Lindners Sparkurs: Kein Haushalt? Kein Drama! Warum die Ampel auch auf einen Etat verzichten könnte
Bundesfinanzminister Christian Lindner (l., FDP) und Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD)
Alle sind in Aufregung wegen des Haushaltsdramas in der Ampel. Aber muss die Regierung überhaupt einen Etat vorlegen? Nein, sagt der Verwaltungsexperte René Geißler – und skizziert im stern mögliche Folgen.
Herr Geißler, die Ampel streitet ums Geld. Sie sind Professor für öffentliche Verwaltung – wie beunruhigt sind Sie von dem Theater?
Eigentlich gar nicht. Was wir gerade erleben, ist das normale Prozedere in der Haushaltsplanung. Es geht um den Haushalt für das Jahr 2025. Wir befinden uns am Anfang der Verhandlungen. Da knirscht es traditionell. Haushaltsverhandlungen sind immer ein hoch politischer und kontroverser Prozess. Es geht um Inhalte und Macht. Gleichzeitig sind solche Konflikte aber auch ein Ritual.
Aber mehrere Ministerien widersetzen sich komplett den Sparvorgaben von Christian Lindner. Kein Affront aus Ihrer Sicht?
Das Agieren wundert mich überhaupt nicht. Haushaltsverhandlungen passieren praktisch nie ohne Streit. Wenn mal wirklich viel Geld da ist, die Wirtschaft brummt, die Steuereinnahmen fließen, dann ist die Planung ruhiger, da alle Wünsche der Ressorts befriedigt werden können. Das ist aber nicht der Normalfall. In diesem Jahr greift die Schuldenbremse, wir haben hohe Inflation und internationale Krisen. Da wird der Verteilungskampf größer. Es wäre aus Sicht der Ministerien sogar taktisch unklug, dem Finanzminister gleich in der ersten Runde zu folgen. Denn es kommen bis zur Sommerpause noch ein paar Verhandlungsrunden.
Anfang Juli muss ein Kabinettsbeschluss her – spätestens dann muss der Haushalt stehen.
Nicht zwingend. Das wäre zwar wünschenswert, muss aber nicht sein. In der Bundeshaushaltsordnung ist festgelegt, dass die Regierung das Haushaltsgesetz im September einbringen soll. Aber wenn es länger dauert, dauert es eben länger. Es steigt dann das Risiko, dass der Bundestag den Haushalt im aktuellen Jahr nicht mehr beschließen kann und es im nächsten Jahr ein paar Monate keinen Haushalt gibt. Das wäre an sich aber noch kein Drama.
Bitte?
Das Grundgesetz hat dieses Risiko vorhergesehen und Regelungen getroffen. Es würde einfach alles so weiterlaufen wie bisher, jedenfalls größtenteils. Alles, was gesetzlich geregelt ist und für die Funktionsfähigkeit der Verwaltung notwendig wäre, ist garantiert. Gehälter würden weitergezahlt. Das Bürgergeld würde überwiesen. Alle würden zur Arbeit gehen.
In den USA droht in einem solchen Fall der Shutdown.
Ja, in Deutschland soll das ganz bewusst nicht geschehen. Das Haushaltsrecht ist so gestrickt, dass ein Kollaps der Verwaltung ausgeschlossen ist – egal, ob es eine Haushaltseinigung gibt oder nicht.
Gibt es gar keine festen Fristen?
Eigentlich nicht. Theoretisch bräuchte die Regierung gar keinen Haushalt. Mal angenommen, die Ampel schafft es bis Jahresende nicht, sich zu einigen – dann müsste sie in die vorläufige Haushaltsführung. Ist alles schon vorgekommen, zum Beispiel im letzten Haushalt.
Was wäre der Nachteil?
Für den Finanzminister wäre es erst einmal sogar ein Vorteil. Politisch wäre er gestärkt, nichts ginge gegen ihn. Es würde gespart. Allerdings wäre die Regierung nicht in der Lage, neue Projekte zu beginnen. Sie könnte keine neuen Bauaufträge ausläsen, keine Investitionen starten. Die Bundeswehr könnte keine neuen Panzer bestellen. Personal einzustellen, wäre auch sehr schwierig. Neue Förderprogramme wären blockiert.
Wären die Ukraine-Hilfen gesichert?
Neue Bestellungen und Beschaffungen wären erst einmal nicht möglich. Da gerade diese Beschaffungen aber immer sehr lange dauern, würde die Ukraine das erst mit Verzögerung zu spüren bekommen.
Die Ampel hat schon jetzt einen miserablen Ruf – einigte sie sich nicht einmal auf einen Haushalt, wäre das doch ihr endgültiger K.O, oder nicht?
Für die Außenwahrnehmung der Regierung wäre das sehr, sehr schlecht. Aber wir haben ja erst Anfang Mai. Momentan verläuft der Prozess, wie gesagt, noch recht erwartungsgemäß. Wenn die Regierung in sechs Monaten keine Einigung gefunden hat, wird es in die vorläufige Haushaltsführung gehen. Bis dahin ist alles nicht so aufregend.
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