Warum Christian Lindner überraschend sein Veto gegen das Rentenpaket einlegte
Berlin . Zu Wochenbeginn stand die Ampelkoalition fast vor dem Aus: FDP-Chef Lindner hatte Kanzler Scholz die rote Karte gezeigt, indem er sein Veto gegen das Rentenpaket II einlegte. Die Ampel-Spitzen konnten das Feuer zwar rasch löschen. Doch was bleibt, ist der Eindruck eines überspannten, fragilen und überforderten Bündnisses.
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD, rechts), Vize-Kanzler Robert Habeck (Grüne) und Finanzminister Christian Lindner (FDP, vorn mit dem Rücken) am Mittwoch im Kabinett nach dem Koalitionsbeben.
Fast 24 Stunden lang vom Montag, 17 Uhr, bis Dienstag, kurz nach 16 Uhr, wussten die Ampel-Spitzenleute nicht mehr 100-prozentig, ob ihre Regierungskoalition wirklich halten würde. Für SPD und Grüne „völlig überraschend“, wie es aus beiden Parteien hieß, hatte FDP-Chef Christian Lindner seinen Staatssekretär Steffen Saebisch angewiesen, am Montagnachmittag den für Mittwoch geplanten Kabinettsbeschluss zum Rentenpaket II zu blockieren. Dabei hatte der Bundesfinanzminister den Gesetzentwurf erst Anfang März gemeinsam mit Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) vorgestellt – damals noch galt dieser Auftritt als ein Symbol für die wieder erlangte Kompromissfähigkeit der fragilen und dauerstreitenden Ampel.
Am Dienstagnachmittag, nach einem etwa dreistündigen Spitzengespräch zwischen Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), Vize-Kanzler Robert Habeck (Grüne) und Lindner, gab es dann die Entwarnung: Das Trio habe sich geeinigt, das Rentenpaket doch noch im Mai unverändert vom Kabinett zu beschließen. Gleichzeitig hieß es aber aus Kreisen des Finanzministeriums: „Es besteht Einigkeit, dass die teils exorbitanten Forderungen der Ressorts für den Bundeshaushalt 2025 so nicht akzeptiert werden können.“ Alle Vorhaben müssten „neu in den finanziellen Rahmen eingeordnet“ werden. Dazu würden jetzt Gespräche mit den Ministerien geführt.
Auch wenn es dem Ampel-Trio gelang, das Feuer rasch wieder zu löschen, so bleibt doch dieser Eindruck zurück: Lindner hatte erstmals gegen den Bundeskanzler gemeutert, dem eine dauerhaft stabile gesetzliche Rente ein besonderes Anliegen ist. Der FDP-Chef hatte den Aufstand gegen Scholz geprobt und dem Kanzler damit signalisiert, dass er auch das Scheitern der Ampel riskieren würde, wenn die Koalitionspartner seinen strikten Haushaltskurs nicht respektieren. Lindner nahm das Rentenpaket zur Geisel, weil er offenbar nicht mehr ganz sicher war, ob Scholz ihm Rückendeckung geben würde, wenn es in diesen Wochen darauf ankommt, den Haushalt für 2025 aufzustellen. Und zwar ohne die Schuldenbremse auszusetzen. Bisher hatte Lindner den Kanzler im Ringen um die Schuldenbremse auf seiner Seite. Doch Scholz steht unter massivem Druck seiner Partei und der SPD-Fraktion, als Ausweg aus der Mittelknappheit mehr Schulden durchzusetzen. Auch die Grünen wollen das – und beide Parteien bringen es schließlich auf erheblich mehr Gewicht als der kleinste Koalitionspartner, der aber mit dem Finanzminister den Haushaltskurs wesentlich bestimmt.
In diesem Machtkampf hat sich der Kanzler am Ende nur scheinbar durchgesetzt. Zwar bleibt es nun dabei, dass die Koalition noch im Mai das Rentenpaket beschließen soll, das auch künftigen Rentnern bis 2039 ein Rentenniveau von 48 Prozent des Durchschnittslohns verspricht. Doch Lindner hat im Haushaltspoker vorerst erreicht, dass sich SPD und Grüne seinem Spardiktat beugen. Vor allem SPD-geführte Ministerien hatten Anfang Mai Ausgabenforderungen angemeldet, die deutlich über der Vorgabe Lindners lagen. Dies gilt für das Arbeits-, Verteidigungs-, Innen- und Entwicklungsministerium. Von den Grünen-geführten Häusern fiel allein das Außenministerium von Annalena Baerbock mit überhöhten Mehrforderungen negativ auf. Zusammengenommen liegen die Zusatzwünsche um etwa 15 bis 20 Milliarden Euro über dem, was Lindner vorgegeben hatte. Im Bundeshaushalt 2025 muss die Koalition in den kommenden Wochen bis zum geplanten Kabinettsbeschluss am 3. Juli zusätzlich noch ein Loch von bis zu 30 Milliarden Euro stopfen – eine Aufgabe, die zu erfüllen für viele in der Koalition schier unmöglich erscheint.
Ein Rentenniveau von 48 Prozent, das bisher nur bis Ende 2025 gilt, wird angesichts der demografischen Entwicklung für Beitrags- und Steuerzahler sehr teuer werden. Dennoch hatte Lindner dem SPD-Wunsch im Koalitionsvertrag nachgegeben. Im Gegenzug erhielt er die Zusage für die so genannte Aktienrente, einer kapitalgedeckten neuen Säule zur Finanzierung der Rentenversicherung, Teil zwei des Rentenpakets. Auf ihrem Parteitag beschloss die FDP jüngst allerdings Nachbesserungen: Das Rentenniveau werde nicht, wie im Ampel-Vertrag vereinbart, generationengerecht finanziert, moniert etwa Parlamentsgeschäftsführer Johannes Vogel. Im parlamentarischen Verfahren will er Änderungen durchsetzen, um Jüngere weniger stark zu belasten.
Doch für die SPD bleibt die Rente ein Kernanliegen, Scholz war nicht zuletzt wegen seines Rentenversprechens überhaupt Kanzler geworden. Die Grünen wiederum beobachten das jüngste Zerwürfnis zwischen Liberalen und Sozialdemokraten mit einer gewissen Genugtuung.
SPD und Grüne stehen auf dem Standpunkt, dass die Schuldenbremse grundsätzlich reformiert werden müsste. Das aber wird weder mit der FDP noch mit der Union zu machen sein, die man wegen der notwendigen Zweidrittel-Mehrheit für eine Grundgesetzänderung ins Boot holen müsste. Auch das Aussetzen der Schuldenbremse wegen des Ukraine-Kriegs will Lindner bislang nicht mitmachen. Um empfindliche und schmerzhafte Ausgabenkürzungen – zumindest auf dem Papier des Haushaltsplans für 2025 – wird die Ampel daher wohl nicht herumkommen.
Mehr von RP ONLINE
Bei der Ampel stehen die Signale auf Rot
Lindner beendet Blockade beim Rentenpaket
Ampel verschiebt Beschluss des Rentenpakets