Boeing - Millionenvergleich nach 737-Max-Abstürzen – Opfer-Anwalt spricht von „sweetheart deal“
FILE - A Boeing 737 Max jet prepares to land at Boeing Field following a test flight in Seattle, Sept. 30, 2020. Boeing announced plans late Sunday, June 30, 2024, to acquire Spirit AeroSystems for $4.7 billion in an all-stock transaction for the manufacturing firm. (AP Photo/Elaine Thompson, File)
Das US-Justizministerium will dem Flugzeugbauer Boeing im Zusammenhang mit dem Absturz zweier Flugzeuge vom Typ 737 Max einen Vergleich vorschlagen. Demnach soll sich das Unternehmen des Betruges schuldig bekennen und der Einsetzung eines unabhängigen Prüfers zustimmen, der die Einhaltung von Anti-Betrugs-Gesetzen überwacht, sagten zwei Quellen unter Berufung auf die US-Staatsanwaltschaft. Außerdem werde wohl eine Strafzahlung in dreistelliger Millionenhöhe fällig. Boeing habe bis Ende kommender Woche Zeit, auf das Angebot einzugehen.
Anwälte von Hinterbliebenen sagten, das Justizministerium habe einige Angehörige der 346 Absturzopfer über das Vergleichsangebot informiert. Einige seien wütend geworden, weil nach dem Angebot keine weiteren Anklagen erhoben und keine Prozesse geführt werden sollten.
„Wir sind verärgert. Sie sollten einfach Anklage erheben“, sagte Nadia Milleron aus Massachusetts, deren 24-jährige Tochter Samya Stumo bei dem Absturz vom März 2019 ums Leben kam. Ein Opfer-Anwalt sprach gegenüber der BBC von einem „Freundschaftsangebot“ („sweetheart deal“), das die US-Regierung dem Flugzeugbauer unterbreiten will.
Die Staatsanwälte teilten den Familien mit, dass das Justizministerium ein Gerichtsverfahren anstreben werde, falls Boeing das Vergleichsangebot ablehnt, hieß es. Boeing und das Justizministerium äußerten sich vorerst nicht.
Zwei Boeing 737 Max waren im Oktober 2018 und im März 2019 abgestürzt. Untersuchungen zeigten, dass in beiden Fällen eine Software namens MCAS die Nase des Flugzeugs wiederholt nach unten gedrückt hatte und es den Piloten nicht gelang, die Maschinen in der Luft zu halten. Nach dem zweiten Absturz wurde ein rund zweijähriges Flugverbot für die Boeing 737 Max verhängt.
Die Staatsanwaltschaft warf Boeing vor, Aufsichtsbehörden getäuscht zu haben, die die 737 Max genehmigten und die Anforderungen für die Pilotenausbildung zum Fliegen des Flugzeugs festlegten. Das Unternehmen machte zwei relativ unbedeutende Mitarbeiter für den Betrug verantwortlich. Vor einigen Wochen teilten Staatsanwälte einem US-Bundesrichter mit, Boeing habe gegen eine Vereinbarung von 2021 verstoßen, die das Unternehmen vor strafrechtlicher Verfolgung im Zusammenhang mit den Abstürzen in Indonesien und Äthiopien schützte.
Eine Verurteilung könnte nach Ansicht von Rechtsexperten den Status von Boeing als Auftragnehmer der US-Regierung gefährden. Das Unternehmen hat umfangreiche Verträge mit dem Verteidigungsministerium und der Raumfahrtbehörde Nasa.
Boeing kauft Zulieferer Spirit
Zudem holt Boeing den wichtigen Zulieferer Spirit Aerosystems wieder zurück unter das Konzerndach. Schon länger wird kritisiert, die Abspaltung der einstigen Boeing-Sparte habe es schwer gemacht, die Qualitäts-Standards einzuhalten.
Boeing zahlt den Kaufpreis in Form von Aktien. Spirit wird bei dem Deal mit rund 4,7 Milliarden Dollar bewertet, wie Boeing mitteilt. Der Flugzeugbauer übernimmt auch rund 3,6 Milliarden Dollar an Spirit-Schulden. Wenige Stunden zuvor hatte der Finanzdienst Bloomberg über Details des Geschäfts berichtet.
Bei Spirit wird unter anderem der Rumpf von Maschinen des Typs Boeing 737 gebaut. Das 2005 von Boeing abgespaltene Unternehmen produzierte nach späteren Zukäufen auch Teile von Tragflächen und Rumpf-Fragmente für Airbus. Dafür musste eine Lösung gefunden werden, bevor Boeing sich Spirit wieder einverleiben konnte.
Airbus teilt nun mit, dass mehrere Spirit-Werke an den europäischen Konzern gehen werden. Anders als Boeing zahlt Airbus dafür keinen Kaufpreis – sondern bekommt von Spirit 559 Millionen Dollar als eine Art Mitgift dazu.
Die Abspaltung der Sparte von Boeing folgte seinerzeit dem Trend, Konzerne zu verschlanken und durch Verlagerung von Aktivitäten an Zulieferer Geld zu sparen. Mit der Zeit setzte sich jedoch allgemein die Sicht der Dinge durch, dass die Trennung von Spirit zu Qualitätsproblemen und einem Kontrollverlust durch Boeing führte.
In den vergangenen Jahren gab es wiederholt Ärger. In einem Fall etwa wurde festgestellt, dass bei Spirit Löcher im Rumpf mehrerer Maschinen falsch gebohrt wurden. Spirit spielte auch eine Rolle bei dem dramatischen Zwischenfall im Januar, bei dem ein Rumpf-Teil einer so gut wie neuen Boeing 737-9 Max von Alaska Airlines im Steigflug herausbrach. Der Rumpf war bei Spirit produziert und zu Boeing geliefert worden. Dort wurde das Fragment für Nacharbeiten herausgenommen. Boeing konnte keine Unterlagen dazu finden – aber die Unfallermittlungsbehörde NTSB geht davon aus, dass die Maschine ohne zwei Befestigungsbolzen an dem Rumpf-Teil an die Fluggesellschaft ausgeliefert wurde.
Nach dem Alaska-Zwischenfall geriet Boeing unter verstärkten Druck, die Qualitätskontrollen zu verbessern. Eine der Maßnahmen dabei war, mehr Prüfer zu Spirit zu schicken, damit eventuelle Fehler direkt dort und nicht erst nach der Lieferung ins Boeing-Werk behoben werden. Im März gab Boeing dann auch bekannt, dass über den Kauf von Spirit verhandelt werde.
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