E-Scooter in Berlin: Ist das Gehwege-Chaos nun endlich vorbei?
So soll es sein: An einem Jelbi-Punkt stehen E-Scooter in Reih und Glied. Jelbi ist das Sharing- Tochterunternehmen der Berliner Verkehrsbetriebe (BVG), das etwa 240 Standorte betreibt.
Im Vergleich zu falsch geparkten Autos ist ihre Zahl gering. Trotzdem rufen E-Scooter, die auf Bürgersteigen im Weg stehen oder liegen, immer wieder Ärger hervor. Für Blinde und Sehbehinderte sind sie eine Gefahr. Doch nicht nur nach Einschätzung der Vermieter hat sich die Lage in Berlin verbessert. Die Zahl der Ordnungswidrigkeitsverfahren, die Bezirke wegen falsch abgestellter E-Scooter eingeleitet haben, könnte in diesem Jahr deutlich niedriger ausfallen als bisher. Das legen neue offizielle Daten nahe.
Sie stammen aus der Drucksache des Abgeordnetenhauses, in der der Verkehrsstaatssekretär Johannes Wieczorek eine Anfrage des Linke-Abgeordneten Kristian Ronneburg beantwortet. Danach geht die Zahl der Verfahren stark zurück. Mussten die Bezirksämter im Zeitraum von September bis Dezember 2022 insgesamt 7272-mal tätig werden, werden für das gesamte vergangene Jahr 7921 Ordnungswidrigkeitsverfahren gemeldet. In diesem Jahr waren es bis Mai 1937, so der Senat. Ein weiterer Rückgang.
Auch andere Daten zeigten einen positiven Trend, berichtete der Staatssekretär. Danach sei die Zahl der festgestellten Verstöße gegen Parkvorschriften in diesem Jahr deutlich gesunken. Wurden in Berlin während der vierten Kalenderwoche noch fast 30 Parkverstöße pro 1000 Fahrten ermittelt, schrumpfte der Anteil laut den Senatszahlen bis zur 20. Kalenderwoche auf knapp die Hälfte. Die Entwicklung sei „tendenziell als positiv zu bewerten“, fasste Johannes Wieczorek zusammen.
Vor kurzem berichteten die E-Scooter-Vermieter Bolt, Lime, Voi und Tier, wie oft sich Bürger auf ihren Plattformen und Hotlines wegen falsch abgestellter Fahrzeuge gemeldet haben. „Gemessen an den Mietvorgängen bewegt sich das Beschwerdeaufkommen im Promillebereich“, hieß es in einer gemeinsamen Mitteilung. „So haben im laufenden Jahr lediglich 0,03 Prozent aller Mietvorgänge in Berlin zu einer Beschwerde geführt. Häufig sind unbegründete Beschwerden enthalten.“
Insgesamt gingen wenig Beschwerden über die Kanäle der Anbieter und bei Jelbi ein, heißt es. Jelbi ist das Tochterunternehmen der Berliner Verkehrsbetriebe (BVG), das mittlerweile an rund 240 Standorten Sharing-Vehikel zur Nutzung bereitstellt. „Über 99,9 Prozent aller Parkvorgänge bleiben ohne Beschwerde; ein Zeichen dafür, dass die Nutzenden inzwischen einen verantwortungsvollen Umgang mit den nachhaltigen Fahrzeugen praktizieren –bei über acht Millionen Fahrten bereits in diesem Jahr.“
So kann es auch sein – leider: E-Scooter und andere Sharing-Fahrzeuge liegen auf einem Gehweg in Berlin.
Im vergangenen Jahr hatte der Fachverband Fußverkehr Deutschland (FUSS) ein anderes Bild gezeichnet. Bei ihren Spaziergängen stellten die Ehrenamtlichen 634 geparkte E-Scooter fest, von denen 422 so platziert waren, dass sie Menschen behinderten oder gar gefährdeten – ein Anteil von zwei Dritteln. Verbandssprecher Roland Stimpel forderte den Senat auf, den E-Scooter-Vermietern Bolt, Lime, Tier und Voi von 2024 an keine neuen Genehmigungen auszustellen. „Berlin braucht eine E-Scooter-Pause“, forderte Stimpel im September 2023.
Wie berichtet, hat die Senatsverwaltung für Verkehr auf Beschwerden von Bürgern, aber auch von Organisationen wie dem Allgemeinen Blinden- und Sehbehindertenverein sowie FUSS reagiert – aber nicht mit dem Aus für alle E-Scooter. Stattdessen gelten für Anbieter von Sharing-Fahrzeugen inzwischen verschärfte Bedingungen, die in den Nebenbestimmungen der Sondernutzungserlaubnisse fixiert wurden. So müssen die Vermieter nachweisen, dass sie Fußpatrouillen einsetzen, die kontrollieren, ob E-Scooter korrekt abgestellt worden sind. Auch Hotlines werden verlangt.
„Zu den wirkungsvollen Maßnahmen, die die Anbieter ergriffen haben, gehört eine verstärkte Fußpatrouille, die an Orten mit hohem E-Scooter-Aufkommen im Einsatz ist und falsch abgestellte E-Scooter korrekt umplatziert“, so die Unternehmen. „Zusätzliche Kontaktmöglichkeiten wie kostenlose Online-Kontaktformulare, Telefon-Hotlines oder Braille-Sticker mit Kontaktinformationen an den Fahrzeugen geben den Bürgerinnen und Bürgern seit 2024 mehr Möglichkeiten, Regelverstöße zu melden.“ Nicht nur: „Manche nutzen die Kommunikationskanäle eher als Meinungsplattform“, berichtet Martin Becker, Vorstandsmitglied der Plattform Shared Mobility.
Inzwischen gilt auch eine Obergrenze: Seit Anfang Januar dürfen die Unternehmen in der Berliner Innenstadt nur noch insgesamt 19.000 Elektrokleinstfahrzeuge anbieten, so der Senat. Tatsächlich sind es weniger – die Angaben der Vermieter für Mai summierten sich auf 16.799, teilt der Senat mit. Außerhalb des S-Bahn-Rings dürfen mehr Miet-E-Scooter stehen: Die zulässige Zahl stieg bis Mai auf 24.000. Hier ist die Diskrepanz noch größer. So waren im Mai außerhalb des S-Bahn-Rings 17.442 Vehikel verfügbar.
An immer mehr Orten in Berlin ist es nicht mehr möglich, Mietfahrzeuge abzustellen. In Berlin gebe es inzwischen mehr als 2700 kleine und große Parkverbotszonen, so der Staatssekretär. Die Technik ist so gepolt, dass Mietvorgänge in diesen Bereichen nicht abgeschlossen werden können. So sollen die Nutzer dazu gebracht werden, ihre Vehikel zu den Parkbereichen zu bringen, die vielerorts eingerichtet worden sind. Dazu gehören Jelbi-Standorte, aber auch ehemalige Autostellplätze oder Parkplätze, auf denen Bezirksämter Bereiche für Sharing-Fahrzeuge abgesteckt haben.
„Weiterhin fehlen Flächen für geteilte Mikromobilität. Der stetige Ausbau des sogenannten Ordnungsrahmenprojekts, den Jelbi in enger Abstimmung mit dem Senat für Mobilität, Verkehr, Klimaschutz und Umwelt sowie den Anbietern vorantreibt, bleibt daher auch nach 2025 wichtig“, sagt Branchensprecher Becker. „Solange nicht genügend Abstellinfrastruktur bereitsteht, um die Konfliktpotenziale im öffentlichen Raum zu beheben, bleiben die Maßnahmen der Anbieter ein wichtiger Baustein im Mobilitätsmanagement der Stadt.“
Experten erwarten mit Spannung, was aus den beiden Klagen wird, die dem Verwaltungsgericht Berlin vorliegen. Der Vermieter Tier geht gegen Nebenbestimmungen vor, die zu der Sondernutzungserlaubnis für den Zeitraum von Januar 2024 bis März 2025 ergangen sind. Wie berichtet, ist auch der Allgemeine Blinden- und Sehbehindertenverein vor Gericht gezogen – schon 2022. Dem Senat lägen keine Erkenntnisse dazu vor, wann die Verwaltungsrichter entscheiden, so der Staatssekretär.