöst wurde.

Der Wasserfall wird wiedererweckt

Der WWF legte 2003 Einsprache ein. 2004 kam es zu einem Verlgeich zwischen dem WWF Glarus und der Kraftwerke Linth-Limmern AG. Dieser ergab dass der legendäre Wasserfall im Tierfehd im Sommer während 22 Tagen wieder in voller Pracht zu bestaunen sein müsse.

2008 – 51 Jahre nach dem Versprechen – wurde diese Abmachung erstmals angewendet. Endlich stob und rauschte das Wasser wieder über die Felskante, wie es früher immer der Fall war.

So wild stiebt es am Fuss des Wasserfalls:

Es kam gar noch besser: Mit der Realisierung des Projekts Linthal 2015 wurde die «Einschaltdauer» auf 45 Tage erhöht. Seither wird das Wasser des Fisetenbachs im Sommer (normalerweise) vom 18. Juni bis 2. August vollständig ausgeleitet und der Schreyenbach erhält für diese Tage seine ursprüngliche Macht zurück.

Das freut dann jeweils nicht nur Touristen, sondern es profitiert auch die Tier- und Pflanzenwelt, wenn alles Wasser wieder durch das Bachbett fliesst.

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Wenn die Flutwelle kommt

Wird der Wasserfall eingeschaltet, kommen die Wassermassen flutwellenartig über die Felsen. Darum unbedingt an die Anweisungen des Sperrpersonals halten und sowieso genügend Abstand nehmen. Denn es ist häufig so, dass in den ersten Minuten Steine und Äste aus dem Bachbett mitgeschwemmt und aus dem Wasserfall katapultiert werden.

Der Moment, wenn der Wasserfall wieder erwacht:

Wer das Schauspiel des Schreyenbachfalls selbst erleben will: Dieser ist gut sichtbar von der Strasse zum Tierfehd. Es führt auch ein kurzer Wanderweg von der Talstation der Kalktrittli-Seilbahn an den Fuss des Falls.

Etwas ganz anderes, aber auch eindrücklich:

Jetzt ist wieder Saison für eines der speziellsten Tierchen – aber nur kurz

Ähnliches Schauspiel in der Nähe

Und übrigens: Rund 1,5 Kilometer weiter südlich, zwischen der Linthschlucht und der Seilbahn, fällt der Wildwüestibach über noch mehr Meter in die Tiefe. Dieser ist nicht so gut zugänglich, aber auch er wird normalerweise Stunden vor dem Schreyenbachfall «eingeschaltet», indem seine Fassung geöffnet wird.

Der Wildwüestibachfall im Tierfehd. Links die Seilbahn Kalktrittli.

Den besten Blick darauf hast du vom Hotel Tödi bei der Talstation oder auf der kurzen – aber steilen – Wanderung zur Pantenbrücke, die an einer engen Stelle hoch über die Linth führt.

Wenn du doch noch bisschen mehr unternehmen willst:

Das ist da auch sehr in der Nähe:

Ja, dieses Bild ist wirklich aus der Schweiz (Nico hat's getestet – und verflucht)