Wie die Nato auf zunehmende Attacken Russlands reagiert
Brüssel. Auf vielen Feldern und in einer ganzen Reihe von Mitgliedsländern sieht sich die Nato hybriden Angriffen ausgesetzt. Jetzt wurde bekannt, dass Russland auch hinter einer Cyberattacke auf die SPD stehen soll. Die Nato kündigt an, verstärkt gegen diese Angriffe vorzugehen.
Im Januar 2023 griffen Hacker E-Mail-Konten der SPD an. Die Bundesregierung macht jetzt „eindeutig“ Russland dafür verantwortlich. (Symbol, Archiv)
Gerade hatte der britische Verteidigungsminister Grant Shapps bei einem Polen-Besuch vor der Bedrohung durch Russland gewarnt und deshalb eine Erhöhung der Verteidigungsausgaben angekündigt, als auf dem Rückflug seine Regierungsmaschine den Satellitenkontakt verlor. Es mag ein Zufall gewesen sein. Oder war es wieder eine hybride Attacke Russlands, die Unruhe und Verunsicherung im Nato-Gebiet stiften sollte? Seit dem Sommer vergangenen Jahres sollen jedoch nach internen britischen Erhebungen mehrere zehntausend Flüge im nordosteuropäischen Raum von Störungen der GPS-Systeme betroffen gewesen sein. Das macht die Mutmaßung von Zufall zu einem erkennbaren Muster. Und als Quelle identifizierte auch das deutsche Verteidigungsministerium Störanlagen im Raum Petersburg. Angesichts der zunehmenden Intensität hat nun erstmals auch die Nato darauf reagiert.
Der Nordatlantikrat als wichtigstes Entscheidungsgremium des Bündnisses sah sich veranlasst, seine tiefe Besorgnis über „bösartige Aktivitäten“ Russlands zum Ausdruck zu bringen. Die Nato bezieht sich auf Angriffe gegen Deutschland, Estland, Litauen, Polen, Tschechien und Großbritannien. Sie seien „Teil einer intensivierten Kampagne von Aktivitäten“ und stellten eine „Bedrohung für die Sicherheit der Bündnispartner“ dar. Die am Donnerstagabend veröffentlicht Erklärung nennt keine konkreten Einzelheiten, verurteilt jedoch insbesondere Sabotageakte, Gewaltakte, Cyber- und elektronische Störungen, Desinformationskampagnen und andere hybride Operationen.
Nachdem Bundesaußenministerin Annalena Baerbock und Bundesinnenministerin Nancy Faeser Russland als Täter von Cyberangriffen auf die SPD und Unternehmen in Deutschland öffentlich und zweifelsfrei markiert hatten, erklärte der Nordatlantikrat am Freitag in einer weiteren Erklärung seine Solidarität mit dem attackierten Land und verwies auf ähnliche Aktivitäten gegen Tschechien. „Wir verurteilen scharf die bösartigen Cyber-Aktivitäten, die unsere demokratischen Institutionen, nationale Sicherheit und freie Gesellschaft unterminieren sollen“, unterstrich das Bündnis.
Baerbock hatte bereits angekündigt, dass die russischen Attacken „nicht ohne Konsequenzen bleiben“ würden. Das Spitzengremium der Nato entschied in Brüssel, die Mitgliedsstaaten würden „einzeln und gemeinsam“ auf die Bedrohung reagieren. „Wir werden unsere Widerstandsfähigkeit weiter stärken und die uns zur Verfügung stehenden Instrumente anwenden und verbessern, um russischen hybriden Aktionen entgegenzuwirken und sie zu bekämpfen,“ hieß es in der Nato-Erklärung wörtlich. Ließ dieser erste Satz noch offen, ob die Nato nun zu offensiven Gegenmaßnahmen greifen würde, schränkte die zweite Feststellung dies ein: „Wir werden sicherstellen, dass das Bündnis und die Verbündeten bereit sind, hybride Aktionen oder Angriffe abzuschrecken und uns dagegen zu verteidigen.“
Auf die Kapitäne von Flugzeugen und Schiffen kommen angesichts der vermehrten Störungen über Minuten, Stunden und vereinzelt auch Tage hinweg besondere Vorkehrungen zu. Die finnische Fluggesellschaft Finnair stellte für einen Monat sämtliche Flüge nach Tartu in Estland ein, nachdem mehrere Maschinen wegen des GPS-Ausfalls nicht mehr hatten landen können. Der dortige Flughafen hat mit der Installation eines GPS-unabhängigen Systems begonnen, um den Anflug der Maschinen in niedriger Höhe koordinieren zu können.
Die besondere Brisanz liegt zum einen in dem großen Bereich, der von den GPS-Störungen aus Kaliningrad betroffen ist und bis in den Nordosten Deutschlands reicht. Zum anderen wurde neben dem „Jamming“, also dem Stören des GPS-Signals, auch bereits mehrfach ein technisch wesentlich aufwendigeres „Spoofing“ registriert. Darunter verstehen die Experten eine Fälschung der GPS-Daten. Den Piloten wird also suggeriert, in ganz anderen Regionen und Flughöhen unterwegs zu sein. Damit erhöht sich das Risiko von gefährlichen Situationen.
Die Vorfälle, in denen sich russische Maschinen dem Nato-Luftraum nähern oder gar in ihn eindringen, hat seit dem Beginn des Angriffskrieges drastisch zugenommen. Im Baltikum steigen inzwischen im Schnitt täglich Abwehrjets des Bündnisses in Alarmstarts auf. Dreimal hat Russland mit Marschflugkörpern bei Angriffen auf den Westen der Ukraine bereits polnischen Luftraum verletzt.
„Wir sollten endlich begreifen, dass wir längst von Russland angegriffen werden“, schlussfolgert der CDU-Außenexperte Roderich Kiesewetter daraus. Er regt an, über Gegenmaßnahmen nachzudenken, sich etwa auf die Militäreinrichtungen in Kaliningrad zu fokussieren oder das Satellitensystem Russlands zu stören. Auch Luftraumverletzungen könnten konsequent geahndet werden, etwa durch den Abschuss von Flugkörpern über Nato-Gebiet, mit denen Russland Ziele in der Ukraine angreift. „Russland lässt sich nur durch Stärke und Konsequenz zu einer Handlungsänderung bewegen“, stellt Kiesewetter fest. Die Nato solle deshalb auch „mit Stärke und nicht mit Selbstabschreckung“ reagieren.
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