Lettlands Luftwaffenchef: „Die Ukraine wird im Namen ihrer Freiheit wohl etwas opfern müssen“

lettlands luftwaffenchef: „die ukraine wird im namen ihrer freiheit wohl etwas opfern müssen“

17.04.2024: Oberst Viesturs Masulis, Befehlshaber der lettischen Luftstreitkräfte, steht vor einem Eurofighter der deutschen Luftwaffe, auf der lettischen Luftwaffenbasis Lielvarde.

Der baltische EU- und Nato-Staat Lettland zählt zu den entschlossensten Unterstützern der Ukraine. Als Kommandeur ist Oberst Viesturs Masulis der Chef der Luftwaffe des Landes und einer der höchsten Militärs des Baltikums. Wir haben ihn am Stützpunkt in Lielvarde getroffen. Er erzählt, dass Lettland besorgt um die eigene Sicherheit ist, die Bewohner im Umkreis ihre Uhren nach den deutschen Eurofightern stellen und bringt die Vorstellung von einer geteilten Krim ins Spiel.

Berliner Zeitung: Herr Oberst Masulis, Lettland steht durch die veränderte Sicherheitslage in Osteuropa nun mit im weltpolitischen Rampenlicht. Wie würden Sie, in Ihrer Funktion als Kommandeur der lettischen Luftwaffe, die Sicherheitssituation hier nahe der russischen Grenze einschätzen?

Oberst Viesturs Masulis: Es ist kein Geheimnis, dass wir ein Nachbarland Russlands und Weißrusslands sind, und die Gesamtlage mit diesen Ländern äußerst schwierig ist. Wir sind hier viel näher dran als Sie in Deutschland. Wir bilden die Ostflanke, wie man in der Nato sagt, und sind extrem besorgt über unsere Sicherheit. Deutschland ist geographisch weit entfernt, da versteht die Bevölkerung schwerer, warum man uns hier unterstützen muss. Aber wir sind Teil der Nato und daher müssen wir uns gemeinsam schützen.

Hier auf unserer Basis ist die deutsche Luftwaffe, aber auch Einheiten der Spanier und der US-Amerikaner – hierfür sind die lettischen Luftstreitkräfte, aber auch das gesamte lettische Volk, dankbar. Es ist wichtig, um uns tatsächlich zu schützen. Noch wichtiger ist aber der psychologische Aspekt für unsere Gesellschaft. Deutschland zeigt uns, dass wir nicht allein sind. Ältere Generationen erinnern sich noch gut an die Zeit, als unser Land Teil der Sowjetunion war – wir wollen das nie wieder. Wir repräsentierten damals einen Teil der Sowjetunion, in Wahrheit waren wir aber sehr allein. Dementsprechend empfinden wir den Lärm der Eurofighter als Geräusche der Freiheit.

Die Drohgebärden zwischen Russland und der Nato nehmen zu, aus russischen Kreisen hört man vermehrt auch direktes Säbelrasseln gegenüber Lettland. Fürchten Sie eine Eskalation?

Vielleicht nicht in militärischer Hinsicht, da Eskalation wäre wohl ein zu harter Begriff. Aber politisch: Ja, da gibt es die Eskalation. Wir sprechen in hohen militärischen Kreisen auch über die nukleare Gefahr durch Russland, die nun ja auch durch Belarus ausgeübt wird. Aber in der militärischen Realität sehe ich momentan keine Anzeichen für eine akute Eskalation gegen uns.

Wir trainieren nun mehr, das ist sehr positiv. Mehr Präsenz der Alliierten hier erlaubt uns mehr gemeinsame Trainings, so verstärken wir unsere Fähigkeiten für den Ernstfall.

Sie haben die deutsche Luftwaffe angesprochen. Wie wichtig ist ihre Präsenz hier wirklich?

Sie bringen in Sachen Personalstruktur, Infrastruktur, Navigationsservice und vielen anderen Bereichen enorme Erfahrung mit. Unser Stützpunkt erfüllt nun die neuen Nato-Standards. Das wäre ohne Mithilfe der Luftwaffe nicht möglich gewesen. Vor einem Jahr kamen die Deutschen, um uns bei allen Vorbereitungen und Adaptionen hier in Lielvarde zu unterstützen. Es gab damals noch kein Mandat der Nato, nur Gespräche – und trotzdem: Die Deutschen haben uns geholfen, insbesondere Generalleutnant Ingo Gerhartz war der Treiber dahinter. Vor einem halben Jahr war dort, wo sie jetzt das Camp sehen, eine reine Graswiese. Durch die Luftwaffe konnte all das in so kurzer Zeit aufgebaut werden. Auch, weil Deutschland die Ausrüstung mitgebracht hat. Das ist sensationell.

lettlands luftwaffenchef: „die ukraine wird im namen ihrer freiheit wohl etwas opfern müssen“

Viesturs Masulis (r) und Ingo Gerhartz, Generalinspekteur der Luftwaffe. Im März übernahm die Bundeswehr erneut das Air Policing an der Nato-Ostflanke und wird bis Ende November den Luftraum über Estland, Lettland und Litauen überwachen.

Rund ein Viertel der lettischen Bevölkerung sind ethnische Russen, die vor Jahrzehnten ihre eigenen Erfahrungen mit Deutschland gemacht haben. Gab es keine Bedenken vonseiten der Bevölkerung, dass die deutsche Luftwaffe jetzt hier in ihrem Land stationiert ist?

Absolut nicht. Die Menschen aus der Gegend sind sehr glücklich, dass die Deutschen hier sind. Ich lebe selbst in Lielvarde, viele Freunde von mir hier sind nicht im Militär. Von Zeit zu Zeit rufen sie mich an und fragen, ob der Lärm der Eurofighter gerade eine Gefahr bedeutet. Ich beruhige sie dann immer. Dazu muss ich eine lustige Geschichte erzählen: Genau um 8.00 Uhr in der Früh steigen die deutschen Eurofighter auf, um ihre Trainings zu absolvieren. Die Menschen hier haben bereits die deutsche Pünktlichkeit kennengelernt. Viele sagen, dass sie gar keine Uhren mehr verwenden, sondern sich nach den Starts der Jets richten – wenn es knallt, dann ist es Punkt 8.00 Uhr. Das ist natürlich lustig gemeint, aber eines Morgens hatten die Eurofighter fünf Minuten Verspätung. Da rief mich einer an und meinte, er sei nun zu spät dran, weil die deutschen Jets Verspätung hatten. Aber Spaß beiseite: Wir integrieren die deutsche Eurofighter-Präsenz wirklich in unser Gesellschaftsleben.

Das ist die Sicht der Menschen in Lettland. In Deutschland gibt es aber viele, die nicht wollen, dass deutsche Truppen im Rahmen der Nato hierher entsendet werden. Sie wollen keinen Konflikt mit Russland. Verstehen Sie diese Menschen?

Das ist eine politische Frage, auf die ich nur vorsichtig antworten möchte. Für mich ist das nicht zu akzeptieren, denn das macht die Nato als Organisation und gemeinsame Allianz schwächer. Wenn solche Diskussionen mehr werden, dann würde ich sagen, dass wir dem als westlich denkende Menschen entschieden entgegentreten müssen – nicht, indem wir ihnen den Mund verbieten, aber indem wir ihnen zeigen: Die Nato ist stark und zusammen sind wir noch stärker. Schauen Sie in die Ukraine: Sie wird zwar von rund 15 anderen Nationen militärisch und wirtschaftlich unterstützt, doch in Wahrheit ist sie allein und trotzdem stemmen sich die Ukrainerinnen und Ukrainer mutig gegen Russland – auch wenn sie so schwer und aggressiv attackiert werden. Die Nato ist viel größer und stärker und wir dürfen die russischen Narrative nicht glauben, wonach wir schwach sind. In Demokratien können wir die Kritiker nicht mundtot machen, aber wir müssen unsere Leistungsfähigkeiten ausschöpfen und offen zur Schau stellen.

Immer wieder wird auch über die Leistungsfähigkeit der Nato diskutiert. Wäre die Nato aktuell überhaupt stark genug für größere Konflikte oder erwarten Sie mehr Unterstützung für das Bündnis, etwa durch die USA oder Deutschland?

Die Nato ist momentan stärker als je zuvor. Vor zehn Jahren, als die Krim annektiert wurde, da haben wir als baltische Staaten die großen Nato-Staaten gewarnt, dass dies nur der Anfang ist und wir mehr Geld in unsere Kapazitäten investieren müssen. Doch es war kein Weckruf. Erst, als die Ukraine im Februar 2022 wirklich offen angegriffen wurde, war es ein Türöffner für alles. Jetzt sehen wir, wie die großen Investitionen von Nationen wie Deutschland getätigt werden, auch Finnland und Schweden sind der Nato beigetreten. Jetzt versteht jeder, dass wir unser Militärbudget erhöhen sowie mehr und mehr Soldaten trainieren müssen und das alles gemeinsam. Denn wenn wir alleinstehen, dann ist es ein schlechtes Signal an Russland. Noch nie gab es an der Ostflanke solch eine militärische Präsenz anderer Nationen.

lettlands luftwaffenchef: „die ukraine wird im namen ihrer freiheit wohl etwas opfern müssen“

Wolodymyr Selenskyj (r), Präsident der Ukraine, begrüßt Jens Stoltenberg, Generalsekretär der Nato, in Kiew.

Das klingt nach weiterer Aufrüstung. Wie wird Europa in militärischer Hinsicht dann in zehn Jahren aussehen?

Osteuropa wird militärisch viel stärker sein als jetzt – das ist keine Frage. Lettland ist beispielsweise Teil der Drohnen-Allianz für die Ukraine, aber wir werden sie auch für unsere nationalen Zwecke nutzen. Alle Länder der Ostflanke rüsten auf und das stärksten hochgerüstete Land Europas wird Polen sein. Sie investieren unglaubliches Mittel in ihr Militär. Dasselbe gilt aber auch für Rumänien, Bulgarien und uns als baltische Staaten. Wir werden von Russland dahingehend unter Druck gesetzt, denn Russland wird in den nächsten zehn Jahren die Einstellung gegenüber der westlichen Welt und den Ländern der Ostflanke nicht ändern. Niemand weiß, wie lange Putin regieren wird, aber auch nach seiner Ära wird Russland sich nicht ändern. Es könnte vielleicht kleine Abweichungen geben, aber es wird sich nichts großartig ändern. Deshalb müssen wir uns stärken und diese Stärke Russland gegenüber ununterbrochen zeigen. Das ist die einzige Chance, um Russland nicht auf die Idee kommen zu lassen, uns und andere Nato-Staaten anzugreifen. Wir müssen uns als Lettland weiter stärken, aber auch die Nato muss weiter aufrüsten, um Russland beim ersten Zentimeter eines Grenzüberschreitens, sofort zurückschlagen zu können.

Glauben Sie denn, dass Russland in den kommenden zehn Jahren wirklich einen Krieg gegen einen oder mehrere Staaten dieser sogenannten Ostflanke starten könnte?

Da muss man unterscheiden. Ich denke nicht, dass Russland einen offenen Krieg startet, wie das in der Ukraine passiert ist. Man darf natürlich niemals nie sagen, aber ich denke es nicht. Russland und Belarus sind als ein Gesamtgebilde zu sehen und sie werden weiterhin eine Menge an hybriden Wegen finden, um uns zu beschäftigen und die es uns nicht erlauben werden, dass wir uns zurücklehnen. Unser Ziel bleibt nicht einfach nur die Abschreckung, sondern das Steigern unserer Fähigkeiten – die Abschreckung ist dann die Konsequenz daraus, sodass uns unsere Feinde gar nicht angreifen können. Wir müssen stark genug sein, um Russland klarzumachen: Es gibt keinen Weg, um uns erfolgreich anzugreifen. Wir dürfen keinen Schritt zurückgehen, sonst kommt Russland auf dumme Gedanken. Wenn wir Frieden wollen, dann müssen wir auf den Krieg vorbereitet sein.

Sie haben als jemand, der mit zur obersten Spitze des Militärs im Baltikum gehört, natürlich ganz andere Einblicke. Daher am Ende noch eine Frage zur Ukraine: Wie wird der Krieg dort weitergehen?

Für mich ist es sehr schwer, das zu beantworten. Ich möchte eine Parallele zu 1939 ziehen, als Russland die Finnen angegriffen hat. Finnland hat einige Teile seines Territoriums verloren, aber sie erhielten im Gegenzug die Freiheit. Was ich jetzt sage, ist nur meine persönliche Meinung, nicht die unserer Streitkräfte, aber: Vielleicht wird es in der Ukraine ähnlich sein, indem sie im Namen ihrer Freiheit etwas opfern müssen. Sollte das so kommen und die Ukraine Land aufgeben müssen, so muss zwischen Russland und Nato vereinbart werden, dass die Ukraine sofort Teil der Nato werden kann. Das ist für mich das realistischste Szenario, denn Russland will sein Gesicht nicht verlieren.

Die Krim wird in Verhandlungen der schwierigste Teil, das ist klar. Wie es genau weitergehen wird, ist aber schwer zu sagen. Das hängt davon ab, wie es sich an der Front entwickelt. Jetzt sehen wir, dass es an einigen Teilen der ukrainischen Front wirklich schlecht aussieht. Ich will nicht sagen, dass die Front kurz vor dem Zusammenbruch steht, aber die Russen wollen vorrücken und sie rücken vor. Die Russen haben in ihrem Mund den Geschmack von Blut und sie werden immer aggressiver. Wenn die westliche Allianz aber wieder mehr Unterstützung schickt, mehr Initiative ergreifen kann, dann könnte es wieder spannend werden – sogar für die Krim. Vielleicht gibt es dann eine geteilte Krim-Halbinsel zwischen Russland und der Ukraine.

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