Zwischen Radwegestopp und U-Bahnausbau: Was hat Manja Schreiner als Berliner Verkehrssenatorin erreicht?
Nach der Aberkennung ihres Doktortitels ist Berlins Verkehrssenatorin zurückgetreten. Mit einem anderen Knall, dem Radwegestopp, war Schreiner ins Amt gestartet. Eine Bilanz.
Manja Schreiner (CDU), Senatorin für Mobilität, Verkehr, Klimaschutz und Umwelt, bei der Eröffnung der Berliner Brunnensaison, am Feuerwehrbrunnen am Mariannenplatz. (Archivbild)
Sichtlich getroffen tritt Manja Schreiner (CDU) am Dienstagvormittag vor die Presse, um ihren Rücktritt zu verkünden. Nachdem die Universität Rostock ihr den Doktortitel aberkannt hat, erklärt sie im Köllnischen Park vor ihrer bisherigen Dienststelle, den Regierenden Bürgermeister um ihre Entlassung aus dem Amt als Verkehrssenatorin gebeten zu haben.
„Das tue ich sehr schweren Herzens, denn ich hätte nur zu gerne mit all meiner Kraft im Sinne der Berlinerinnen und Berliner diese Stadt weiter gestaltet“, sagt Schreiner. Was aber bleibt von diesem einen Jahr als Verkehrssenatorin hängen? Eine Bilanz in fünf Punkten.
1. Der „Radwegestopp“ und die Folgen
Mit einem Knall geht Manja Schreiner, mit einem Knall ist sie in ihr Amt gestartet: Am 15. Juni 2023, Schreiner ist gerade eineinhalb Monate Senatorin, verschickt eine Mitarbeiterin aus der Senatsverkehrsverwaltung eine folgenschwere E-Mail an den Bezirk Lichtenberg. Darin wird um die „vorübergehende Aussetzung der Umsetzung von angeordneten Projekten“ gebeten, wenn für einen Radweg Fahrstreifen oder Parkplätze wegfallen. „Der Wegfall eines Stellplatzes reicht schon aus“, heißt es. Es ist der Auslöser der Debatte um einen möglichen Radwegestopp in Berlin.
Später zeigt sich, dass die Mail im Detail falsch war. Schreiners Verwaltung lässt die bestehenden Planungen nur überprüfen. Die allermeisten Strecken werden nach rund einem Monat doch freigegeben. Von einem Stopp im Sinne eines Endes aller Radwegplanungen kann nicht die Rede sein. Ganz wird die Senatorin den Begriff und das Stigma als oberste Verkehrswende-Verhinderin des von der Autofahrerpartei CDU geführten Senats dennoch nie mehr los.
Die harsche Kritik von Opposition und Radaktivisten nagt an ihr, auch weil sie sie als ungerecht empfindet. Richtig ist: Eine neue Hausleitung hat das Recht, laufende Projekte zu überprüfen. Zumal sich immer wieder gezeigt hat, dass Schreiners grüne Vorgängerinnen Regine Günther und Bettina Jarasch Radwege auch zulasten von Fußgängern und öffentlichem Nahverkehr durchgedrückt haben. Zudem will auch Schreiner Radwege bauen, kündigt sogar mehr an, als der Vorgängersenat geliefert hat.
Allerdings hat der Stopp langfristige Auswirkungen. Bei vielen Strecken warten die Bezirke doch länger als angekündigt auf Freigaben. Die fehlenden Monate führen dazu, dass etliche Strecken anders als geplant nicht mehr 2023 fertig geworden sind.
Berlin baut unter Schreiners Führung 2023 26 Kilometer. Ein Jahr zuvor waren es 26,5 Kilometer. Doch die Senatorin kündigt mehr für 2024 an.
Allerdings: Die Verzögerungen aus dem ersten Jahr wirken noch immer nach. Die Strecken, die 2023 nicht fertig wurden, belegen nun 2024 die zur Verfügung stehenden Haushaltsmittel. Weil die Etatposten für Radwege zwar nicht gekürzt, aber auch nicht gewachsen sind, fehlt das Geld für zusätzliche Projekte. Für neue Strecken gebe der Senat kein Geld frei, klagen mehrere Bezirke. Der Radwege-Ausbau bleibt dadurch unter seinen Möglichkeiten.
2. Tempo 50 statt 30 auf Hauptstraßen
Für Aufregung sorgte Schreiner auch mit der Ankündigung, Tempo 30 auf den Berliner Hauptstraßen wieder abschaffen zu wollen. Auf insgesamt 33 Abschnitten soll künftig wieder Tempo 50 gelten, so der Plan der Senatorin.
Begründet hat die CDU-Politikerin den auch von ihrer Partei forcierten Schritt mit verbesserten Schadstoffwerten entlang der Strecken. Damit entfalle in den meisten Fällen die Begründung für Tempo 30.
Fraglich ist, wie nachhaltig Schreiners Plan ist. Dass die Luft durch Tempo 50 zumindest wieder etwas schlechter werden dürfte, musste zuletzt aber auch Schreiners Verwaltung zugeben. Zudem hat die EU erst kürzlich deutlich schärfere Grenzwerte für Luftschadstoffe beschlossen, die europaweit spätestens 2030 eingehalten werden müssen. Aktuell würden alle betroffenen Hauptstraßen dieses Limit reißen. Künftig könnten die Tempo-30-Schilder also wieder zurückkommen.
Darauf, dass bei dem Vorgehen der Plan im Vordergrund stehen dürfte, das von vielen Autofahrern als Gängelung empfundene Tempolimit in der Stadt wieder abzuschaffen, lässt auch schließen, dass sich Schreiners Haus mit der Erarbeitung des Lärmaktionsplans Zeit lässt. Zu viel Lärm auf den Straßen wäre neben der Luftqualität ein weiterer, rechtlich zulässiger Grund, die Geschwindigkeit zu beschränken. Bislang zeigt das CDU-geführte Haus in dieser Hinsicht jedoch wenig Elan.
3. Der Autoverkehr bleibt zäh
Schreiner und viele Autofahrer verbinden mit mehr Tempo 50 auf Hauptstraßen die Hoffnung, dass der Kfz-Verkehr schneller und flüssiger fließt. Ein erklärtes Ziel der Senatorin von Tag eins an. Jedoch hat sie dabei nicht geliefert.
Die Idee, mehr Grüne Welle auf Hauptstraßen einzuführen, musste Schreiner aufgeben. Wie sich bei einer Überprüfung nach Amtsübernahme herausstellte, gibt es aktuell schlicht keine Verbesserungsmöglichkeit. „Da ist wenig zu machen. Das Thema ist bereits ausgereizt“, sagte sie im Tagesspiegel-Interview.
Baustellen kosten Autofahrern die meiste Zeit. Doch auch ihren Plan einer besseren Baustellenkoordination hat Schreiner in ihrer kurzen Amtszeit nicht umsetzen können. Ihr sei es nicht gelungen, „den Hebel umzulegen“, gab sie kürzlich bei einem Termin zu.
4. Nahverkehr: Zwischen Tramzweifeln und U-Bahn-Ausbau
So groß in Berlin der Streit zwischen Auto- und Radfahrern ist, auf ein Thema können sich fast alle in der Hauptstadtpolitik einigen: den Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs. Auch Manja Schreiner hat sich dazu bekannt. Wenngleich mit anderen Prioritäten als ihre grünen Vorgängerinnen. Im Fokus steht für Schwarz-Rot der U-Bahnausbau.
Ein Amtsjahr ist bei diesen Großprojekten nichts. Dennoch wurden zumindest die Planungen für mehrere Strecken unter Schreiners Führung angestoßen oder weiterverfolgt: die U3 zum Mexikoplatz, die U8 zum Märkischen Viertel, die U7 zum BER und zur Heerstraße-Nord und die Verlängerungen der U2 und U9 ins nördliche Pankow. Und zudem die Idee, in ferner Zukunft doch noch eine U-Bahnlinie U10 vom Alexanderplatz nach Weißensee zu bauen.
Weniger Unterstützung erhielt unter Schreiners Ägide der Ausbau des Tramnetzes. Drei geplante Strecken ließ sie nach Amtsantritt auf ihre Verträglichkeit für den Autoverkehr hin überprüfen. Nur eine davon, die M10-Verlängerung von der Warschauer Straße zum Hermannplatz, kann bislang wie geplant fortgesetzt werden.
Bei der Verlängerung der M2 in den Blankenburger Süden wird die Strecke früher gestoppt. Sie soll nicht mehr bis zum S-Bahnhof Blankenburg führen – zugunsten eines entlang der Strecke liegenden Mischgebiets aus Einfamilienhäusern und Lauben. Auch der Ausbau der M3 vom Alexanderplatz zum Kulturforum hängt wegen der umstrittenen Linienführung über die teils enge Leipziger Straße weiter in der Schwebe. Verzögerungen drohen.
Überraschend deutlich hat sich Schreiner dafür gegen den Bau einer Magnetschwebebahn geäußert, obwohl das Projekt einzig von ihrer Partei vorangetrieben wird.
5. Eine Senatorin im Kreuzfeuer
Schreiners Aussagen zur Magnetschwebebahn fallen auch deshalb auf, weil nicht selten der Eindruck entstand, die wichtigen Entscheidungen zur Verkehrspolitik treffen andere in der CDU, nicht jedoch die Senatorin. Beim Thema Tempo 50 auf Hauptstraßen wirkte sie zuweilen wie eine Getriebene des CDU-Fraktionschefs Dirk Stettner. Auch die verkehrspolitische Idee einer Magnetschwebebahn kam nicht von ihr.
Auch die Erarbeitung des nächsten Abschnitts des Mobilitätsgesetzes hat die CDU-Fraktion ihr aus der Hand genommen. Ein ungewöhnlicher Schritt. Alle anderen Abschnitte zuvor waren aus der Fachverwaltung erarbeitet worden.
Bei der Verkehrspolitik das Auto stärker in den Blick nehmen, zugleich Radfahrer und Fußgänger nicht komplett verschrecken: Schreiners Job war ein Balance-Akt. Ständig unter Beobachtung einer großen, kritischen Öffentlichkeit. Jetzt muss ihn jemand anderes machen.