Cum-Ex-Skandal: Deutsche Chefermittlerin kündigt Job und kritisiert Justizsystem

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FILE PHOTO: Cologne prosecutor Anne Brorhilker attends the start of the trial against Hanno Berger who is accused for tax evasion between the years 2007 and 2013 within the so called ‘Cum-Ex’ scandal, at a regional court in Bonn, Germany, April 4, 2022. Picture taken April 4, 2022. REUTERS/Thilo Schmuelgen/File Photo

Wien – Der Steuerskandal rund um die Cum-Ex-Geschäfte beschäftigt seit Jahren die Gerichte. Nun verlässt mit Anne Brorhilker Deutschlands wichtigste Cum-Ex-Ermittlerin die Justiz. Brorhilker (50) hat laut Informationen von WDR Investigativ am Montagvormittag bei der Generalstaatsanwaltschaft eine “Bitte um Entlassung aus dem Beamtenverhältnis” eingereicht. Die Oberstaatsanwältin leitet die eigens für den größten deutschen Steuerskandal eingerichtete Hauptabteilung, die derzeit gegen mehr als 1700 Beschuldigte ermittelt. Geschätzte zwölf Milliarden Euro sollen die Cum-Ex-Geschäfte die Steuerzahler in Deutschland gekostet haben, DER STANDARD hat berichtet.

Worum geht es bei den Cum-Ex-Geschäften? Anleger, Banker, Berater und Aktienhändler haben Aktien im Kreis geschickt, und jede Partei hat sich die Kapitalsteuer für das Investment rückerstatten lassen, die sie zuvor aber gar nicht abgeführt hatte. In Summe waren diese Geschäfte ein ordentlicher Griff in die Staatskasse. Der Skandal flog 2018 auf und geht weit über die Grenzen Deutschlands hinaus. Etwas genauer ausgeführt: Bei Cum-Ex-Geschäften schieben Investoren zum Zeitpunkt rund um den Dividendenstichtag Aktien mit (“cum”) und ohne (“ex”) Ausschüttungsanspruch zwischen mehreren Beteiligten hin und her. Am Tag nach der Ausschüttung der Dividende fällt für den Besitzer der Aktien eine Kapitalertragssteuer (KESt) an. Diese kann jedoch nachher vom Steuerzahler wieder zurückgefordert werden.

Mindestens zwölf Länder betroffen

Auch in Österreich ermittelt die Justiz in dieser Causa. Die Schadenshöhe für Österreich soll bei über 80 Millionen Euro liegen. Der Cum-Ex-Trick wurde durch eine Gesetzeslücke ermöglicht, die inzwischen geschlossen ist. Indizien auf diese Steuerpraktik gab es immer wieder, wurden aber lange nicht weiterverfolgt. Der deutsche Bundesgerichtshof hat im Juli letztlich aber entschieden, dass solche Praktiken für den deutschen Fiskus als Steuerhinterziehung zu bewerten und damit strafbar sind. Von den Cum-Ex-Malversationen sind neben Österreich und Deutschland mindestens zwölf Länder betroffen, darunter auch die USA.

Brorhilker gelang es mit ihrem Team, Kronzeugen zu gewinnen, die erstmals über die verborgenen Geschäfte auspackten. Ihre Anklage führte 2019 zum ersten rechtskräftigen Urteil. Später brachten die Ermittler den einst in die Schweiz geflohenen “Mr. Cum-Ex” Hanno Berger in Deutschland vor Gericht. Der Steueranwalt wurde vor dem Landgericht Bonn zu acht Jahren Gefängnis rechtskräftig verurteilt.

Öffentliche Aufmerksamkeit erfuhren Brorhilkers Ermittlungen auch, weil sie bis in die hohe Politik führten. Die Erkenntnisse um die Hamburger Privatbank MM Warburg brachten schließlich auch Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) in Erklärungsnot, gegen den aber kein Anfangsverdacht besteht.

Am System gescheitert

Im Gespräch mit WDR Investigativ begründete Brorhilker ihre Entscheidung so: “Ich war immer mit Leib und Seele Staatsanwältin, gerade im Bereich von Wirtschaftskriminalität, aber ich bin überhaupt nicht zufrieden damit, wie in Deutschland Finanzkriminalität verfolgt wird. Da geht es oft um Täter mit viel Geld und guten Kontakten, und die treffen auf eine schwach aufgestellte Justiz.” Zudem könnten sich Beschuldigte oft aus Verfahren “schlicht herauskaufen, wenn etwa Verfahren gegen Geldbuße eingestellt würden”. Brorhilker fasst zusammen: “Die Kleinen hängt man, die Großen lässt man laufen.” Sie als einzelne Staatsanwältin könne daran wenig ändern.

Die Politik, so Brorhilkers Fazit, habe elf Jahre nach Bekanntwerden der ersten Cum-Ex-Fälle noch immer nicht hinreichend reagiert. Der Steuerdiebstahl sei längst nicht gestoppt, es gebe Nachfolgemodelle, wie bei einem “Hase-und-Igel-Spiel”. Grund seien fehlende Kontrollen, was bei Banken und auf den Aktienmärkten geschehe. Es brauche dringend mehr Personal und eine bundesweite Behörde zur Bekämpfung von Finanzkriminalität aus, die auch Steuervergehen verfolge. Brorhilker kündigte im Gespräch mit WDR Investigativ an, sich künftig als Geschäftsführerin der NGO Finanzwende für solche Ideen im Kampf gegen Finanzkriminalität einzusetzen. (bpf, 22.4.2024)

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