„Alle Genossen aufgerufen, sich jetzt selbst zu schützen, so gut es geht“
Georg Maier ist Innenminister in Thüringen und Vorsitzender der Landes-SPD. Seine Partei ist seit Langem kriminellen Attacken und Angriffen ausgesetzt. Im Interview erklärt er, wie die Genossen sich schützen – und was er der Innenministerkonferenz empfehlen wird.
Georg Maier (SPD), Innenminister Thüringens Martin U. K. Lengemann/WELT
Georg Maier, 57, ist seit sieben Jahren Innenminister in Thüringen. Mit Rechtsextremisten musste er sich von Amts wegen schon oft auseinandersetzen. Bei der Landtagswahl am 1. September 2024 tritt er als Spitzenkandidat der SPD an.
WELT: Herr Maier, hat Sie die Brutalität des Angriffs auf den Spitzenkandidaten der sächsischen SPD bei der Europawahl, Matthias Ecke, überrascht?
Georg Maier: Überrascht hat es mich nicht, weil ich seit Jahren davor gewarnt habe, wie die politische Polarisierung voranschreitet. Aber natürlich hat mich die Tat sehr betroffen gemacht. Matthias Ecke wurde schwer verletzt. Das war ein Schock.
WELT: Es war nicht die erste Attacke auf Grüne und Sozialdemokraten, die Kriminalstatistik zeigt einen Anstieg solcher Taten. Haben Sie das Gefühl, dass Sie inzwischen Freiwild sind?
Maier: So weit würde ich jetzt nicht gehen. Ich habe aber alle Genossinnen und Genossen dazu aufgerufen, sich jetzt selbst auch zu schützen, so gut es geht.
WELT: Und zwar wie?
Maier: Man sollte nicht mehr allein Plakate aufhängen, sondern nur in Gruppen. Auch nicht nachts, sondern zu belebten Tageszeiten. So ein Appell ist eigentlich ein Armutszeugnis für eine Demokratie. Im letzten Wahlkampf habe ich mich beim Plakatehängen auch noch abends allein auf den Weg gemacht. Heute würde ich das nicht mehr tun.
WELT: Sie sind ja jetzt im Dauerwahlkampf: am 26. Mai Kommunalwahlen, am 9. Juni die Europawahl und dann die Landtagswahl am 1. September. Womit müssen Sie rechnen, wenn Sie auf die Straße gehen oder einen Infostand machen?
Maier: Man sieht ja, dass man mit dem Schlimmsten rechnen muss, also mit körperlichen Angriffen. Ich befürchte auch, dass es nach diesem Angriff in Dresden Nachahmer geben wird, solche Situationen schaukeln sich oft hoch. Die Sprache der politischen Auseinandersetzung verroht seit Jahren, daran trägt die AfD einen entscheidenden Anteil. Es geht gegen „die da oben“, inzwischen scheinen für Rechtsextremisten alle Mittel erlaubt. Die Hemmschwelle für Gewalttaten wird immer niedriger. Und bei der Stimmungsmache war leider auch die CDU nicht ganz unbeteiligt, die vor allem die Grünen immer wieder als politische Gefahr gebrandmarkt haben.
WELT: Sie sind nicht nur SPD-Chef in Thüringen, sondern auch Innenminister des Landes. Halten Sie die Gewaltattacken für zufällig oder steckt eine Strategie dahinter?
Maier: Manche Leute handeln aus dem Affekt heraus, sie reißen Plakate ab, die ihnen nicht gefallen. Damit haben wir auch zu kämpfen. Aber bei dem Angriff auf Matthias Ecke in Dresden kann man nicht von Zufall sprechen. Ich halte es für wahrscheinlich, dass sich die Täter verabredet haben. Sollten die Ermittlungen das bestätigen, macht das die ganze Sache viel brisanter und viel gefährlicher.
WELT: Wie wirken sich solche Vorfälle auf die Stimmungslage in Ihrer Partei aus?
Maier: Natürlich hinterlässt das bei den Betroffenen traumatische Spuren. Die SPD hat in ihrer Geschichte einschlägige Erfahrungen mit der Bedrohung und Verfolgung durch Rechtsextremisten, nicht zuletzt durch die Nationalsozialisten. Solche Angriffe berühren die Seele der Partei.
WELT: Wie meinen Sie das?
Maier: Warum bin ich Sozialdemokrat? Auch und gerade, weil ich gegen den Faschismus kämpfe. Diejenigen, die diese Taten begehen, können sich sicher sein, dass sich die Sozialdemokratie nicht einschüchtern lässt. Wir Sozialdemokraten erfahren große Solidarität in diesen Tagen, von allen demokratischen Parteien. Letztlich richten sich solche Angriffe nicht nur gegen die SPD, sondern gegen die gesamte Demokratie.
WELT: Im Februar wurde dem SPD-Politiker Michael Müller das Haus angezündet. Auch hier wird ein rechtsextremer Hintergrund vermutet, die Ermittlungen dauern an. Wie hat sich das in Ihrer Partei ausgewirkt?
Maier: Auch hier gab es große Unterstützung, auch für Müller persönlich. Aber ich weiß aus persönlichen Gesprächen mit ihm, wie sehr ihn das getroffen hat. Das ist für ihn auch eine schwere persönliche Zäsur, ein Trauma. Auch Matthias Ecke wird das noch eine ganze Weile mit sich herumtragen müssen. Wer sich heute politisch engagiert, der weiß, dass er und seine Familie auch Risiken eingehen. Wir verstecken uns ja nicht, wir kämpfen mit offenem Visier für unsere Ideen, unsere Köpfe sind auf Plakaten sichtbar. Das braucht inzwischen auch Mut.
WELT: Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) hat für Dienstag zu einer Sonderkonferenz der Innenminister eingeladen, um über weitere Schutzmaßnahmen zu beraten. Ist das mehr als Symbolik?
Maier: Das glaube ich schon. In Thüringen haben wir schon viel getan, darüber werde ich den Kolleginnen und Kollegen berichten. Seit einigen Jahren gibt es etwa für Kommunalpolitiker eine Telefonhotline. Anrufe werden sofort bei der Einsatzzentrale aufgeschaltet und prioritär behandelt, sodass sich betroffene Kommunalpolitiker dann auch Schutz suchen können, wenn sie jetzt ganz konkret gefährdet sind.
Aber es trifft ja auch Akteure der Zivilgesellschaft, auch Journalisten, die dann visualisiert und angegangen werden. Auch Vertreter von Bündnissen, die hier zu Demonstrationen für Demokratie aufgerufen haben. Auch die werden sehr konkret bedroht. Für die sind wir da, wir lassen Menschen, die bedroht werden, nicht allein, sondern knöpfen uns die Täter vor.
WELT: Was kann der Staat noch tun?
Maier: Wir gewähren Polizeischutz, etwa wenn Rechtsextremisten zu Aufmärschen vor den Privathäusern von Politikern aufrufen. Auch die AfD beteiligt sich oft an solchen unseligen Aktionen. Da bieten wir konkrete Hilfe an. Wir stocken in Thüringen den Staatsschutz personell auf. Und der Verfassungsschutz beobachtet die Bedrohungslage genau. Wir haben aus dem Innenministerium kürzlich alle Landtagsabgeordneten angeschrieben und Gespräche angeboten. Wir erhöhen im Bedarf die Streifentätigkeit. Einen Angriff auf das SPD-Büro in Suhl konnte die Polizei aufklären, dahinter steckte ein stadtbekannter Provokateur.
WELT: Der vermeintliche Täter, der sich in Dresden gestellt hat, war der Polizei dagegen nicht bekannt.
Maier: Auch die Sicherheitsbehörden können keine hundertprozentige Sicherheit gewähren. Die Demokratie muss von der ganzen Gesellschaft verteidigt werden, nicht nur vom Staat. Der Überfall von Dresden hat wieder einmal gezeigt, wie ernst die Lage ist.