Von der Leyen beim CDU-Europatag: Wie die Partei mit der mächtigsten Frau der Welt fremdelt
Die CDU will aus ihrem Parteitag einen Schub für die Europawahl mitnehmen. Aber das komplizierte Verhältnis zur eigenen Spitzenkandidatin ist offensichtlich.
Ursula von der Leyen, Präsidentin der Europäischen Kommission und Spitzenkandidatin der Union, spricht beim CDU-Bundesparteitag in Berlin.
Ein Anstecker am Revers eines Sakkos sorgte an den ersten beiden Tagen des CDU-Parteitags in Berlin für Erheiterung: Auf dem Werbegeschenk prangt das Konterfei von Ursula von der Leyen, die wiederholt vom Magazin „Forbes“ zur mächtigsten Frau der Welt gewählt wurde. Eigentlich eine Auszeichnung für die deutsche EU-Kommissionspräsidentin. Jede andere Partei würde derartiges Personal aus den eigenen Reihen ins Schaufenster stellen. Nicht so die CDU.
Auf den Anstecker mit von der Leyens Porträt wird der Anzugträger häufig angesprochen. Die positivsten Reaktionen sind die Überraschten. Sie fragen, wo der CDU-Politiker das Wahlkampfgeschenk herhat. Meist schrecken die Parteikollegen allerdings zurück. Der Kopf der Niedersächsin auf einem Anstecker ist schon eine kleine Kuriosität, man sieht die Niedersächsin ja kaum auf CDU-Wahlplakaten im Land.
Antrieb für die eigenen Leute und Wähler gleichermaßen
Dabei steht in einem Monat die Europawahl an. In Deutschland sind nach Angaben des Bundeswahlleiters rund 66 Millionen Bürgerinnen und Bürger zur Wahl aufgerufen. Für die CDU und von der Leyen steht viel auf dem Spiel, wie Generalsekretär Carsten Linnemann am Mittwochvormittag klarmacht: „Eine Ampel in Europa reicht“, man wolle stärkste Kraft werden bei der Wahl.
Bisher stehen die Chancen gut. Die Union liegt stabil bei etwa 30 Prozent, was fast doppelt so viel ist, wie SPD, Grünen und AfD jeweils vorhergesagt wird. Aber nichts ist so wichtig und schwierig wie die eigenen Leute zu motivieren, in den Straßenwahlkampf zu ziehen und damit die Bürger zum Urnengang zu bewegen. Die Wahlbeteiligung ist traditionell niedrig, meist lag sie knapp über 40, zuletzt 2019 immerhin bei 61 Prozent. Zum Vergleich: Die Bundestagswahl bewegt mindestens zehn Prozent mehr Menschen zum Wahlgang.
Der CDU-Europaabgeordnete Andreas Schwab ist schon mitten im Wahlkampf. Besonders im ländlichen Raum in Baden-Württemberg laufe die Europawahl eher nebenher, gleichzeitig finden auch die Kommunalwahlen statt. „Die Kommunalwahl interessiert die Menschen mehr, hier sehen sie die Auswirkungen ihrer Wahlentscheidungen unmittelbar“. Bei der Europawahl hingegen bedeutet ein Kreuzchen für die CDU nicht automatisch, dass von der Leyen auch erneut zur Kommissionspräsidentin gewählt werde. „Die Bürger sehen die Richtungsentscheidung nicht in Verbindung zum Wahlergebnis“, sagt Schwab dem Tagesspiegel.
Die Kommunalwahl interessiert die Menschen mehr, weil sie die Auswirkungen ihrer Wahlentscheidung direkt sehen.
Andreas Schwab, CDU-Europaabgeordneter
Vom CDU-Parteitag im Zeichen der Europawahl sollen die Mitglieder von daher einen ordentlichen Schub mitnehmen. Parteichef Friedrich Merz, der EVP-Fraktionsvorsitzende Manfred Weber (CSU) und natürlich von der Leyen nutzten die letzten Stunden, um die Vorzüge der Europäischen Union aufzuzeigen. Aber nach mehr als 23 Stunden Tagesordnung ist die Luft etwas raus. Noch dazu, weil die Nacht für viele Delegierte und CDU-Spitzenpersonal aus Bund und Ländern kurz war. Am Dienstag feierten sie beim Berliner Abend bis in die Morgenstunden.
Die Begeisterung springt deshalb nicht recht über. Da hilft es kaum, dass der CSU-Vorsitzende Markus Söder von der Leyen den Rücken stärkt: „Die ganze Welt respektiert ihre Leistung und so sollten es auch andere Parteien machen“, sagt der bayerische Ministerpräsident an die FDP gerichtet. Die Liberalen haben sich auf die CDU-Frau seit Wochen eingeschossen. Würde sich Söder ehrlich machen, dann müsste er diese Ermahnung nämlich auch an seine eigenen Reihen richten.
Die ganze Welt respektiert von der Leyens Leistung und so sollten es auch andere Parteien machen.
CSU-Vorsitzender Markus Söder kritisiert die FDP.
Von der Leyen ist an der CDU-Basis nicht unbedingt beliebt. Einige Landesverbände verwenden ihr eigenes Budget für die Europawahl lieber, um die landeseigenen Spitzenkandidaten zu plakatieren. Bei Parteiveranstaltungen im Westen wie Osten des Landes beklagten CDU-Mitglieder, dass die Spitzenkandidatin vom Parteivorstand bestimmt, statt im Mitgliederentscheid legitimiert worden war.
Aus der Wirtschaft kommt Kritik an von der Leyens Arbeit in Brüssel
Auch mit von der Leyens Bilanz in Brüssel sind die Parteikollegen nicht zufrieden. „Sie müssen die Wettbewerbsfähigkeit der Europäischen Union stärken“, sagte Arbeitgeberpräsident Rainer Dulger, der als Gast geladen war. Die EU-Kommissionspräsidentin habe zwar Einsicht gezeigt, aber „Erkenntnis ist noch kein Handeln“, so Dulger. Und Söder legte nach: Niemand habe so viel Verordnungen und Gesetze erlassen wie die EU, ein bisschen weniger würde auch guttun. Die EU als Bürokratie und Überregulierungsmonster also und das unter fünf Jahren deutscher Kommissionspräsidentschaft.
Auch von anderer Seite liegen sie von der Leyen Steine in den Weg zur zweiten Amtszeit. Es gibt Gerüchte, dass einige Mitgliedstaaten einen Gegenkandidaten suchen. Im Europäischen Rat gibt es neben dem Ungarn Viktor Orbán noch wichtigere Staats- und Regierungschefs, die sie ablehnen. Angeblich sollen diese Mario Draghi, den ehemalige europäischen Zentralbankchef, ins Spiel bringen. Breite Unterstützung zumindest aus der eigenen Partei ist für die CDU-Politikerin deshalb umso bedeutender.
Der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz sicherte von der Leyen zu, dass die Union alles dafür tun werde, damit sie Kommissionspräsidentin bleiben könne. Dies werde auch gelingen. „Ich sage allen da draußen, die daran zweifeln: Zweifelt nicht an der Kampfbereitschaft von CDU und CSU und der gesamten Europäischen Volkspartei, genau dieses Ziel zu erreichen. Wir werden es erreichen.“ Man sei stolz auf die deutsche Kommissionspräsidentin, sagte Merz. Als von der Leyen am Mittwoch beim CDU-Parteitag mit Applaus willkommen geheißen wurde, blätterte der CDU-Vorsitzenden in seinen Unterlagen, statt wie seine Parteifreunde zu klatschen. Den Stolz demonstrierte Merz erst später auf Bühne.