INTERVIEW - «Russland könnte im Fernen Osten chinesische Militärinstallationen erlauben»

interview - «russland könnte im fernen osten chinesische militärinstallationen erlauben»

Schiffe der chinesischen Marine im Hafen von Wladiwostok, anlässlich eines Übungsmanövers mit den Russen. Elena Kopylova / Sputnik via Imago

Das Riesenreich Russland reicht bis an den Pazifik. In den ganzen Diskussionen um die Machtverschiebungen im pazifischen Raum nimmt Russland aber eine untergeordnete Rolle ein. Die USA und China sind die tonangebenden Mächte.

Die grösste Stadt in Russlands Fernem Osten ist Wladiwostok, deren Name bezeichnenderweise «Beherrsche den Osten» bedeutet. Seoul, Tokio, Peking – selbst Singapur – liegen näher an Wladiwostok als die russische Hauptstadt Moskau.

Artjom Lukin ist der Forschungsdirektor der Schule für regionale und internationale Studien an der staatlichen Fernöstlichen föderalen Universität in Wladiwostok. Der Politologe war Teil einer grossen russischen Delegation am Raisina Dialogue, einer jährlich stattfindenden Sicherheitskonferenz in Delhi.

Herr Lukin, Russland reicht von Europa bis an den Pazifik. Wie stark versteht sich das Land als pazifische Macht?

Im offiziellen Grundlagenpapier der Aussenpolitik definiert sich Russland als «eurasisch-pazifische Macht». Aber Russlands primäre Identität ist europäisch – darum kämpft es in der Ukraine! Man zieht nur für etwas in den Krieg, was einem wirklich wichtig ist. Im Pazifik würde Russland nur kämpfen, wenn es angegriffen würde. Russland will den Pazifik nicht dominieren, sondern Europa.

Ist die asiatische Identität so schwach?

Natürlich gibt es Regionen, die sehr asiatisch sind. Nehmen Sie zum Beispiel Tuwa an der mongolischen Grenze. Viele Tuwiner sprechen kaum Russisch und kämpfen dennoch in der Ukraine. Ich glaube – und das entspricht natürlich nicht der offiziellen Linie –, dass Russland ein eurasisches Imperium ist, kein europäischer Nationalstaat. Die Invasion des Kiewer Rus im 13. Jahrhundert durch die Mongolen machte uns dazu. Russland ist quasi das mongolische Imperium mit Atomwaffen.

Mit dem russischen Angriff auf die Ukraine hat sich Europa von Russland distanziert. Hat dies zu einer russischen Reorientierung nach Asien geführt?

Ja, aber der Trend hat schon früher begonnen. Und ich denke, er wird weitergehen, selbst wenn wir unsere Beziehungen mit Europa wiederaufnehmen könnten. Ein Beispiel dafür, wie stark sich Russland «asianisiert» hat: Dieses Jahr wurde erstmals mit Unterstützung der russischen Regierung das chinesische Neujahr gefeiert. Nicht nur im asiatischen Wladiwostok, auch in Moskau und vielen anderen Städten.

Wie wichtig ist der Pazifik im strategischen Denken des Kremls?

Der Pazifik ist ein maritimer Raum. Wenn wir ehrlich sind, war Russland nie sehr gut in maritimen Angelegenheiten. Um eine erfolgreiche pazifische Macht zu sein, braucht es eine schlagkräftige Marine.

Aber Russland hat doch die in Wladiwostok stationierte pazifische Flotte . . .

Der stärkste Teil der pazifischen Flotte sind die U-Boote, die Atomraketen abfeuern können. Damit können Sie die USA zerstören, aber nicht in den Weiten des Pazifiks Ihren Willen durchsetzen. Moskau hat zwar Ambitionen im Pazifik, aber es ist allen klar, dass das nicht realistisch ist. Ich würde es daher so sagen: Russland ist zwar eine asiatische Macht, aber keine entscheidende pazifische Macht.

Russlands Rolle in Asien ist stark geprägt durch die Rivalität mit China. Gegenwärtig sind sich die beiden sehr nahe, sie kooperieren auch im militärischen Bereich. Wie verändert das die Machtbalance im pazifischen Raum?

Nehmen wir ein Beispiel: Die russischen und die chinesischen Streitkräfte führen gemeinsam Manöver durch; so haben Flugzeuge beider Länder in Formation Japan umflogen. Das war ein Zeichen an Tokio: «Überlegt euch gut, ob ihr amerikanische Mittelstreckenraketen bei euch stationieren wollt.» Es soll ja Pläne dazu geben.

Wie würden die beiden Länder darauf reagieren?

Möglichkeiten, die Partnerschaft zu vertiefen, gibt es viele: So könnte Russland die Chinesen zu Manöver in der Arktis einladen, in der Bering-Strasse oder im arktischen Ozean. Oder Russland könnte im Fernen Osten chinesische Militärinstallationen erlauben.

Wäre der Kreml bereit, so weit zu gehen?

Warum nicht? Wir sind ja strategische Partner, fast schon Alliierte. Vor fünf Jahren erschien dies noch als völlig unmöglich – in fünf Jahren könnte es Realität sein.

Diese Partnerschaft wird je länger, desto ungleicher. Russland ist wirtschaftlich viel mehr von China abhängig als umgekehrt. Wie wirkt sich das aus?

Eine Beziehung zwischen Grossmächten folgt weniger einer wirtschaftlichen als einer politischen Logik. Und Politik basiert auf Macht, Souveränität und Unabhängigkeit. Schauen Sie die koreanische Halbinsel an: Obwohl Russland wirtschaftlich von China abhängig ist, führt es eine Politik mit Nordkorea, die nicht einfach Pekings Wünschen entspricht.

Lange haben die Russen auf China hinuntergeschaut, insbesondere zu Sowjetzeiten. Was löst das in russischen Köpfen aus, wenn sich das Machtverhältnis nun umkehrt?

Ich denke, die Führung im Kreml ist dabei, das zu akzeptieren. Sie hat eine ganz klare Priorität: den Krieg mit dem Westen zu gewinnen. Diesem Ziel ordnet man alles unter und ist auch bereit, gegenüber China die zweite Geige zu spielen.

Sie haben Nordkorea erwähnt. Pjongjang und Moskau haben in letzter Zeit ihre Kontakte verstärkt. Geht es da vorwiegend um Waffen und Artilleriemunition für Russland?

Es gibt auch eine wichtige politische Komponente: Nordkorea ist das einzige Land, das sich beim Ukraine-Konflikt in der Uno voll und ganz hinter Russland stellt. Das ist wichtig. Und eine engere Beziehung zu Nordkorea gibt Russland auch mehr Gewicht im Pazifik.

Bei seiner Reise in den Fernen Osten Russlands besuchte der nordkoreanische Führer Kim Jong Un den Weltraumbahnhof Wostotschny. Darauf gab es Spekulationen, dass Russland im Gegenzug für nordkoreanische Artilleriegranaten Raketen- und Nukleartechnologie liefern könnte. Was halten Sie davon?

Atomtechnologie? Nein, das kann ich mir nicht vorstellen. Aber sonstige Weltraumtechnologie schon. Es ist aber nicht bekannt, was Russland bereit ist zu teilen und was nicht.

Was sind Russlands Interessen auf der koreanischen Halbinsel?

Das ist unsere Nachbarschaft . . .

Für Sie in Wladiwostok schon. Aber von Moskau aus gesehen, ist Korea doch sehr weit weg . . .

Russlands Ferner Osten ist immer noch ein Teil Russlands. Präsident Putin unterstreicht dies, indem er immer wieder Wladiwostok besucht. Selbst mit Südkorea erhält Moskau die Beziehungen aufrecht, obwohl sich Seoul den Sanktionen gegen Russland angeschlossen hat. Solange Südkorea nicht direkt Waffen an die Ukraine liefert, ist Russland offen für gute Beziehungen.

Liegt dies daran, dass Russland sonst schon stark isoliert ist?

Wir führen dieses Gespräch hier in Indien am Rande der Sicherheitskonferenz Raisina Dialogue. Hier, im bevölkerungsreichsten Land der Welt, erfahre ich viel Sympathie für Russland – von einfachen Leuten wie von der Elite. Russland ist nicht isoliert.

Im Westen gehen wir davon aus, dass sich Russland mit dem Angriff auf die Ukraine international ins Abseits manövriert hat.

Das ist falsch. Sicher hier in Indien, aber auch in China. Und Umfragen in Indonesien zeigen, dass das grösste muslimische Land der Welt sehr prorussisch und stark antiamerikanisch ist. Selbst aus Japan höre ich viel Unzufriedenheit mit der antirussischen Position der Regierung.

Fühlen Sie sich als Russe isoliert?

Ja und nein. Ja, wenn ich versuche, ein Visum für eine Reise nach Europa oder in die USA zu erhalten. Das ist sehr schwierig. Gleichzeitig studieren an meiner Universität in Wladiwostok heute Studenten aus 70 Ländern. Dabei gehört die Fernöstliche föderale Universität mit ihren 40 000 Studenten weder zu den grössten noch zu den renommiertesten Universitäten Russlands.

Woher kommen diese ausländischen Studenten?

Die grösste Gruppe sind die Chinesen, etwa 1000 Studenten. Darauf folgen rund 500 Inder, die vor allem Medizin studieren. Und dann natürlich Studenten aus Lateinamerika und Afrika. Die meisten Menschen im «globalen Süden» scheren sich einen Dreck um den Krieg in der Ukraine. Sie haben schlicht andere Probleme. Glauben Sie mir; das ist nicht einfach russische Propaganda.

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