“Bedrohung für die Welt”: Internationale Medien zu Putins Wahlsieg
Kremlchef Wladimir Putin kann seine fünfte Amtszeit antreten. Die Wahlkommission sprach Putin ein Rekordergebnis von vorläufig knapp 88 Prozent der Stimmen zu. Damit legte der 71-Jährige um mehr als zehn Prozentpunkte im Vergleich zur Wahl von 2018 (76,7 Prozent) zu.
Die Wahlbeteiligung wurde mit über 74 Prozent angegeben – ebenfalls ein Rekord.
Wie die internationale Presse den Wahlsieg bewertet, lesen Sie im Folgenden:
Westen muss Flagge zeigen
The Independent, London
“Mit diesem erwartungsgemäß eindeutigen Ergebnis im Rücken werden Putin und der Kreml die Wahl als Zeichen der Unterstützung für den Krieg in der Ukraine werten. Und genau hier müssen auch die westlichen Länder Flagge zeigen, indem sie Kiew die Waffen, die Munition und die Mittel zur Verfügung stellen, die seine Streitkräfte zur Verteidigung gegen die russischen Truppen benötigen.
Wir sind dazu moralisch verpflichtet, denn die Ukraine kämpft im Wesentlichen für das übrige Europa. Aber es ist auch ein guter Weg, um die Fassade ins Wanken zu bringen, die Putin aufrechtzuerhalten versucht. Der Kreml mag in Russland das Narrativ kontrollieren, aber in der Ukraine kann er das nicht, so sehr er es auch versucht. Moskau kann nicht verheimlichen, dass Kriegsschiffe versenkt wurden oder es an der Front viele, viele Opfer gab. Je mehr Unterstützung die westlichen Verbündeten der Ukraine leisten, desto mehr wird Putins falsches Weltbild durchlöchert.”
Bedrohung für Europa und die Welt
Financial Times, London
“Er hat die politische Konkurrenz im eigenen Land zerschlagen und den Krieg in großem Stil auf den europäischen Kontinent zurückgebracht – mit einer hohen sechsstelligen Zahl von Toten und Verwundeten. All dies ist eine Tragödie – vor allem für die Menschen in der Ukraine und in Russland. Aber eine fünfte Amtszeit Putins ist auch eine Bedrohung für Europa und die Welt. Es ist nicht das erste Mal in der Geschichte Russlands, dass die Unterdrückung im eigenen Land Hand in Hand mit einer aggressiveren Außenpolitik geht. Die jüngste Wahl war eine noch größere Farce als ihre Vorgänger, da die meisten echten Konkurrenten entweder im Exil leben, inhaftiert oder tot sind.”
Sunday Times, London
“Die Scheinwahlen in Russland sichern Wladimir Putin eine weitere Amtszeit als Präsident. Es gab zwar einige Proteste in Wahllokalen, aber die drei Handlanger, die ebenfalls auf dem Wahlzettel standen, boten keine wirkliche Opposition. Der Russland-Experte Professor Mark Galeotti bezeichnete die Wahl denn auch als “eine besonders durchsichtige Farce”. In Putins Russland ist man entweder ein “Patriot”, der ihn unterstützt, oder ein Verräter. Und ernst zu nehmende Gegner werden unterdrückt oder ermordet, wie der heldenhafte Oppositionsführer Alexej Nawalny.“
Putin ist nicht die richtige Person, um Russland zu führen.
The Oberserver, London
„Putin ist nicht die richtige Person, um Russland zu führen. Er stellt sich selbst als Mann des einfachen Volkes dar, doch fehlt es ihm gänzlich an Anstand, Integrität und Ehre. Putin sollte wegen Kriegsverbrechen in Zusammenhang mit der Entführung ukrainischer Kinder auf der Anklagebank des Internationalen Strafgerichtshofs in Den Haag sitzen, anstatt für weitere sechs Jahre als Präsident gewählt zu werden. (…)
Diese Parodie einer Wahl wird, wenn überhaupt, für die zynisch-methodische Art und Weise in Erinnerung bleiben, mit der Putin und seine Kumpane dem Volk das Recht genommen haben, Russlands Führer frei zu wählen. Man wird sich auch an sie erinnern wegen der damit einhergegangen Drohungen, die Welt mit einem die Menschheit auslöschenden Atomkrieg zu überziehen.“
Neue Zürcher Zeitung, Zürich
“Es bestanden nie große Zweifel daran, dass Putin auch ohne Manipulationen nach wie vor von einer Mehrheit der Bevölkerung unterstützt wird. Der Charakter einer “politischen Spezialoperation”, die Ausschaltung jedes Risikos, verhinderte aber gerade das für eine Demokratie Entscheidende: eine freie Willensäußerung, eine Auswahl und einen offenen Ausgang. (…)
Der Umgang mit den Gegenkandidaten, die Repression und die Choreografie der Wahl durch die Präsidialverwaltung zeigten trotz der zur Schau gestellten Selbstgewissheit des Regimes, dass ein großer Aufwand nötig war, um dessen Glanz noch greller strahlen zu lassen. Putins Gegner wurden mit dem nun absehbaren Resultat von fast 90 Prozent bewusst zerschmettert. Für alle Andersdenkenden im Land bedeutet dieser Triumph der Machthaber nichts Gutes.”
Hospodarske noviny, Prag
“Das Ergebnis der sogenannten Präsidentenwahl in Russland war von vornherein klar. Die endgültigen Zahlen sind daher unwichtig. (…) Wichtig ist vor allem, was danach geschieht. Wird sich der russische Präsident Wladimir Putin für eine weitere Mobilmachung entscheiden? Wird er noch vor der US-Präsidentschaftswahl im November neue entscheidende Schritte im Krieg gegen die Ukraine unternehmen oder wird er weiter geduldig darauf warten, dass die westliche Unterstützung für Kiew abnimmt und die Ukraine ausblutet?
Die Hoffnungen, dass die Russen während der Stimmabgabe in größerer Zahl ihren Widerstand gegen das Putin-Regime zeigen könnten, haben sich zerschlagen. Statt Protesten waren vor den Wahllokalen lange Schlangen loyaler Bürger zu sehen. Dem Regime ist es gelungen, besonders in der jungen Generation einen neuen Menschen zu formen, eine Art “homo putinicus”. Dieser ist dem Anführer seines Staates für alles dankbar und hat sich daran gewöhnt, dass Krieg Teil der täglichen Dosis an Regierungspropaganda ist.”
Russland als existenzielle Bedrohung
El Mundo, Madrid
“Die (…) Wahl sollte einen Krieg politisch absichern, in dem die Zeit zugunsten des Kremls spielt, im Vertrauen auf die Erosion der westlichen Verbündeten, die sich im jüngsten Zusammenstoß zwischen Macron und Scholz zeigt. Der französische Präsident ist zu einem Pfeiler einer uneingeschränkten Verteidigung der Ukraine geworden, die Russland davon abhält, europäischen Boden anzugreifen: Daher ist er entschlossen, keine roten Linien zu ziehen und sogar die Entsendung von Soldaten anzusprechen. Der deutsche Bundeskanzler lehnt eine direkte Intervention in einen Krieg ab, in dem er sogar an der Lieferung von Taurus-Raketen an die Regierung Selenskij zweifelt. Der Zusammenbruch der europäischen Einheit – die am Freitag auf dem Berliner Gipfel teilweise wiederhergestellt wurde – ist nur für Putin eine gute Nachricht, der noch einen weiteren internationalen Faktor zu seinen Gunsten hat: die Möglichkeit einer Rückkehr seines Verbündeten Donald Trump ins Weiße Haus.
Da die interne Opposition völlig erstickt (…) und die militärische Initiative wiederhergestellt ist, befindet sich Putin in seinem stärksten Moment seit zwei Jahren. Dieses Szenario zwingt Europa, mit allen Mitteln die Verteidigung Kiews gegen ein Russland zu gewährleisten, das zu einer existenziellen Bedrohung geworden ist. (…) Putins Niederlage ist darüber hinaus der einzig mögliche Weg für einen Übergang, der den Aufbau einer Demokratie, die Aufhebung von Sanktionen und die Wiedereingliederung Russlands in die internationale Gemeinschaft ermöglicht.”
Corriere della Sera, Rom:
“Die Spezialoperation Wahlen ist vorbei. Wladimir Putin hat seine Verwandlung in einen Kriegszaren vollendet, an der Spitze eines Landes, dessen Zukunft er im ewigen Konflikt sieht. Das war der Zweck dieses gewollten Plebiszits, das dem Kreml sehr am Herzen lag: Ein zunehmend autoritäres und personalisiertes politisches System braucht regelmäßig eine Bestätigung, wie populär sein Führer ist.
Unmittelbar nach jeder Wiederwahl wechselt Putin ein paar Figuren auf seinem Schachbrett aus. Im Anmarsch ist eine noch loyalere und noch skrupellosere Generation als die vorige. (…) Der innere Kreis, der sogenannte St. Petersburger Clan, wird hingegen unverändert bleiben. Alle, die sich in der Machtvertikale Putins befinden, wissen sehr wohl, dass ihr Vermögen davon abhängt, dass sie ihre derzeitige Rolle behalten. Die Treuen des Zaren. Nicht zuletzt, weil dessen politisches Ende nicht in Sicht ist.”
Wettbewerb um Wähler-Mobilisierung
Nesawissimaja Gaseta, Moskau:
“Die Präsidentenwahl hat einen echten Konkurrenzkampf der Regionen und Konzerne um die höchste Wahlbeteiligung gezeigt. (…) Die regionalen Behörden drängten die treue Wählerschaft (von manchen Experten herablassend als abhängige Wählerschaft bezeichnet), zur Wahl, während Großunternehmen, städtische Betriebe, Versorgungsunternehmen und andere Großarbeitgeber diese direkt in die Wahllokale lockten.
Es war deutlich zu erkennen, dass es zwischen den Regionen einen Wettbewerb darum gab, wer von ihnen die Liste der Rekorde bei der Wähler-Mobilisierung anführt. Befeuert wurde dies zweifellos durch Fälle von Rowdytum in den Wahllokalen seitens einzelner Bürger, die entweder aufgrund ihres Alters nicht bei Sinnen waren, durch feindliche Propaganda getäuscht wurden oder psychische Probleme haben.
Allein am ersten Tag kam es zu mehr als zwei Dutzend Zwischenfällen. Das Gießen von grüner Farbe in die Wahlurnen könnte eine Reaktion auf die bekannten Fälle gewesen sein, in denen Oppositionelle mit solcher Flüssigkeit übergossen wurden. Es war auffällig, dass die Staatspropaganda diese Fälle eifrig verbreitete, was die Stimmung zusätzlich aufheizte. (…) Die politischen Proteste an den Wahllokalen am Mittag des 17. März sowie die Randale einiger Bürger haben die Mobilisierung der Loyalisten am Ende nur noch verstärkt.”
Iswestija, Moskau
“Die Präsidentenwahl in Russland verlief unter einer Rekordbeteiligung: Vorläufigen Angaben nach haben sich 2024 mehr als 74 Prozent der Bürger dafür entschieden, ihre Stimme abzugeben. Das spricht für die Konsolidierung der russischen Gesellschaft vor dem Hintergrund äußerer Bedrohungen. Gleich mehrere Mitglieder der Zentralen Wahlkommission erklärten der “Iswestija”, dass die hohe Aktivität bei der Wahl auch auf die Handlungen des Kiewer Regimes zurückzuführen sei, das seine Angriffe auf grenznahe Territorien während der Wahltage verstärkt hat. (…)
Die Rekordergebnisse erklären Experten mit dem Phänomen des “Zusammenhalts um die Flagge” – wenn die Bürger eines Landes, das Teil eines militärischen Konflikts ist, sich um die herrschende Führung konsolidieren.”
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